Es war Anfang September 2024 für die Polizei ein ungewöhnlicher Einsatz mitten in der Idarer Fußgängerzone: Gegen 13.30 Uhr hatte ein Gastwirt seine Geschäftsräume aufgeschlossen und war dabei von zwei maskierten Männern mit einer Schusswaffe bedroht worden. Der vermeintliche Wortführer stellte jedoch keine materiellen Forderungen – es soll sich laut Polizei „um eine persönliche Angelegenheit gehandelt“ haben (siehe NZ vom 3. September 2024).
Der Wirt konnte sich in der bedrohlichen Lage mit einem griffbereiten Pfefferspray wehren – worauf mit Zielrichtung auf das völlig überraschte und verängstigte Opfer ein Schuss fiel. Die beiden zunächst unbekannten Täter ergriffen die Flucht, während der unverletzt gebliebene Gastwirt sich in den Gasträumen einschloss und die Polizei verständigte, die sofort mit einem Großaufgebot und in Schutzausrüstung anrückte.
Von den Flüchtigen fehlte zunächst jede Spur – sie waren in unbekannte Richtung entkommen. Durch Hinweise aus der Bevölkerung und Kameraaufzeichnungen kam die Kripo den Unbekannten jedoch rasch auf die Spur. Der Nutzen von Videoaufnahmen im öffentlichen Raum lag hier auf der Hand.
Die Täter waren keine Unbekannte
Wie sich herausstellte, waren es für die Polizei keine Unbekannten – beide Tatverdächtigte hatten ein ansehnliches Strafregister, einer stand gar unter Bewährung. Jetzt standen beide vor dem Jugendschöffengericht Idar-Oberstein unter Vorsitz von Jugendrichter Johannes Pfeifer, der den beiden 20-Jährigen im rechtlichen Status von Heranwachsenden (für sie kann noch Jugendrecht angewandt werden) mit tiefer Ruhe ins Gewissen redete.
Während Verteidiger Eckhard Baltin für seinen Mandanten gerüstet schien, wartete der zweite Verteidiger Klaus Uebel (beide Idar-Oberstein) vergebens: Sein Mandant (weiterhin unter Bewährungsaufsicht stehend) fehlte unentschuldigt. So blieb Staatsanwalt Klaus Thönnessen nur die Abtrennung des Verfahrens gegen den Haupttäter - um wenigstens zu einem ersten Abschluss zu kommen.
Für den erfahrenen Rechtsanwalt Baltin gestaltete sich der Verfahrensablauf immerhin konziliant – sein „Schäfchen“ konnte, von Einsicht getrieben, immerhin mit einem erfrischenden Geständnis punkten: Er zeigte sich einsichtig, wird demnächst Vater, hat eine feste Arbeitsstelle. Weniger erfreulich waren seine bisherigen vier Vorstrafen: 2020 war er vom Jugendrichter wegen Diebstahls und Sachbeschädigung zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt worden, außerdem wurde eine Verwarnung mit Auflagen und Weisungen erteilt.
Ein halbes Jahr später stellte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Bedrohung nach Paragraf 45 Jugendgerichtsgesetz (JGG) wegen Geringfügigkeit ein. Ein Jahr später stand er erneut vor dem Jugendrichter: gemeinschädliche Sachbeschädigung mit richterlicher Weisung und einwöchigem Arrest. Der letzte Schuss vor den Bug kam dann im August 2021. Diesmal war das Jugendschöffengericht nicht mehr nur dem im Jugendstrafrecht verankerten Erziehungsgedanken tief verbunden: schwerer Raub, gefährliche Körperverletzung und Nötigung standen an. Es gab eine Jugendstrafe von zwei Jahren mit Bewährung und Einbeziehung der vorherigen Urteile – quasi „die letzte Ausfahrt“ auf dem ansonsten anstehenden direkten Weg in den Strafvollzug.
Immerhin hielt der junge Mann die Bewährungszeit straffrei durch. Wenn man sich allerdings den Tatablauf Anfang September 2024 vergegenwärtigt, kommen hinsichtlich eines gelungenen Reifeprozesses leichte Zweifel. In Selbstjustiz und oftmals ohne jeden realen Hintergrund schwappt aus den USA und über die sozialen Medien das so genannte „Pedo-Hunting“ in unser Sozialleben. In rechtsextremen Kreisen verfolgt man als neue Strategie eine vermeintliche „Bekämpfung von Pädokriminalität“ auf eigene Faust. Und dabei finden sich gewaltbereite, bislang eher unpolitische Jugendliche, die oftmals queeren Menschen einfach mal so „pädophile Neigungen“ zuschreiben, um sie zu erniedrigen und zu erpressen.
Es geht alles andere als zimperlich zu
Dabei geht es alles andere als zimperlich zu. Vermeintliche Zielpersonen werden über das Internet auch ohne realen Hintergrund regelrecht in Fallen gelockt, bedroht, zu scheinbaren „Geständnissen“ gezwungen, das Ganze gefilmt – um es danach ins Internet zu stellen. Der Selbstgerechtigkeit wird so im rechtsextremen Lager Tür und Tor geöffnet. Auf diese Weise wollte man auch das spätere Tatopfer mit einer erfundenen Geschichte anlocken und einer entliehenen waffenscheinpflichtigen Schreckschusswaffe in der Hand „überführen“. Nur: Der Bedrohte ging darauf erst gar nicht ein und griff zum Telefonhörer, um die Polizei zu verständigen.
Hernach legte er jedoch den Hörer wieder weg, ergriff ein Pfefferspray und löste einen Stoß aus. Dann fiel der Schuss aus der Schreckschusswaffe. Beide Täter flohen im Anschluss. Der erschienene Angeklagte gab sich bei der Kripo noch als Waffenträger für seinen ebenfalls maskierten und ermittelten Mittäter aus – der wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz noch unter Bewährung stand und Widerruf befürchtete.
Steht nun Aussage gegen Aussage? Da konnte das Tatopfer anhand dokumentierter unterschiedlicher Bekleidung die Aussage des erschienenen Angeklagten stützen. War das also der Grund für das Nichterscheinen des zweiten Angeklagten vor Gericht? Die erlittene Todesangst des Zeugen und seine monatelang fehlende Unbefangenheit beim Betreten der Gaststätte waren im Gerichtssaal zum Greifen. Das Jugendschöffengericht verhängte nach Paragraf 27 JGG einen Schuldspruch wegen Bedrohung und Nötigung. Während einer Bewährungszeit wird Jugendrichter Pfeifer prüfen, „ob wegen schädlicher Neigungen“ eine Jugendstrafe erforderlich ist. Mit der Erfüllung einer Geldauflage und der Unterstützung eines Bewährungshelfers tickt für ihn wohl zum letzten Mal die Uhr …