Und da kam bei vielen Gänsehaut auf: Prall gefüllte Säcke und Kisten wurden herbeigeschleppt, Kinder brachten Plüschtiere und Bälle – für die armen Kinder, die nichts haben, wie die kleine Tatjana erklärte. Jetzt geht es ans Sortieren. Unter Hochdruck arbeiten THW und DRK, viele Freiwillige packen mit an. „Stolz auf die Mannschaft“ sei er, betont THW-Ortsbeauftragter Roman Hartrampf. Recht hat er. Da darf man sich auch einmal selbst auf die Schulter klopfen. Manche schieben rund um die Uhr Dienst, stellen keine Fragen, tun einfach, was zu tun ist. Und die Rückmeldungen der Flüchtlinge motivieren, machen manche schlaflose Nacht vergessen: Noch nirgends seien sie so nett, so gut aufgenommen worden wie hier. Das sei mit Abstand das Beste, was sie seit langer Zeit erlebt hätten. Was die Flüchtlinge den Helfern hoch anrechnen: „Wir sagen klar, dass wir einfach nicht wissen, wie es mit ihnen weitergeht.“ Diese Ehrlichkeit schätzten die Menschen. Auch mit der islamischen Gemeinde Idar-Oberstein wird zusammengearbeitet: Der Glaube verbindet. Vor Ort machte sich unter anderem deren Zweiter Vorsitzender, Inayat Qazi, ein Bild von der Situation. Flüchtlinge, die schon länger in der Stadt leben, schicken ihre Kinder auf den Rilchenberg: Es entstehen Kontakte, Telefonnummern werden ausgetauscht. Ausländische Ärzte vom Idar-Obersteiner Krankenhaus bringen sich ebenfalls ein.
Alles verlaufe friedlich, freut sich Hartrampf. Viele Flüchtlinge packen mit an, bringen Müll weg, kehren den Platz. Landrat Matthias Schneider kündigte an, dass am Dienstag die Untersuchungen des Gesundheitsamtes, die noch immer nicht erfolgt sind, starten. „Wir wissen nicht, ob der eine oder andere Flüchtling krank ist. Es geht ja auch um unsere Sicherheit. Da muss gehandelt werden“, stellte Hartrampf klar.
Die Stimmung ist friedlich. Davon konnte sich auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer überzeugen. Nach einem Besuch in der Kuseler Einrichtung machte sie sich am Samstagabend ein Bild von der THW-Unterkunft und war von der Hilfsbereitschaft beeindruckt. Spürbar ist: Für die Landeschefin ist die Flüchtlingsfrage eine Herzenssache fernab jeder Parteipolitik. Sie weiß aber auch, dass die Grenzen der Belastbarkeit der Kommunen nicht unendlich dehnbar sind. „Wir müssen improvisieren. Sonst geht es überhaupt nicht. Der Einsatz der Menschen hier, das macht unser Land stark. Und daran haben Sie alle hier Anteil“, betonte sie. Fest stehe aber auch: „Wir brauchen eine umfassende europäische Lösung – und zwar vor dem Winter.“ Zeitgleich zu Gast war auch MdB Antje Lezius (CDU), die betonte: „Ich bin stolz auf unseren Landkreis.“ Süßigkeiten und Energydrinks (zum Durchhalten) hatte sie den Helfern mitgebracht.
Unterdessen überschlugen sich auf politischer Ebene die Ereignisse. Beim Idar-Obersteiner OB Frank Frühauf steht das Telefon nicht still: Am Samstagvormittag war er mit Vertretern des Ministeriums unterwegs. Leerstände wurden auf ihre Eignung als Notunterkunft überprüft. Das Land erwartete übers Wochenende 2500 neue Flüchtlinge. Es besteht sofortiger Handlungsbedarf. Denkbar ist, dass die leer stehende Weinsauschule genutzt wird und die beim THW untergebrachten Flüchtlinge dort ab Mittwoch oder Donnerstag untergebracht werden. Diesbezüglich laufen erste Vorbereitungen. Die Regie hat das DRK. Ein Sicherheitsdienst wird eingerichtet. Am heutigen Montagmorgen wird es eine Krisensitzung geben, kündigt Frühauf im Gespräch mit der NZ an. Der OB stellt klar: „Was wir hier in Idar-Oberstein gerade auf die Schnelle leisten, ist großartig. Da kann man als Oberbürgermeister wirklich stolz sein. Aber alles, was jetzt passiert, muss mit Maß und Ziel geschehen. Man muss mit Verstand handeln.“
Mit ins Boot geholt werden sollen Bundeswehr-Angehörige, die andere Institutionen wie das DRK und das THW unterstützen. Mit Land und Kreis werde es einen Vertrag zur Vermietung der Schule geben. Ende August hieß es: Mindestens 700 Flüchtlinge (es könnten auch 1000 werden) will das Ministerium in der weitgehend leer stehenden Heinrich-Hertz-Kaserne in Birkenfeld unterbringen. Fest stand aber auch: Es gibt noch viele Details zu klären. Auf die Schnelle ist eigentlich nichts machbar.
Und nun muss es doch schnell gehen: Ab Freitag oder Samstag dieser Woche ist mit den ersten Flüchtlingen zu rechen. Eine volle Belegung ist wahrscheinlich. Auch hier laufen entsprechende Vorbereitungen. Landrat Schneider befand sich am Samstagnachmittag in einem schnell einberufenen Krisengespräch mit Verantwortlichen und Kooperationspartnern. Die Weichen wurden gestellt: „Wir haben uns mit dem Ministerium darauf verständigt, dass wir ein paar Tage Vorlauf brauchen, um infrastrukturell entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten zu können.“ So müssten zum Beispiel Wasserleitungen gespült werden, um eine Keimbelastung auszuschließen. Auch ein Zaun wurde errichtet, um das Gelände aufteilen zu können.
Das Gesundheitsamt des Kreises Birkenfeld stellt sich auf eine reibungslose Massenabfertigung ein: Hier wird mit den Kollegen aus Trier Kontakt aufgenommen. Schneider stellte klar: „Die Situation erfordert es, dass man praxisorientiert agiert.“ Allzu bürokratisches Vorgehen entspreche nicht dem aktuellen Zeitgeist. Auch vom Lager Aulenbach bei Baumholder war offenbar bereits die Rede. Was Frühauf wie Schneider immer wieder betonen: Die Situation ändert sich mehr oder weniger stündlich. Das bestätigt auch MdL Hans Jürgen Noss (SPD): Verlässliche Aussagen könne man zurzeit nur sehr bedingt treffen. Das Land sei von der Situation und deren Entwicklung schlicht überrollt worden.
Der Birkenfelder Stadtbürgermeister Miroslaw Kowalski ist überzeugt, dass die Kreisstadt die Herausforderung bewältigt: „Viele haben schon signalisiert, helfen zu wollen. Wichtig ist, die Vereine ins Boot zu holen, deren Netzwerke und Möglichkeiten zu nutzen.“ Erste Schritte habe er diesbezüglich schon unternommen. Auch der Birkenfelder VG-Chef Bernhard Alscher setzt auf Vereine und die Ortsbürgermeister. Er warnt vor unkoordiniertem Aktionismus: „Wir können alle nur einmal die Schränke und Dachböden leer machen.“ Vera Müller