Bundestagspräsidentin im Amt
Ein Hauch mehr Staatsfrau statt Julia von der Nahe
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im Gespräch mit unserer Zeitung: Die erste Woche im neuen Amt liegt hinter der Guldentalerin, die sich ihrer neuen Aufgabe und Verwantwortung sehr bewusst ist.
Annika Scheidt/Büro Klöckner

Seit dem 25. März ist sie die neue Präsidentin des Deutschen Bundestages. Alles anders für Julia Klöckner? Nein. Alles so wie bisher? Nicht ganz... 

Ein fröhliches „Hallo“ auf den Lippen, hier ein paar nette Worte, dort kurz geplaudert – und natürlich Hündin Ella dabei: Julia Klöckner eben. So kennt man sie in ihrem Wahlkreis, an der Nahe, seit sie 2002 die politische Bühne betreten hat. Wie sie so herzlich und offen zur Mittagszeit in die Brasserie in Idar reinspaziert, Cappuccino und einen Salat mit Putenstreifen bestellt, könnte man meinen, dass sich rein gar nichts geändert hat seit der Bundestagswahl. In weiten Teilen stimmt das auch.

In manchen Bereichen aber auch nicht: Seit dem 25. März ist Julia Klöckner Bundestagspräsidentin und hat damit das zweithöchste Amt in Deutschland inne – der bisherige Höhepunkt ihrer langen politischen Karriere mit vielen Höhen und Tiefen. Die Folge: ein Hauch weniger Julia Klöckner „unplugged“, ein bisschen mehr Staatsfrau, die ihr neues Amt mit Würde vertritt.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gehörte zu den ersten Gratulanten.
Tobias Koch

Mehr als 700 Glückwunsch-WhatsApp hat sie nach der Wahl erhalten, dazu unzählige E-Mails. Die 52-Jährige blickt zurück auf den größten Tag in ihrem Polit-Leben: „Es ging ja alles so schnell, ich hatte überhaupt keine Zeit.“ Das galt auch für die Kleiderauswahl, die von jetzt auf gleich geregelt werden musste. Freunde und Familie klapperten in Bad Kreuznach die Boutiquen ab, schickten Fotos der aus ihrer Sicht passenden Teile (darunter den Hosenanzug samt Weste in edlem Off-White). Von Berlin aus wählte Klöckner ihr Outfit. In der Boutique wurde eine große Tüte gepackt, wünschte Glück – und ab ging es mit der Familie, die bei der Bundestagspräsidentinnen-Wahl live mit dabei war, in die Bundeshauptstadt und in Klöckners Kleiderschrank.

„Ich habe definitiv ein Schlafdefizit.“
Julia Klöckner ist seit Monaten stark eingespannt.

Ihr Schmuck war auffällig: „Die Kette stammt von Freunden aus der Normandie, die mich dann auch sofort anriefen und sich freuten. Ringe und Ohrringe kommen natürlich aus Idar-Oberstein.“ Ein Stück Heimat, das zum großen Moment dazugehörte. An der Rede, die sie nach der Wahl hielt, habe sie den ganzen Sonntag gesessen: „Die Sätze mussten ein bisschen reifen.“ Ihre größte Angst, als sie die Rede hielt: „Dass mein I-Pad kein Akku mehr hat und plötzlich ausgeht.“

Als sie dann nach der Wahl oben am Rednerpult gestanden habe, sei das schon mit Blick auf die Tribüne, wo Freunde und Familie saßen und mitfieberten, ein berührender Moment gewesen. „Stolz? Nein... Nicht unbedingt. Ich weiß noch sehr genau, wie ich in der Nacht nach der Wahl angesichts des neuen Wahlrechts gezittert habe um den Einzug in den Bundestag. Das war ja hauchdünn. Und alles danach wäre ja nicht passiert, wenn es nicht geklappt hätte. Dieses nicht nachvollziehbare Wahlrecht... Da müssen wir ran. Dafür werde ich mit sorgen.“

Dass nach dem ersten Wahlgang am 25. März für sie schon alles in trockenen Tüchern war, damit hatte Klöckner nicht unbedingt gerechnet: „Es hätte auch anders ausgehen können. Das war uns bewusst.“ Der designierte Kanzler Friedrich Merz, der direkt neben ihr saß, sei als erster Gratulant sehr emotional gewesen. „Er kann schon sehr gefühlvoll in bestimmten Situationen sein, das glaubt man so gar nicht.“

„Mutig und überparteilich zu agieren, das hat mir Norbert Lammert, von 2005 bis 2017 Bundestagspräsident, geraten.“
Julia Klöckner schätzt den 76-jährigen Christdemokraten sehr.

Interview reihte sich an Interview. Und da schmeckte Klöckner nicht alles: Zwei Journalistinnen hätten im Stil „Was befähigt sie dazu, Bundestagspräsidentin zu sein?“ gefragt. „Ich verstehe das nicht. Hätte man das auch einen Mann gefragt? Warum fragen ausgerechnet Frauen so etwas Frauen?“ Sie mag diesen unterschwelligen Zynismus, dieses Abwertende überhaupt nicht. Interviewanfragen gebe es ohnehin en masse. Ihre klare Ansage: „Erst sind mal meine Heimatzeitungen dran. Die gab es nämlich schon vor meiner jetzigen Wahl.“

Am Sonntag ging es zu einer Seniorenfeier des DRK nach Heimbach, am Donnerstag steht ein Besuch bei der K.-H. Müller Präzisionswerkzeuge GmbH in Sien an. „Ich bin und bleibe ja Abgeordnete. Da gehört das dazu. Vielleicht nicht mehr in dieser Masse und mit mehr Vorplanung. Anders geht das nicht.“ Einfach mal so auf den Jahrmarkt in Bad Kreuznach oder den Veitsrodter Prämienmarkt? Geht das noch? Wie sieht es mit Personenschutz aus? „Klar. Das ist ein Thema. Da wird die Gefahrenlage vorher immer gecheckt. Aber zu den Märkten nicht zu gehen, ist keine Option. Dann wäre ich ja nicht mehr ich.“ Ihr ländlicher Wahlkreis sei sicherlich ein Vorteil in vielerlei Hinsicht: „Da stellen die Nachbarn mal eine Kiste Äpfel vor meine Tür. Einfach so. Alles wie vorher.“ Anders als in der Blase Berlin, in der man schon mal an Bodenhaftung verlieren könne.

„Mein neues Büro muss moderner werden: auch mit Blick auf die Digitalisierung.“
Klöckner hatte einige Aufgaben für die IT.

Weiterhin werde sie Berlin-Fahrten für Schüler und Ehrenamtler der Region anbieten und versuchen, an der oberen und unteren Nahe präsent zu sein. Für Klöckner kommen bei ihrer neuen Aufgabe auch Termine auf internationaler Ebene dazu, bei denen sie den Bundestag repräsentiert. Wenn Menschen sich von der Demokratie entfernten, müsse man sie eben wieder an Demokratie heranführen: „Mit Transparenz und Präsenz, ohne den Diskursraum immer weiter einzuengen.“

Ihr neues Büro als Bundestagspräsidentin sei doch ein wenig altbacken: „Da muss Moderne und Frische rein. Das gilt auch für die IT. Als ich einen eigenen Drucker in meinem Büro wollte, hat man mich ganz irritiert angeschaut. Ich könne doch drucken lassen. Will ich aber nicht. Das Thema Digitalisierung ist tatsächlich eins. Das muss alles endlich mal auf Höhe der Zeit sein. Im Bundestag werden Berge von Papier hin- und hergeschoben. Immer noch.“

Das neue Parlament mit einer verdoppelten AfD zu führen, wird kein Ponyhof. Das weiß sie. Der Blick von vorn statt aus dem Abgeordnetenbereich verändert den Blickwinkel: „Ich werde keinem die kalte Schulter zeigen. Formal!“ Inhaltlich sei das natürlich etwas anderes. Ein wenig mehr Zurückhaltung, weniger Spontanität und Impulsivität, mehr „elder stateswoman“: Da bewegt sich etwas bei Klöckner. Das ist deutlich spürbar. Diplomatie und Zurückhaltung sind neben deutlicher Werte-Positionierung Tugenden, die die Christdemokratin nun stärker als bisher in den Fokus rücken muss: „Friedrich Merz hat mir geraten, vor jeder Antwort das Wort ,einundzwanzig’ zu denken. Macht er auch so“, lacht sie. Die Regierung stehe aus ihrer Sicht in der zweiten Maiwoche: „Früher klappt das nicht.“ Und am Sonntag geht es für Klöckner wieder zurück nach Berlin.

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