Mitten in der chilenischen Atacama Wüste, im Nationalpark Pan de Azucar, mehr als eine Stunde von jeglicher Zivilisation entfernt, kniet Biologe Patrick Jung über dem aus der Ferne rotbraun erscheinenden, mit Grus, einer kiesartigen Gesteinsart, bedeckten Boden. Mit einem lupenartigen Gerät, das ein wenig wie ein Fernrohr aussieht, betrachtet er den Grus aus der Nähe, tränkt das Gestein mit Wasser. So will er zeigen, dass an diesem lebensfeindlichen Ort, der Atacama Wüste, sich kleinste Lebewesen trotzdem durchsetzen. Mit einem Messgerät, das Fotosynthese nachweist, wird er fündig.
Wie das Leben auf der Erde begann
Diese Bilder sind zu sehen in einer aktuellen fünfteiligen ZDF-Dokumentationsreihe mit dem Titel „Katastrophen der Erdgeschichte“. Denn die lebensfeindlichen Bedingungen der Atacama-Wüste seien vergleichbar mit denen der frühen Erde, heißt es in der Doku. Dort könne gezeigt werden, wie das Leben sich damals bewährt und entwickelt habe. „Vor rund zwei Jahren ist das ZDF auf uns zugekommen. Die ersten zwei Folgen der Dokureihe haben wir in den letzten zwei Jahren komplett gemeinsam mit dem ZDF konzipiert“, sagt Jung.
Denn die Reise in die Atacama-Wüste im Rahmen der Doku ist nicht Jungs erste. Bereits während seiner Promotion besucht er den Ort in der Wüste, der als die lebensfeindlichste und trockenste Region der Erde gilt. 2016 entdeckt er dort etwas, was bisher keinem anderen Forscher bekannt war: eine sogenannte biologische Bodenkruste. Das ist ein Mikroökosystem, bei dem nicht organische Bodenpartikel wie der Grus von Mikroorganismen, zum Beispiel von Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt, oder Grünalgen, verbunden und stabilisiert werden.
Die Cyanobakterien sind ein Hauptgegenstand von Jungs Forschung. Das Besondere an diesem Fund: Bisher ging die Geologie davon aus, dass sich eine solche Bodenkruste nur auf verwitterndem Material wie Erde oder Holz entstehen könne. Dass auch der Grus in der Atacama-Wüste diese Mikroorganismen beherbergen kann, war eine absolute Weltneuheit.
Klimawandel neu verstehen
Mit weitreichenden Auswirkungen: Bisher sei die Atacama Wüste in Klimamodellen und Berechnungen nicht beachtet worden, sie zählte als leblos, berichtet Jung. Doch die von Jung dort entdeckten Mikroorganismen wie die Cyanobakterien und Grünalgen fordern ein Umdenken. Denn sie betreiben Fotosynthese, bei Lichteinfall speichern sie CO2 und geben als Abfallprodukt ihres Stoffwechsels Sauerstoff ab. Der Nationalpark Pan de Azucar, flächenmäßig ungefähr doppelt so groß wie Frankfurt, trägt also, anders als gedacht, seinen Teil zum Weltklima bei. In der ZDF-Doku heißt es, durch diese Mikroorganismen sei die Erdatmosphäre entstanden.
Die Cyanobakterien hätten die Fotosynthese sozusagen erfunden, seien mehr als zwei Milliarden Jahre alt und das erste Lebewesen, dass diese Art des Stoffwechsels betrieb, sagt auch Jung. „Mit den Erkenntnissen können die Folgen des Klimawandels besser berechnet und eingeschätzt werden“, kommentiert der Biologe seine Forschung. „Ein absoluter Zufallsfund“, gibt Jung zu. Doch diese Entdeckung habe seine Neugier und Leidenschaft entfacht.
Eine Leidenschaft, die bereits in Jungs Kindheit und Jugend in Wilzenberg-Hußerweiler im Kreis Birkenfeld begann. „Ich habe schon damals mit meinen Großeltern gern im Garten gearbeitet, gepflanzt. Pflanzen waren für mich schon immer interessant“, erinnert der 33-Jährige sich. Dabei sei ihm auch zugutegekommen, dass das kleine Dorf im Hochwald von Natur umgeben sei. „Ich war immer draußen, habe von klein auf in Unterhose im Schwollbach gespielt und bin durch die Wälder gerannt.“
Sein Abitur erlangte er am Gymnasium in Birkenfeld. An der RPTU Kaiserslautern-Landau studiert er Biowissenschaften im Bachelor und molekulare Biodiversität im Master und promoviert im Projekt EarthShape, wo er auch seine bahnbrechende Entdeckung macht. Für die Cyanobakterien begeisterte ihn ein Professor während des Studiums. „In seinem Labor standen Gläser voll mit blauem und grünem Schleim, das war etwas, das man mit bloßem Auge sehen konnte, was in der Biologie selten ist. Das hat mich fasziniert“, sagt Jung.
So ist es kein Wunder, wie auch Jungs Labor am Standort der Hochschule Kaiserslautern in Pirmasens, wo seine aktuelle, zehnköpfige Forschungsgruppe angesiedelt ist, sich präsentiert. In Reagenzgläsern fein säuberlich in Wandregalen sortiert, kleben grüne, blaue oder rote Punkte wie Schimmel am Glas. In anderen schlängeln sich glibberige Organismen, die weit mehr nach Algen aussehen als ihre punktförmigen Verwandten. Von hier koordiniert Jung auch ein Netzwerk von Forschern aus 21 Ländern, die sich mit den Mikroorganismen beschäftigen. Jung ist in seinem Forschungsprojekt vor allem für die Entdeckung, Kategorisierung und Beschreibung der Bakterien und Algen zuständig.
Mit Algen den Mars besiedeln
Dafür traut der 33-Jährige sich neben der Atacama-Wüste auch regelmäßig in andere Gebiete, um die Touristen eher einen Bogen machen. Vom ewigen Eis der Aletschgletscher in den Höhen der Schweizer Alpen bis in die Tiefen einer Höhle im spanischen Kantabrien ist Jung den besonderen Algen auf der Spur. „Auch wenn es ein absolutes Privileg ist, dorthin reisen zu können, für die beeindruckenden Landschaften habe ich oft nur ein halbes Auge übrig“, gibt der Biologe zu. Denn sein Augenmerk gilt den verschiedenen Arten des kleinsten Lebens, das sich dort findet. Dabei kann es durchaus auch gefährlich zugehen. „Du musst wissen, wo die Grenze ist“, sagt Jung. Beim Abstieg in die enge Höhle oder dem Aufstieg auf den Gletscher sei ihm ein ums andere Mal etwas mulmig zumute gewesen. „Da treibt meine Leidenschaft mich voran“
Denn seine Entdeckungen sind nicht nur theoretischer Natur. Ein Kollege im Forschungsprojekt kümmert sich um die Anwendungsmöglichkeiten der entdeckten Algen. Und die sind vielfältig: So könnten die Cyanobakterien in Biokraftwerken, angebracht an Gebäuden in dafür geschaffenen Fenstern, vermehrt werden, als Nahrung dienen und so Ackerflächen einsparen. „Cyanobakterien sind essbar und zum Beispiel für die blaue Farbe der Haribo-Schlümpfe verantwortlich“, erklärt Jung. In Symbiose mit Pilzen bilden die Grün- und Blaualgen Flechten und so eine Bodenkruste, die zum Beispiel in Wüsten zum Erosionsschutz genutzt werden können und so die Ausbreitung von Wüsten verhindern.
Mit einem ähnlichen Prinzip stellt Jung selbst auch eine Art Beton her, der ohne CO2-Emissionen produziert werden kann. Nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel, auch im Bereich Terraforming könnten die Algen angewendet werden. Da die Mikroorganismen mit ihrer Fotosynthese auch die Erdatmosphäre geschaffen haben, könnte ein solcher Prozess theoretisch auch über geologische Zeitalter hinweg auf dem Mars stattfinden, wenn man die Organismen dort ansiedelt, meint Jung.