Die NZ fragte bei OB Frühauf und Landrat Kowalski sowie der KV und Stadtratsmitgliedern nach: Welche Optionen gibt es?
Es hagelt Kritik an MVZ-Schließung in Idar-Oberstein: Nahe-Zeitung fragt bei OB, Landrat und KV nach Optionen
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Seit Ende 2023 besteht das MVZ Urologie in Idar. Mit Blick auf die geplante Schließung nach rund acht Monaten formiert sich massiver Widerstand. Foto: Hosser
Hosser

Idar-Oberstein. Und nun? Wie geht es weiter? Auf eine Welle des Protests trifft die Entscheidung des Aufsichtsrates des Klinikums, das urologische MVZ in Idar zum 31. Juli aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen. Neben einer Aktion von Mitarbeiterinnen und Patienten vor einer Woche, an der auch MdB Joe Weingarten (SPD) unterstützend teilnahm, folgen weitere Reaktionen.

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Die Mitarbeiterinnen der Urologie-Praxis, die Knall auf Fall die Kündigung erhalten und Unterschriftenlisten gegen die Schließung ausgelegt haben, wenden sich ans Bundesministerium für Gesundheit. Sie schreiben unter anderem: „Es kann doch nicht sein, dass angesichts mangelnder Fachärzte und Personalmangel eine urologische Praxis nicht weitergeführt wird, da sie nicht genug Gewinn abwirft.“

Die NZ fragte bei Frank Frühauf, Oberbürgermeister der Stadt Idar-Oberstein, und Landrat Miroslaw Kowalski sowie der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz und Idar-Obersteiner Stadtratsmitgliedern nach. Frank Frühauf betont: „Die Schließung des MVZ Urologie in Idar bedauere ich als Oberbürgermeister der Stadt sehr. Ich kann versichern, dass diese Entscheidung keinem leichtgefallen ist. Natürlich ist die Situation sehr unbefriedigend, denn gerade viele ältere Menschen brauchen eine wohnortnahe Versorgung durch urologische Praxen. Für diese wird es zunehmend schwerer, in einer anderen urologischen Praxis unterzukommen. Wie wichtig mir eine gute ärztliche Versorgung im Landkreis ist, ist auch daran zu sehen, dass die Stadt Idar-Oberstein und der Landkreis Birkenfeld an der Niederlassungsförderung für Ärzte beteiligen.“

Miroslaw Kowalski kommentiert: „Für den ganzen Landkreis ist die Schließung des MVZ ein schwerer Schlag. Die für das Praxis-Team belastende und existenzbedrohende und auch für die Patienten schwere Hängepartie begann ja schon vor zwei Jahren – lange vor dem Einstieg des Klinikums. Generell haben es die MVZ im Land schwer. In Idar-Oberstein ist es leider nicht gelungen, den Bereich Urologie effizient zu betreiben.“ Der Landkreis und die Stadt Idar-Oberstein würden nicht tatenlos zusehen und gemeinsam mit dem Klinikum nach einer Lösung suchen, damit die Patienten weiterhin ambulant versorgt werden können.

Wie bewerten die beiden Kommunalpolitiker die Proteste?

Kowalski sagt dazu: „Die Proteste zeigen, wie sehr die Bürger unter der Situation leiden und wie besorgt sie sind. Als Kommunalpolitiker müssen wir diese Stimmen ernst nehmen und alles dafür tun, dass die urologische Versorgung in Idar-Oberstein sichergestellt wird.“

Frühauf ergänzt: „Ich habe Verständnis für die Sorgen und Ängste der Patienten, die auf eine ambulante urologische Versorgung angewiesen sind. Ich kann auch nachvollziehen, dass sie durch die Proteste auf sich und den Versorgungsengpass aufmerksam machen möchten.“

Sind Wege denkbar, die eine Schließung vermeiden?

Frühauf ist überzeugt: „Es ist von zentraler Bedeutung, zeitnah Gespräche über mögliche Zukunftslösungen für den niedergelassenen Bereich der Urologie zu führen. Die Notfallversorgung der Bürger in Idar-Oberstein und der Region ist weiterhin durch das Klinikum gesichert.“ Kowalski ergänzt: „Auch ich werde mich für eine solide Lösung zur Sicherstellung der ambulanten urologischen Versorgung engagieren.“ Dabei stellt er klar: „Erst wenn die Aufstockung der Anteile des Landkreises notariell beurkundet ist, stehen der kommunalen Familie ebenso wie der SHG und der Arbeitnehmerseite vier Aufsichtsratssitze zu.“ Beide stehen im Kontakt mit Joachim Krekel, Verwaltungsdirektor des Klinikums.

Die KV betont auf NZ-Nachfrage: „Allen Praxen, die mit dem Gedanken einer Abgabe spielen, empfiehlt die KV RLP stets, rechtzeitig auf sie zuzukommen, um die Nachfolgeregelung gemeinsam zu erörtern. Das gilt auch für Medizinische Versorgungszentren wie das in Idar-Oberstein.“ In einem durch die Bedarfsplanung gesperrten Planungsbereich wie hier in der Kreisregion Birkenfeld müsse das Nachbesetzungsverfahren durch die Betroffenen beim Zulassungsausschuss angestoßen werden und die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes erfolgen.

Derzeit sitzen Oberbürgermeister Frank Frühauf und ich zu zweit sechs SHG-Vertretern gegenüber. Sobald die Parität hergestellt ist, können wir mit deutlich mehr Gewicht als bisher für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung eintreten.

Landrat Miroslaw Kowalski zur Situation im Aufsichtsrat, der die Entscheidung zur Schließung getroffen hat

Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Stadtrat, Eva-Maria Budau und Eva Sturm-Milisenda, erklärten: „Die Praxis war bis zum Tod des früheren Inhabers eine offensichtlich notwendige und funktionierende Facharztpraxis – weswegen die Notwendigkeit und die Rentabilität der Praxis nicht mehr gegeben sein sollen, nur weil sie jetzt als MVZ organisiert wird, muss geklärt werden.“ Alle Fakten müssten offengelegt werden. „Die Lage ist verfahren. Wir stehen vor dem Zwiespalt, dass wir ein Krankenhaus hier vor Ort die wirtschaftliche Existenz sichern wollen – andererseits ist nicht zu verstehen, dass urologische Behandlungen, die offensichtlich nachgefragt werden, nun einfach nicht hier durchgeführt werden. Es muss im Sinne der Patienten eine Lösung gefunden werden.“

Es gehe um die Menschen vor Ort, deren Oberbürgermeister Frank Frühauf ist: „Es geht um Daseinsfürsorge und Daseinsvorsorge. Er ist zudem in verschiedenen Gremien an Entscheidungen, das Krankenhaus betreffend involviert. Sicher sollten hier alle Umstände die Fortführung der Praxis betreffend offengelegt werden.“ Die SPD wünscht sich, dass Frühauf sich stärker in die Thematik einbringt.

Was kann Politik tun? „Im Augenblick: alle Akteure zusammenbringen und nach Lösungen suchen, damit das MVZ weiter existieren kann. Angeklungen ist ja, dass organisatorische Maßnahmen helfen könnten, das MVZ rentabler zu machen. In Zukunft wird es möglicherweise noch mehr MVZ geben müssen, da sich die Struktur der Ärzteschaft gerade massiv verändert.“

AfD-Fraktionssprecher: Auch Leiter Volker Mayer für Erhalt

Dirk Rohde, AfD-Fraktionschef, sagt: „Das MVZ-Team (Arzthelferin und Ärztlicher Leiter) bemühen sich um eine Form des Weiterbetriebs des MVZ Urologie.“ Rohde nennt damit den Urologen und AfD-Stadtratskollegen Volker Mayer, der Leiter des MVZ Urologie ist. Rohde weiter: „Zielführend könnte ein Gespräch in kleinem Kreis mit den führenden Beteiligten sein. (MVZ-Team, SHG-Vertretung), gegebenenfalls OB Frank Frühauf als Moderierender. Jeder befindet sich in Sachzwängen, welche auch bei politischem Good Will schwierig lösbar sind. Das Ziel einer auskömmlichen Betriebswirtschaftsführung diktiert gewisse Möglichkeiten beim Betreiber. Das Projekt MVZ ist ein klassisches Beispiel auch für eine gemeinsame kommunale Zielsetzung über jede Parteigrenze hinweg.“

Aus Sicht der AfD wäre ein Gespräch „an einem runden Tisch ohne den Druck einer Öffentlichkeit im Sinne einer stillen Diplomatie zur Erkundung möglicher Lösungen“ eine erste Maßnahme. Karoline Hautmann-Strack – Ärztin, Obfrau der Kreisärzteschaft und FDP-Stadtratsmitglied – kommentiert: „Jede neu eröffnete Praxis macht mindestens im ersten Jahr keinen Gewinn, da alle Anfangskosten den Gewinn schmälern. Dazu gehört die Ausstattung der Praxisräume, das Computersystem mit all seinen Tücken, die Zulassungen Sonografie, hier auch Zystoskopien, Biopsien ... Letzteres ruft das Gesundheitsamt und die Hygienekommission auf den Plan, die akribisch prüfen. Dann muss man sich auch auf den Praxisalltag einstellen, der einen ganz anderen Patientendurchsatz hat wie eine Krankenhausambulanz.“

Der Gesetzgeber trage dem Rechnung: Steuererklärungen und damit die Zahlungen müssten erst nach zwei Jahren abgegeben werden. Somit müsse, um die Rentabilität einer Praxis zu beurteilen, diese auch eine Zeit laufen, mindestens jedoch sechs Quartale. „Dass das MVZ schon nach der Hälfte dieser Zeit geschlossen wurde, zeigt, wie dünnhäutig die SHG ist und wie wenig Interesse daran besteht, einem Grundversorgungsauftrag nachzukommen.“

Wer sich in die ambulante Versorgung einmischt, hat damit auch eine Verpflichtung übernommen, an ihr teilzunehmen. Einfach den Laden dichtzumachen, zeigt keine wirtschaftliche Kompetenz, sondern Führungsversagen.

Kreisärzteobfrau Karoline Hautmann-Strack (FDP-Stadtratsmitglied)

Die Politik müsse sehr darauf achten, dass Grundlegendes eingehalten werde, zu der die Eindeutigkeit gehöre, dass Geld des Kreises ausschließlich dem Krankenhaus Idar-Oberstein zugutekomme, dass realistische Sanierungspläne existierten, das Krankenhausmanagement zu stabilisieren, um Schulden beim Kreis zurückzahlen zu können – auch dass die SHG die Grundversorgung durch ihre MVZ sichere.

Der Kreis und die Stadt, als Teilhaber der Krankenhausgesellschaft, sitzen im Aufsichtsrat, und müssten dort ihren Einfluss geltend machen: „Einzelaktionen nutzen nichts. Die Kontrolle der Krankenhausgesellschaft muss aus einem Guss und mit wirtschaftlicher Kompetenz ausgeführt werden.“

Die Stellungnahme der Freien Liste formuliert Frank Schnadthorst: „Wieder einmal stehen die wirtschaftlichen Gesichtspunkte vor dem eigentlichen Bedarf und der Notwendigkeit einer ärztlichen Versorgung im Stadtgebiet. Die Kritik von Frau Karoline Hautmann-Strack unterstützen wir ausdrücklich. Sie hat mit ihrem Fachwissen wichtige Punkte angesprochen – einige Fragen sind dennoch offengeblieben. Es wird hier von zahlreichen Anstrengungen und umfassender Prüfung seitens des Klinikums gesprochen. Wie sehen diese Anstrengungen und Prüfungen aus? Hat man nicht zu früh zulasten der Patienten aufgegeben? Die Leidtragenden sind die Patienten und die Beschäftigten des MVZ.“

Grüne: Schnell neue Bewerber für den Sitz finden

Monja Roepke, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, erklärt: „Den wirtschaftlichen Erfolg eines MVZ oder einer Arztpraxis nach der ersten Quartalsabrechnung zu beurteilen, ist nach unserer Meinung nicht möglich. Ärzte und auch andere Selbstständige finanzieren in der Regel zwei Jahre vor, bevor sich ein Betrieb eingespielt hat, deshalb wundern wir uns sehr über die schnelle Einschätzung des Krankenhauses.“

Kreis, Stadt und Verbandsgemeinden förderten bereits Neugründungen und Übernahmen in einer haus- oder fachärztlichen Praxis mit je 50.000 Euro seit 2022. Trotzdem könne das nicht verhindern, dass immer mehr Arztpraxen wegbrechen, zum Teil wegen Überalterung oder gar wegen des Todes des Arztes. Der Ärztemangel sei nicht mehr zu übersehen.

Ihr Fraktionskollege, der Mediziner Eduard Erken, ergänzt: „Hoffentlich begreifen Bundes- und Landespolitiker endlich, dass mehr Studienplätze für Ärzte dringend gebraucht werden.“Bis dahin sollte die Kommunalpolitik gezielt und koordiniert folgende Maßnahmen umsetzen, um die ärztliche Versorgung zu verbessern. Es bleibe zu hoffen, dass der Kassensitz erhalten bleibe, sich schnell neue Bewerber finden und die Kassenärztliche Vereinigung den Sitz dann auch besetzt.

Frederik Grüneberg (CDU): Schlag ins Gesicht

Frederik Grüneberg, CDU-Fraktionssprecher, wird deutlich: „Die Schließung der Urologie als MVZ unter Leitung des Klinikums und somit der SHG-Gruppe ist für mich nicht nachvollziehbar und ein herber Schlag für unsere Stadt und weit darüber hinaus.“ Die fachärztliche Versorgung in einer immer älter werdenden Gesellschaft werde auf kurz oder lang zu einem der „Soft-Skills“ einer Region werden, der für die Menschen so wichtig werde, dass das darüber entscheiden werde, ob sich Familien hier ansiedeln oder einen anderen Ort als ihre Heimat bevorzugten.

Als Kommunalpolitiker könne einen diese Entscheidung der SHG nicht kalt lassen: „Wir müssen mit Geschäftsführer Bernd Mege und der SHG-Gruppe ins Gespräch kommen. Die Krankenhauslandschaft im ganzen Land Rheinland-Pfalz leidet seit vielen Jahren. Mir ist es ein ganz besonderes Anliegen, dass wir mittel- und langfristige Pläne zum Erhalt diverser Fachrichtungen am Standort Idar-Oberstein erarbeiten und auch umsetzen.“

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