Kultur Das sanierte Industrieensemble Bengel wird am Sonntag eröffnet
Ein Denkmal für eine besondere Ära: Bengel wird eröffnet

Das Herzstück des Industriedenkmals Bengel ist die Produktionshalle mit Dutzenden völlig intakter Kettenmaschinen. Wenn Karl-Dieter Braun (2. von links), der letzte Geschäftsführer der Jakob Bengel KG und heutige Stiftungssprecher, „den Riemen auflegt“, der die Maschinen über eine in Fußhöhe befindliche Welle antreibt, laufen sie surrend an und tun ihre Arbeit wie seit hundert Jahren. Foto: Stefan Conradt

Stefan Conradt

Idar-Oberstein. Dieses Ensemble ist einzigartig – und wäre beim schweren Hochwasser 1995, bei dem sogar die Naheüberbauung keinen Schutz mehr bot, beinahe zerstört worden. Das Desaster – die Fluten standen damals brusthoch in den Fertigungshallen – war der Startschuss für die aufwendige Sanierung und Restaurierung des Wohn- und Fabrikensembles in der Obersteiner Wilhelmstraße, an deren Ende nach gut 15 Jahren des Planens und Bauens am Sonntag die Eröffnung des Industriedenkmals Jakob Bengel steht.

Wenn Besucher heute durch die Fabrik schlendern, scheint es so, als sei die Zeit stehen geblieben, als hätten die Arbeiter die Maschinen abgestellt und die Werkzeuge abgelegt, um am Montag wieder weiterzuarbeiten. Alle in der Blütezeit der Obersteiner Bijouteriewaren entwickelten Maschinen sind frisch geölt und voll funktionsfähig. Alte Lichtschalter und Stromversorgungen, stapelweise Akten und Rechnungen im Büro, Entwürfe und Konstruktionszeichnungen in den Vitrinen und an der Wand – es riecht förmlich nach Lokalgeschichte. Und dennoch sehen die Besucher ein modernes Museum mit allen Sicherheitsvorkehrungen, einer modernen Stromversorgung, es gibt Sprenkleranlagen, Verkaufsräume und behindertengerechte Toiletten.

In der Blütezeit der Kettenfabrik Jakob Bengel und der anderen Obersteiner Industriebetriebe waren mehr als 5000 Menschen dort in der Schmuck- und Metallwarenindustrie beschäftigt, erfährt man in der von Julia Wild konzipierten Dauerausstellung. „Das Ensemble von Wohn- und Fabrikbauten, bestehend aus der 1873 erbauten Fabrik mit dem einzig erhaltenen Fabrikschornstein in Oberstein, einem Anbau für die Kettenmaschinen aus dem Jahr 1932 sowie den 1892 errichteten Arbeiterwohnungen und der Fabrikantenvilla aus der Zeit des Jugendstils, spiegelt exemplarisch die soziale Wirklichkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts“, sagt sie. „Seit 2005 als regionales Kulturerbe ausgezeichnet, belegt das Ensemble die wirtschaftliche und sozialgeschichtliche Bedeutung, welche die Produktion von Bijouteriewaren bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts für Idar-Oberstein darstellte.“

Die Innovation in der Branche, bei der Bengel stets ein Vorreiter war, führte dazu, dass aufgrund der zunehmenden Automatisierung immer mehr ungelernte Arbeitskräfte eingesetzt werden konnten, womit man sich auf dem Weltmarkt gegen starke Konkurrenz behaupten konnte. Allein bei Bengel waren rund 300 Heimarbeiter – vor allem Frauen – angestellt, die für ein paar Groschen Ketten und andere Produkte montierten. Doch auch Goldschmiede und Stahlgraveure wurden gebraucht. Ganz wichtig waren die „Mustermacher“ – heute würde man Designer sagen. Zahlreiche erhaltene Musterbücher zeugen von der Ideenvielfalt jener Epoche. Einige Art-Déco-Modelle aus dem Hause Bengel werden mittlerweile von der Firma Stephan wieder produziert und werden ob ihres zeitlosen Chics weltweit nachgefragt.

Eine der wichtigsten Innovationen war der Schleuderguss, der die Möglichkeit eröffnete, komplexe, dreidimensionale Schmuckentwürfe in serieller Fertigung umzusetzen. Veredelungsformen wie die Feuervergoldung, das Zaponieren, bei dem die Metallteile mit einem speziellen Lack überzogen wurden, oder das Eloxieren (die Galvanisierung und Oberflächenveredelung von Aluminium) stehen wie der Werkstoff Galalith, ein halbsynthetischer Kunststoff auf Milchbasis, für die Blütezeit der Obersteiner Bijouterie, die mit dem Industriemuseum Bengel endlich ein Denkmal bekommt. Stefan Conradt

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