Urban Priol in Idar-Oberstein
Es ist kein Zuckerschlecken, Kabarettist zu sein
Urban Priol im Stadttheater: Das (alkoholfreie) Weißbier darf nicht fehlen.
Hosser. HOSSER

Damit beim ungebremsten Redeschwall die Kehle nicht heißläuft, steht bei Urban Priol immer ein Weißbier - ohne Alkohol! – auf dem Stehtisch. Denn es wird wieder einmal ein langer, aber keineswegs langweiliger Abend.

Er hat sich rar gemacht im Fernsehen, wo er über viele Jahre das Gesicht der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ und des satirischen Jahresrückblicks „Tilt“ war. Wer Urban Priols Liveprogramm verfolgt, kann nachvollziehen, weshalb das so ist: Er ist ein Kabarettist der klaren Worte. Seine direkte Sprache, manche nennen das auch derben Vulgarismus, schreckt auch vor Beleidigungen nicht zurück – was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht gern gesehen wird. Live funktioniert das aber prima, wenn er über seinen Landesvater Markus Söder („Der Breitbeinige“), über Olaf Scholz („Den kann man nicht parodieren, da muss man schon Pantomime sein“) oder Donald Trump („Agent Orange im Evil Office“) herzieht. Das stößt keinem bitter auf im Stadttheater: Man ist unter sich bei Priol. 

Am Freitag gastierte der gebürtige Aschaffenburger zum zweiten Mal innerhalb von nur zehn Monaten in Idar-Oberstein (im Oktober war er auch noch an zwei Abenden in Bad Kreuznach)  – und das Stadttheater war dennoch so gut wie ausverkauft. Fast drei Stunden (abzüglich einer Pause) dauert so ein Priol-Abend – und langweilig wird es dabei nie. Eigentlich würde die Show ja noch länger dauern, wenn der fast 64-Jährige nicht jedes zweite Satzende verschlucken würde. Das spielt aber keine Rolle, seine Fans wissen eh, was er sagen will. 

„Die Migration ist die Wurzel allen Übels, sagen sie jetzt auch in den USA. Stimmt, sagen die Ureinwohner.“
Urban Priol (64)

Bundestagswahl, Trumps Amtseintritt plus die vielen Auswirkungen auf Deutschland und Europa – das reicht schon für Aberdutzende Gags und zum Teil auch tiefgründige Politanalysen. Es sei derzeit kein Zuckerschlecken, Kabarettist zu sein. Zum einen überschlügen sich die Ereignisse, Priol musste schon mehrfach erfahren, dass Pointen in seinem Programm sich kurz vorm ersten Vorhang überholt hatten. Dann ist Improvisation gefragt – aber das ist ja ein Lieblingsmetier des Franken. Andererseits sei es aber derzeit kaum noch möglich, gewisse Aussagen von Trump oder Merz satirisch zu überzeichnen: „Das ist richtig harte Arbeit.“

Neben Priols Lieblingszielscheibe Söder bekommt an diesem Abend im täglich überarbeiteten Programm „Alles im Fluss“ vor allem „Bald-Kanzler“ Friedrich Merz sein Fett weg, den er mal mit Lehrer Lämpel von Wilhelm Busch oder Mr. Burns aus den „Simpsons“ vergleicht. Den „Behelfs-Trump aus dem Sauerland“ nennt er den CDU-Spitzenkandidaten. Der sei kein blendender Rhetoriker, sondern ein rhetorischer Blender.

Kurze Kulturgeschichte der Migration

Fürs Kulturpublikum reißt Priol eine kurze Geschichte der Migration ab: Es gehe eigentlich immer darum, dass man noch eine Gesellschaftsschicht unter der eigenen habe, auf die man eintreten und der man die Schuld an allem geben kann. Vom Mittelalter bis zum Dritten Reich waren dies fast immer die Juden, nach dem Zweiten Weltkrieg die „Flüchtlinge“ aus den deutschen Ostgebieten. Die konnten aufatmen, als die ersten Gastarbeiter aus Spanien, Italien und Portugal nach Deutschland kamen. Die gaben die „Rote Laterne“ erst ab, als auch Türken als billige Hilfskräfte zu uns kamen. Die mussten lange warten, bis 1989 die Mauer fiel – da gab es eine neue Unterschicht, auf die alle herunterblicken konnten. Auch die „Ossis“ mussten lange warten, bis sie das Stigma an Flüchtlinge aus Afrika, Nahost und schließlich aus der Ukraine abgeben konnten. Das erkläre einiges an der heutigen Situation, sagt Priol. Und: „Migration gab es schon immer. Und ohne Migration gäbe es uns nicht.“ Dafür gab es viel Applaus im Stadttheater.

„Wenn der Deutsche vor der Wahl belogen werden darf, dann im blauen Konfirmandenanzug.“
Urban Priol zur Diskussion um die „Unterhemden“-Videos von Robert Habeck.

Damit bei diesem ungebremsten Redeschwall die Kehle nicht heißläuft, steht bei Priol immer ein Weißbier – ohne Alkohol! – auf dem Stehtisch, auf dem auch die dicke Manuskript-Kladde liegt, die täglich über- und tatsächlich bis zum Ende durchgearbeitet wird. Am Ende, kurz vor 23 Uhr freut sich das Urgestein des politischen Kabaretts dann auf ein „richtiges, schönes, kaltes Weizenbier“ und verlässt als Erster das Stadttheater.

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