Messerstecherei in Oberstein
Erinnerungslücken bei Opfer und Zeugen
Der tagsüber so idyllische Helmut-Kohl-Europaplatz war Tatort einer mysteriösen Schägerei mit Messereinsatz.
Hosser

Die auf sieben Tage angesetzte Hauptverhandlung am Landgericht Bad Kreuznach gegen einen 24 Jahre alten Syrer wegen versuchten Totschlags verspricht weiter Spannung.

Schon zu Beginn der Verhandlung gerieten die Schwurgerichtsvorsitzende Dr. Claudia Büch-Schmitz und die Verteidigung immer wieder in kleine verbale Scharmützel. Die interessante Ankündigung „Der Angeklagte wird sich durch Schweigen verteidigen“ ließ erwarten, dass man auf ein Duell der Worte setzen wolle: Mal charmant in Gestik und Wortwahl gleich einem Florettkampf, mal mit harter Ansage wie beim Säbelfechten.

Das durften inzwischen die Vorsitzende Richterin ebenso wie einer der Dolmetscher in arabischer Sprache sowie der psychiatrische Sachverständige Dr. Thomas Meyer (Vallendar) erfahren. Bei Letztgenannten hatte Verteidiger Roj Khalaf (Würzburg) Befangenheit angemahnt. Der Dolmetscher, Lehrbeauftragter an der Uni Mainz, wurde sogar so hart angegangen, dass man geradezu Mitleid bekam. Letztendlich wurden aber keine Befangenheitsanträge gestellt.

Auch das Tatopfer, das sich mit unpräzisen Schilderungen im Tatablauf und Erinnerungslücken infolge Trunkenheit hervortat, blieb nicht verschont. Als in einer Sitzungspause Tatopfer und Bruder sich im Flur in arabischer Sprache unterhielten, kritisierte dies der Strafverteidiger. Der Vorsitzenden selbst hatte zuvor schon das Verhalten auf der Zuschauerbank deutlich missfallen. Dort ging es zeitweise wie im Taubenschlag zu, weil Zuschauer öfters kurz den Saal verließen. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass in Richtung der auf dem Flur wartenden Zeugen entsprechender Austausch erfolge.

Märchenstunde aus 1001 Nacht

Angesichts der Erinnerungslücken beim Opfer und drei Versionen zu den Hintergründen der Schlägerei vom vergangenen Jahr auf dem Helmut-Kohl-Europaplatz in Idar-Oberstein konnte man der Richterin den Eindruck nicht verdenken, einer Märchenstunde aus 1001 Nacht vorzusitzen. Die falsche Behauptung eines angeblichen „Treppensturzes“ als Grund für den Blutverlust tat ein Übriges – die drei Messerstiche in den Oberkörper waren der tatsächliche Anlass der ärztlichen Inanspruchnahme im Klinikum Idar-Oberstein.

Staatsanwältin Laura Soukup musste auch bei den anderen Zeugen Widersprüche feststellen. Insgesamt sollen vier Zeugeneinlassungen im Sinne einer falschen uneidlichen Aussage auf strafrechtliche Relevanz geprüft werden. Ob bereits Verfahren eingeleitet sind oder noch werden – die Staatsanwältin blieb schmallippig. Zentraler Beweis ist eine Videoaufnahme, die von einem bereits vor Gericht angehörten Zeugen stammt. Dieser Mitschnitt war in den Sitzungssaal eingespielt worden. Die Qualität der Bildaufnahmen lässt allerdings noch Wünsche offen.

Eine Zeugin, Schwägerin des Angeklagten, wurde über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt, wollte aber dennoch aussagen. Ob sie sich damit selbst einen Gefallen getan hat, wird der weitere Prozessverlauf noch zeigen. Denn ihre Einlassung widersprach krass den früheren Angaben. Die Vorsitzende und Staatsanwältin Soukup versuchten, ihr eine „Goldene Brücke“ zu bauen – es nutzte nichts. Sie blieb dabei, bei dem Angeklagten keine Verletzungen gesehen zu haben. Aber Schnittverletzungen waren an Mittel- und Zeigefinger festgestellt worden. Und die wiederum sollen laut Aussagen des Angeklagten gegenüber einem anderen Zeugen „von dem Messer stammen“, mit dem dreimal zugestochen worden war.

Zeugin bestreitet Aussage bei der Polizei

Die Zeugin bestritt auch hartnäckig, dass der Angeklagte nach der Tat bei ihr in der Wohnung übernachtet und von dort mehrere Telefonate geführt habe. Das aber hatte sie bei der Kripo so geäußert, es gibt einen Aktenvermerk. Nun unterstellt sie dem Kriminalbeamten, dass es ein solches Gespräch nie gegeben habe. Auch habe sie für den Angeklagten keine Wäsche gewaschen. Er sei zwar in der Nacht an ihrer Haustür gewesen, habe geklopft, sei aber von ihr nicht eingelassen worden.

Die Telefonate und der Standort waren für Verteidiger Khalaf ein besonderer Angriffspunkt. So konnte er einen anderen Kriminalbeamten verunsichern, in welchem Team eine hinterfragte Vernehmung durchgeführt wurde. Der betreffende Kriminalbeamte hatte einen anderen Vernehmer in Erinnerung. Das wiederum nutzte der Strafverteidiger sofort aus, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern.

Im Ansatz strebte er das auch bei einem weiteren Kriminalisten aus Trier an. In diesem Prozessstadium war man geneigt, dass das Verfahren mangels Beweisen geradewegs in den Freispruch führen müsse. Der 36-jährige Kriminaloberkommissar als Hauptsachbearbeiter bei diesem Verbrechen hatte allerdings ganze Arbeit geleistet: Anhand der beschlagnahmten Videoaufnahmen während der Schlägerei waren Standorte von Personen nachvollziehbar. In der Hand von einem der Personen konnte man ein metallisch glänzendes, spitz verlaufendes Werkzeug erkennen. Dazu die Feststellung, wonach der Angeklagte zugegeben hatte, ein Messer mitgeführt zu haben, sowie die scharfrandigen Schnitte an seiner rechten Hand.

Stammen Verletzungen von einem Handy?

Diese könnten aber auch durch das beschädigte Mobiltelefon entstanden sein – so die Theorie der Verteidigung. Genau dieses Umklammern stellte der Beamte nach: beidseitig rage nur ein Messer in gefilmter Handhaltung. Hatte die Verteidigung, der stringenten bisherigen Prozesstaktik folgend, bereits die Aufhebung des Haftbefehls angedacht, so wurde der notwendige Antrag nun doch nicht gestellt.

Blieb noch die strittige Aussage der Schwägerin des Angeklagten. Von wo aus wurde telefoniert? Auch da konnte der Kriminalist Licht ins Dunkel bringen. Die Hoffnung von Verteidiger Khalaf, man könne nur den Funkturm eingrenzen, bei dem sich das Handy des Angeklagten eingeloggt hatte, sezierte der Beamte: Er habe nicht nur einen weit entfernten Funkturm eingrenzen können, sondern anhand der gespeicherten Geodaten im Smartphone eine Genauigkeit von 10 Metern – um die Wohnung der Schwägerin. Dazu erläuterte der Kriminalist das Auffinden von Selfies, die mit der Hauptkamera des Beschuldigtenhandys gefertigt worden waren: 15 Minuten nach der Tat wurden klaffende Wunden an Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand des Angeklagten fotografiert. Von denen die Schwägerin – wie gesagt – nichts bemerkt haben will. Trübe Aussichten also nicht nur für den Angeklagten und seine Verteidigung… (Weiterer Bericht folgt.)

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