„Durch diesen Text kann es gelingen, dass sich die Welten der Trauernden und der (Noch-)Nicht-Trauernden ein wenig einander annähern. Bücher zum Thema gibt es zahlreiche, diese werden jedoch meist nur von Trauernden selbst gelesen. Mit der Broschüre sind einige wichtige Punkte kurz und doch verständlich erklärt, sodass diese schnell erfasst und verinnerlicht im täglichen Leben abgerufen werden können“, sagen die Heys.
Sie blicken zurück: „Als unser Sohn Max an diesem Pfingstsonntag 2015 verstarb, hat es nur Minuten gedauert, bis sich das Unglück in unserem kleinen Ort herumgesprochen hat. Viele kamen unmittelbar zum Kondolieren und um uns beizustehen. Wir haben gemeinsam geweint, beklagt, geschwiegen, getrauert. Trauer braucht diese Resonanz, die eine Gemeinschaft geben kann. Und wir haben gemeinsam gewartet, gewartet darauf, dass er in Hottenbach in der Trauerhalle aufgebahrt werden würde und wir unseren toten Sohn mit eigenen Augen sehen konnten, um vielleicht doch das Unglaubliche im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen zu können.“
Es gab kein Zurück mehr
Max war nur kurz hinter der Ortsgrenze von Hottenbach in einer langen geraden Linie, die man im niedergefahrenen Gras des Seitenstreifens gut ausmachen konnte, in den Straßengraben und gegen ein darin befindliches Betonrohr gefahren, wodurch sich der Traktor überschlagen hatte. „Zahlreiche Hinweise deuten darauf hin, dass nicht der Unfall zum Tod geführt hat, sondern vielmehr der Tod zum Unfall“, sagen die Eltern.
Die Heys, zur Familie gehört eine Tochter, erfuhren viel Unterstützung, Beistand und aktive Hilfe durch Freunde, Nachbarn und Familie. Mit der Zeit gingen Freunde, Familie, Nachbarn jedoch auch wieder in ihr eigenes Leben zurück, das ihnen geblieben war. „Nur für uns, für uns gab es eben kein Zurück mehr. Wir hatten Pläne, Ziele und Hoffnungen für die Zukunft und mussten lernen, dass nichts sicher ist. Es gibt keine Sicherheiten oder Gewissheiten. Dabei dachten wir, wir hätten unsere Kinder ganz sicher bis an unser Lebensende.“
Eine große Einsamkeit wurde deutlich spürbar, da die Heys im Freundes- und Bekanntenkreis die einzigen Eltern waren, die um ein verstorbenes Kind trauerten: „Wir waren in einer neuen Normalität gelandet, in der wir uns nicht auskannten. Alles musste nach dem Tod von Max neu gedacht werden. Werte und Prioritäten verschoben sich. Wo ist der eigene neue Platz, wenn sich elementare Dinge verändern, Gewichtungen verschieben? Wir trauerten, wollten uns mitteilen, verstanden werden. Redeten wir zu viel oder zu wenig? Was machten wir falsch oder richtig? Es fehlte uns an Orientierung. Wo war der Plan für einen solchen Fall? Heute wissen wir, dass es keinen Plan für Trauer gibt.“
Max hatte eine starke Präsenz im Leben, schildern die Eltern. „Wenn er kam, dann war einer da. Immer mittendrin in einem intensiven Leben. Und nichts war ihm wichtiger als der Kontakt und der Austausch mit Menschen. Er hat mit allen und jedem geredet – und das ausschließlich im Dialekt. Dieser Kontakt und der Austausch mit Menschen, der Max so wichtig war, das kam uns, seinen Eltern, mit der Zeit immer mehr abhanden.“
Manche wollten die trauernden Eltern schonen, andere stellten Ansprüche, wieder andere mieden das Elternpaar: „Unsicherheiten, wohin man sah. Und wir hatten kaum Kraft, um auf alles angemessen reagieren zu können. Das alles geschah gefühlt gleichzeitig und gepaart mit dem Wunsch und der Hoffnung der Freunde und Familie, dass man doch bitte wieder zurückfindet in sein altes Leben und wieder so wird, wie man vor dem Tod des Kindes war. Es schien so, als ob niemand außer uns selbst die unglaubliche Unmöglichkeit dieses Gedankens begriff.“
Dazu kam die Sorge, dass Max in Vergessenheit gerät, Erinnerungen verblassen, er irgendwann einmal kein Thema mehr ist: „Daher ist es sehr schwer für uns, wenn nicht mit uns und über ihn gesprochen wird. Wir fühlten uns verloren in unserer neuen Realität. Und es fehlte eine offene Kommunikation über unsere Trauer, Verzweiflung und Ohnmacht einerseits und die Sorgen, die sich andere um uns machten, die Unsicherheiten, Hilflosigkeit und eigene Trauer in unserem Umfeld andererseits. Rücksichtnahme, Unsicherheit und Angst auf beiden Seiten verhinderten einen notwendigen Austausch.“
Ein Jahr nach dem Tod des Sohnes haben die Heys die offene Trauergruppe des Vereins „Trauernde Eltern und Kinder“ in Mainz besucht. Unsicher, zweifelnd, verletzt, einsam. „So unterschiedlich die Menschen in der Trauergruppe auch waren und in unserer aktuellen Gemeinschaft auch noch sind, es eint uns diese schmerzhafte Erfahrung des Verlustes eines geliebten Kindes und die Veränderungen, die sich daraus für den Rest des eigenen Lebens ergeben.“
Austausch bietet Resonanz
Der ursprüngliche Freundes- und Bekanntenkreis hatte sich mit der Zeit etwas ausgedünnt, „Menschen haben sich von uns abgewandt, und einige wertvolle (und belastbare) Kontakte halten bis heute, Bekannte von früher zeigen sich angesichts unserer Geschichte ganz neu und sind zu Freunden geworden. Neue Freunde und Bekannte sind in unser Leben getreten, die uns nur mit unserer Geschichte kennen.“
Doch es gebe eine Grenze, die diese beiden Kreise der Trauernden und (Noch-)Nichttrauernden voneinander trennt: „In der Trauergruppe des Vereins haben wir eine neue, wichtige, bis heute tragende Gemeinschaft und auch neue Freunde gefunden, mit der wir unser Schicksal teilen. Es ist eine Vertrautheit entstanden, deren Austausch die Resonanz bietet, die in unserer Trauer weiterhin wichtig ist. In der Trauergruppe ist mit seiner Trauer keiner allein.“
Siebeneinhalb Jahre später ist dieses Gefühl der Einsamkeit und des Alleinseins immer wieder einmal spürbar: „Dies kann in einem überfüllten Park ebenso der Fall sein wie bei einer Familienfeier. In der Zeit seit dem Tod von Max ist bei uns zudem die Gewissheit entstanden, dass wir mit unserem Schicksal nicht allein sind, dass es Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Therapeuten, Vereinen, neuen Freunden und zugewandten Menschen gibt, die uns eine Zeit lang hilfreich zur Seite stehen. Dass durch den massiven Eingriff und den Wandel, den der Tod unseres Kindes bewirkt hat, zahlreiche Änderungen in unserem Leben stattfinden, müssen wir akzeptieren. Wir wollen immer wieder selbst in Handlung gehen, Wünsche äußern, Unterstützung annehmen und unser Leben selbst gestalten, so anstrengend und kraftraubend das in unserem speziellen Fall als verwaiste Eltern auch ist. Erfahrungen teilen wir gern, schmerzvoll erlangte Lehren geben wir gern weiter, um nach Möglichkeit andere Menschen in ähnlichen Situationen zu unterstützen. Unsere Kinder – ob lebendig oder verstorben – werden bis zu unserem letzten Atemzug in unseren Herzen sein.“