Nachdem die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg bereits am Montag Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe angekündigt hatte, will auch der ehemalige Lebensgefährte der im Sommer 2016 in Alt Rehse zu Tode gekommenen 32-Jährigen das am 19. Juni verkündete Urteil juristisch angreifen, berichtet der „Nordkurier“. Es gehe dabei um eine Überprüfung auf Rechtsfehler durch den BGH. Der 54-Jährige war wegen vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt worden. Als Entschädigung für einen Teil seiner rund zweijährigen Untersuchungshaft erhält er Geld aus der Staatskasse. Das Landgericht Neubrandenburg hatte den Ex-Lebensgefährten zudem als „vermindert schuldfähig” eingestuft.
In Absprache mit seinen Anwälten habe der ehemalige Lebensgefährte von Sarah mitgeteilt, dass der Schwerpunkt in der Revision aus Sicht der Verteidigung unter anderem „auf der Unverwertbarkeit des einzigen Beweismittels sowie der Anwendung von Gewalt bei der Festnahme und zahlreichen verbotenen Vernehmungsmethoden” liegen würde.
Gewalt bei Festnahme?
Der IT-Fachmann erhebt offenbar zudem schwere Vorwürfe gegen die Polizei: Es habe Gewalt gegen ihn gegeben, bereits bei der Festnahme, wird er im „Nordkurier“ zitiert. Diese Vorwürfe werden, so die Zeitung, vonseiten des Polizeipräsidiums Neubrandenburg zurückgewiesen. „Es hat in der Vergangenheit mehrere Anzeigen des Herrn G. gegen verschiedene Polizeibeamte gegeben – unter anderem im Zusammenhang mit seiner Festnahme im August 2016 auch wegen mutmaßlicher Körperverletzung. Sämtliche daraus resultierende Ermittlungsverfahren wurden eingestellt“, habe es auf eine entsprechende „Nordkurier“-Nachfrage geheißen.
Sarahs Vater, der als Nebenkläger ebenfalls berechtigt wäre, Revision einzulegen (und dies nach dem ersten Verfahren 2017 auch tat), verzichtet jedoch hierauf.
Sein Vertreter, Rechtsanwalt Damian Hötger aus Idar-Oberstein, der im ersten Verfahren auf Totschlag durch Unterlassen plädiert und eine Gefängnisstrafe von elf Jahren gefordert hatte, sieht indes erhebliche Rechtsfehler in der Würdigung durch das Gericht: „Das Gericht verurteilt wegen einfacher Körperverletzung und ignoriert sowohl die Peitsche, das Tatwerkzeug als auch den Tod der Fischbacherin. Die schwere Misshandlung, die das Landgericht im ersten Verfahren als Körperverletzung und Freiheitsberaubung, jeweils mit Todesfolge, wertete, gestützt auf das Geständnis des Angeklagten in der polizeilichen Vernehmung, führte zweifelsohne zum Tod der jungen Frau. Alle anderen Ursachen sind auszuschließen. Dann muss man aber zumindest eine Körperverletzung mit Todesfolge annehmen, wenn man schon nicht – wie wir damals – ein Tötungsdelikt vollendet sieht.“ Vor allem passe dies nicht zu der neuen Entwicklung der Rechtsprechung zu Tötungsdelikten. Hötger verweist auf einen spektakulären Fall: Das Landgericht Berlin verurteilt Teilnehmer an einem Autorennen wegen Mordes, und hier bleibe es bei einer einfachen Körperverletzung. Das Landgericht Neubrandenburg habe in einer Vielzahl von Verhandlungstagen den Sachverhalt sehr gründlich herausgearbeitet: „Zeugen und Sachverständige wurden gehört, der Tatort besichtigt. Lediglich bei der rechtlichen Würdigung ging es dann vielleicht mal wieder einfach zu schnell: so wie im ersten Verfahren, das nur vier Verhandlungstage umfasste und dann vom Bundesgerichtshof aufgehoben wurde. Kein Urteil der Welt macht Sarah wieder lebendig. Aber es muss ein deutliches Signal erfolgen: Die Gesellschaft darf die Tötung eines Menschen durch einen anderen nicht akzeptieren.“
Bindende Entscheidung
Aber das muss nun für Damian Hötger, der den Prozess in den vergangenen drei Jahren begleitet hat und Sarah im Jahr 2011 auch schon in ihrem Kampf gegen den TV-Sender Sat.1 mit Blick auf die Teilnahme an der Kuppelshow „Schwer verliebt“ engagiert unterstützt hatte, dahinstehen. Seinen Mandanten belaste das Verfahren so sehr, dass er nicht mehr weitergehen möchte: „Er will das Kapitel, so bitter es ist, nun abschließen. Diese Entscheidung ist zu akzeptieren und bindend“, sagt Hötger.
Wie geht es nun weiter? Der BGH entscheidet. Wird nur ein Revisionsantrag zugelassen, gar beide oder keiner? Lehnt der BGH beide Anträge ab (was wohl unwahrscheinlich ist), hat das Urteil vom 19. Juni Rechtskraft. Wird der Antrag des 54-Jährigen zugelassen, darf er nicht höher bestraft werden, als es das jetzt verkündete Urteil vorsieht. Folgt der BGH der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die im Prozess vor dem Hintergrund einer Körperverletzung mit Todesfolge viereinhalb Jahre Haft gefordert hatte, dann kann das Strafmaß zugunsten, aber auch zulasten des Angeklagten ausfallen und ist quasi ergebnisoffen. Die Strafe darf aber nicht höher sein als die fünfjährige Haftstrafe, die im ersten Urteil 2017 ausgesprochen wurde.
Schnell geht nichts. Bis zur endgültigen Revisionsschrift und der Revisionsbegründung muss erst die schriftliche Urteilsbegründung des Landgerichts Neubrandenburg vorliegen. Dies kann erfahrungsgemäß mehrere Monate dauern.