OP bei Adipositas
Klinikum Idar-Oberstein: Wenn Übergewicht krank macht
Ziel der Adipositas-Chururgie ist es, Menschen mit krankhaftem Übergewicht, bei denen herkömmliche Maßnahmen zur Gewichtsreduktion nicht erfolgreich waren, bei der Gewichtsabnahme zu unterstützen. Das Angebot wird im Klinikum Idar-Oberstein gut angenommen.
Boris Roessler. picture alliance/dpa

Es geht nicht um die Bikini-Figur, sondern um Adipositas. Ab einem BMI von 40 genügt eine konservative Therapie nicht immer. Eine OP, wie sie im Klinikum Idar-Oberstein möglich ist, ist allerdings kein Freifahrtschein, so weiterzumachen wie bisher.

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Eine Sache stellt die Medizinerin direkt am Anfang klar. „Was Adipositas nicht ist: Keine Charakterschwäche oder einfach Faulheit. Nicht nur eine Frage von Disziplin. Viele Menschen mit Adipositas kämpfen mit Stoffwechselveränderungen, Essstörungen, Depressionen oder hormonellen Ursachen. Es ist auch keine rein kosmetische Angelegenheit – sie hat medizinische Relevanz. Sie ist nicht allein durch Diäten zu lösen – viele Betroffene benötigen strukturierte Programme, unter Umständen auch medikamentöse oder chirurgische Therapien.“ Und das ist das Fachgebiet von Kira Keller. Die gebürtige Saarländerin nahm am 1. Juli 2024 ihren Dienst im Klinikum Idar-Oberstein als Oberärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Minimal-invasive und Robotische Chirurgie unter Leitung von Chefarzt Christos Zigouris auf. Sie etabliert als verantwortliche Ärztin die Adipositaschirurgie im Klinikum. Das Angebot wird sehr gut angenommen.

Psychologie im Spiel

Was versteht man unter Adipositas? „Adipositas ist eine chronische Erkrankung, bei der übermäßig viel Körperfett angesammelt wird. Sie wird meist anhand des Body-Mass-Index (BMI) diagnostiziert: Bei einem BMI höher als 30 kg/m² spricht man von Adipositas. Es gibt verschiedene Schweregrade.“

Dabei sei der „berühmte“ BMI nicht unbedingt ein gut geeigneter Messwert, da er nicht die Körperzusammensetzung angebe. So hätten zum Beispiel Bodybuilder mit vielen Muskeln auch einen erhöhten BMI, man würde sie aber nicht als adipös bezeichnen.

Adipositas sei ein Risikofaktor für viele andere Erkrankungen (Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen), aber auch bösartige Tumorerkrankungen. Die Krankheit entstehe durch ein komplexes Zusammenspiel von genetischen, psychischen, hormonellen, sozialen und umweltbedingten Faktoren – nicht einfach nur durch „zu viel Essen“...

Keller erläutert Schritte der Behandlung: „Die konservative Therapie (Basistherapie), das ist der erste Schritt – sie zielt auf Lebensstiländerung ab und ist auch die Grundlage aller weiteren Therapiesäulen wie Ernährungs- und Bewegungstherapie.“ Auch Verhaltenstherapie gehört dazu: Das Essverhalten wird analysiert und geändert, der Umgang mit Stress wird verändert. Frustessen: Auch hier wird angesetzt. In einigen Fällen erfolgt psychologische Begleitung.

„Viele Patienten berichten über verschiedene Probleme – hier kommen auch nicht selten Themen wie Missbrauch ans Licht. Natürlich ist so etwas für mich als Chirurgin immer eine besondere Situation, aber auch ein Privileg, meine Patienten so kennenlernen zu dürfen und ein sehr intensives Verhältnis mit ihnen aufzubauen.“
Oberärztin Kira Keller

Eine medikamentöse Therapie wird dann in Betracht gezogen, wenn die Basistherapie nicht ausreicht und Begleiterkrankungen in den Fokus rücken. Die Medikamente wirken auf das Sättigungszentrum im Gehirn, verzögern die Magenentleerung, reduzieren Appetit und wurden ursprünglich als Diabetes-Medikamente entwickelt. Keller stellt klar: „Medikamente ersetzen keine Lebensstiländerung, sondern ergänzen sie.“

Die operative Therapie, die sogenannte bariatrische Chirurgie, ist bei schwerer Adipositas (BMI höher als 40 oder BMI höher als 35 mit Folgeerkrankungen) und wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichen, eine Option. Häufige Verfahren seien der Schlauchmagen (Sleeve-Gastrektomie, der Magen wird verkleinert) und der Magenbypass (Roux-en-Y, Umleitung des Darms und damit weniger Kalorienaufnahme).

Kira Keller ist Oberärztin an der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Minimalinvasive und Robotische Chirurgie.
SHG/Antonio de Moraes Barros Filho

Wie sieht die Praxis konkret aus? „Stellt sich ein Patient in der Sprechstunde vor und besteht nach BMI die Indikation, muss der Patient ein sechsmonatiges, sogenanntes multimodales Therapiekonzept durchlaufen. Hierzu zählt die Basistherapie, also eine Ernährungsberatung, Bewegungstherapie sowie eine Vorstellung beim Psychologen oder Psychiater zum Ausschluss von psychischen Erkrankungen oder Essstörungen. Hierbei ist es wichtig, die Patienten an die Hand zu nehmen, denn für viele hören sich am Anfang sechs Monate schrecklich lange an.“

Hierzu empfiehlt Keller auch die Teilnahme an der Selbsthilfegruppe zum Austausch: „Hier merkt man dann schnell, dass die sechs Monate durchaus zu schaffen sind. Auch für die Entscheidung und zum Auseinandersetzen mit der OP sind die sechs Monate sinnvoll. Werden nach dieser Zeit dann alle konservativen Therapien erfolglos ausgeschöpft, steht die OP-Planung an. Wir haben für die Patienten mit niedergelassenen Kooperationspartnern, auch Fitness-Studios, eine Struktur geschaffen, um den Weg zu erleichtern.“

„Ich möchte in erster Linie eine Anlaufstelle für adipöse Patienten sein, wo sie sich ohne Scham und frei von Angst wegen irgendwelcher Vorurteile vorstellen können.“
Oberärztin Kira Keller

Patienten, die sich für die OP entscheiden, seien in der Regel sehr gut informiert und hätten schon alle mögliche Diäten ausprobiert: „Sie kommen oft schon mit einer klaren OP-Idee, auch zum OP Verfahren, in die Sprechstunde.“ Das „Problem“ sei eher das nicht-informierte Umfeld – den Patienten werde gesagt, sie würden den „leichten Weg gehen“, es „sich einfach machen“, sie sollen doch „einfach weniger essen“ oder „sich mehr bewegen“. Der Weg zur OP und auch danach sei kein einfacher, was man schon an der sechsmonatigen Vorbereitung sehe. Auch hätten die Patienten im Vorfeld schon alles versucht. „Und wenn man mit einfach weniger essen dauerhaft gesund Gewicht verlieren könnte, dann wären viele Adipositaschirurgen arbeitslos“, schmunzelt Keller.

Erst mal pürierte Kost

Eine weitere Fehlinformation sei: „Die OP ist zu gefährlich.“ Jede OP habe Risiken. „Aber: Nur wenige Patienten sind besser vorbereitet auf die OP und vorher durchgecheckt wie adipositaschirurgische Patienten. Die OP ist sehr standardisiert. Das Komplikationsrisiko ist in etwa vergleichbar mit einer Gallenblasenentfernung. Das Risiko für Komplikationen liegt bei etwa 1 bis 5 Prozent, und dazu gehören zum Beispiel auch Wundinfektionen. Das Risiko steigt mit dem BMI jedoch an.“

Nach der OP bleiben die Patienten etwa drei Tage im Krankenhaus. Eine intensivmedizinische Überwachung nach der OP ist in der Regel nicht notwendig. Es gibt einen langsamen Kostaufbau, um den Magen an die neue Situation zu gewöhnen und die angelegten Nähte am Magen zu schützen. Nach Entlassung nehmen die Patienten für vier Wochen noch einen Magenschutz sowie eine Thromboseprophylaxe. Auch gibt es erst einmal pürierte Kost, bis die Nähte am Magen vollständig verheilt sind: „Was jedoch wichtig ist: Patienten benötigen nach der OP eine lebenslange Nachsorge.“

Nachsorge ist wichtig

Im ersten Jahr stellen sich die Patienten alle drei Monate, im zweiten Jahr alle sechs Monate und danach jährlich vor. Hierbei seien zum einen ernährungsmedizinische Nachsorgen wichtig, zum anderen aber auch Laborkontrollen, um einen Vitaminmangel auszuschließen und die Vitamineinnahme womöglich anzupassen. Die Einnahme von Vitaminen sei ebenfalls lebenslang notwendig: „Ich habe am Klinikum eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Untersuchung. Ich darf Patienten auf Überweisung von niedergelassenen Allgemeinmedizinern, hausärztlich tätigen Internisten, Fachinternisten und Chirurgen im Rahmen der Adipositasmedizin behandeln, das erleichtert die Nachsorge sehr.“

Wichtig sei in der Nachsorge, Probleme zu erkennen: Gibt es eine erneute Gewichtszunahme? Entwickelt der Patient Sodbrennen? Gibt es Probleme beim Essen? Keller dazu: „Patienten sollten sich nicht scheuen, den Kontakt zu uns zu suchen.“

Viele Patienten entwickelten durch die Gewichtsabnahme Gallensteine, hier seien regelmäßige Ultraschall-Kontrollen wichtig. Ein weiteres wichtiges Thema für die Nachsorge sei die überschüssige Haut: „Hier kann es Probleme geben wie Abszesse, Entzündungen, aber auch Funktionseinschränkungen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die psychische Belastung hierdurch. Aber auch hierfür möchten wir Hilfe anbieten im Sinne von Wiederherstellungsoperationen wie Bauchdeckenplastiken.“

Infos unter www.shg-kliniken.de

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