Demnach soll er bei Twitter am 16. November 2020 pauschal in Deutschland lebende somalische Staatsangehörige unter anderem als „kranke Schw***“ und „Abschaum“ bezeichnet haben. Diese würden „hier nie ihr Brot verdienen können und gehörten zwangsweise in eine Anstalt“.
Unter einem anderen Tweet („Früher peruanische Flötenspieler, heute somalische Flötenspieler“) habe er geschrieben: „Niemand solle sagen, dass es in der alten Heimat normal wäre, das zu machen“ und sie „mit Video in die alte Heimat geschickt gehören.“ Solche aufwieglerisch wirkenden sprachlichen Auswüchse hat der Gesetzgeber nicht erst jüngst unter Strafe gestellt – wohl aber nach 2021 in aufgeheizter politischer Stimmung neu gefasst. So sollen auch extremistische Sprachkünstler erfasst werden, die im stillen Kämmerlein an wohlfeilen Formulierungen arbeiten, um ihre Hassbotschaften verdeckt in die geneigte Zuhörerschaft zu tragen.
Als ein solcher geistiger Brandstifter wollte sich der Rentner nicht verstanden wissen: Ein Strafbefehl der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt vom 11. November 2022 mit 120 Tagessätzen zu 50 Euro folgte – satte 6000 Euro für den bislang komplett straffrei gebliebenen verheirateten Mann und Vater von zwei Söhnen. Dagegen hatte er form- und fristgerecht Rechtsmittel eingelegt.
Angeklagter schämt sich für Ausdrucksweise
Während im Strafbefehl noch ausgeschrieben „Schweine“ statt tatsächlich laut Originaltweet „Schw…“ stand, wurde dies rechtlich von Verteidiger Jörg Schneider (Baumholder) als Erstes angegriffen. „Ja, man kann den vom Gehirn ergänzten Gedankenkonstrukt so lesen. Aber auch an deren Stelle 'kranke Schwarze' oder 'kranke Schwerverbrecher' setzen“, so Verteidiger Schneider. Der Angeklagte selbst schob in ruhigen Worten kleinlaut nach, dass er sich für seine Ausdruckweise schäme und diese zutiefst bedauere.
Es sei ein emotionaler Schnellschuss gewesen. Aber er habe auch nicht auf den Tweet betreffend „somalische Flötenspieler“ reagiert und sei alles andere als rassistisch und fremdenfeindlich. Sein Schwager sei Ägypter, er habe dunkelhäutige Neffen und pflege normale familiäre Kontakte mit ihnen. Er habe bis zur sechs Jahre zurückliegenden Verrentung 45 Jahre im Berufsleben gestanden und sei seit 43 Jahren verheiratet. Seine Ehefrau und er würden je 1200 Euro Rente beziehen, von denen sie rund 700 Euro an Miete und Nebenkosten bezahlten. Im Übrigen kenne er keine „somalischen Flötenspieler“.
Die polizeiliche Durchsuchung und Beschlagnahme seines PC sowie der Prozess hätten ihn stark belastet. Er sei kein Rassist, aber dennoch „stolz, ein Deutscher zu sein. Aber ich bin überhaupt nicht stolz auf Nazideutschland“, wie er unmissverständlich ergänzte.
Tatsächlich habe er sich nur auf ein veröffentlichtes Video bezogen, bei dem ein unbekannter Farbiger komplett nackt in einer Fußgängerzone gefilmt worden war. Jener Täter sei auch auf drei im Biergarten sitzende Frauen zugegangen und habe sich dabei ersichtlich an den Genitalien manipuliert. Nur in diesem Kontext sei es zu seiner Kommentierung „mit Wut im Bauch“ gekommen. „Ja, er hätte eine bessere Wortwahl treffen können“, sagte der Angeklagte und entschuldigte sich dafür. Am Richtertisch erläuterte Rechtsanwalt Schneider anhand seines eigenen Twitter-Accounts Strafrichter und Staatsanwältin, dass der erste Tweet immer unten steht und folgende Kommentierungen darüber stünden. Der Bezug auf „somalische Flötenspieler“ sei also später geschrieben. Und nicht umgekehrt – wie die Staatsanwaltschaft dies wohl meine.
Der Bezug nehmende Tweet eines Unbekannten („Video mit nacktem Farbigen in einer Fußgängerzone“) war nach Aktenlage nicht aufzufinden. Ein polizeilicher Zeuge, der vielleicht hätte Aufschluss geben können, war entschuldigt verhindert. Ansonsten habe die Auswertung der beschlagnahmten elektronischen Geräte keine Hinweise auf sonstiges strafbewehrtes Verhalten oder rechtes Gedankengut erbracht, betonte Strafrichter Marcel Oberländer. Das hier sei eine diffizile Rechtsfrage. „Aber ungeachtet dessen ist das Geschriebene auf jeden Fall eine Sauerei“, wurde der Richter in Richtung Anklagebank überdeutlich. Und bekam von dort als Echo eine kleinlaute Zustimmung.
Staatsanwältin: „Keine freie Meinungsbekundung“
Staatsanwältin Bode sah dennoch eine stringente Verbindungslinie in der Wortwahl in Richtung des Tatbestands der Volksverhetzung. Dies sei „keine freie Meinungsbekundung“, sondern „ein strafbewehrtes Werturteil“ gegen somalische Schwarzafrikaner, die pauschal als „minderwertig, unwürdig und verachtenswert“ dargestellt würden, die „niemals in der Lage seien, ihr Brot zu verdienen“. Ihr Antrag: 120 Tagessätze zu 40 Euro.
Verteidiger Jörg Schneider widersprach in seinem Plädoyer. Es sei aus der Beweisaufnahme nicht einmal erkennbar, auf welchen Tweet sich der Angeklagte beziehe. Seiner Auffassung nach eindeutig auf das Video – und nicht auf den späteren Tweet mit „somalischen Flötenspielern“. „Ja, die Wortwahl hätte besser sein können. Aber eine Volksverhetzung ist das nicht“, betonte Schneider. Der ominöse nackte schwarze Mann habe eine Straftat begangen – nämlich Exhibitionismus. Darauf habe der Angeklagte mit seinem Tweet „in einem einmaligen sprachlichen Augenblicksversagen“ reagiert. Er forderte Freispruch vom Vorwurf der Volksverhetzung. Im Schlusswort bedauerte der 71-Jährige erneut seine „krasse Ausdrucksweise“.
Strafrichter Oberländer schloss sich im Urteil der Staatsanwaltschaft an und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 35 Euro, insgesamt 3150 Euro, wegen Volksverhetzung. Obwohl in dem Bezug nehmenden Video wohl nur eine Person zu sehen war, sei von ihm im Tweet pauschal eine Vielzahl von „Schwarzen“ mit unsäglichen Worten beleidigt worden. „Sie sind deutlich über das Ziel hinausgeschossen“, schloss er die kurze mündliche Urteilsbegründung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.