Jubiläum in Stipshausen
Die neue Glocke wurde nach Martin Luther benannt
Am 16. Aprill 1950 stand die neue Glocke blumengeschmückt zur Einsegnung vor der Kanzel der evangelischen Kirche zu Stipshausen
Hermann Mosel. Repro Hermann Mosel

Etliche Gemeinden hatten während der beiden großen Kriege ihre Glocken zwangsweise abgeben müssen. Eine Neubeschaffung war aufgrund hoher Kasten schwierig. Doch in Stipshausen war man 1949 einfallsreich.

Im Verlauf des Ersten Weltkrieges hatte die evangelische Kirchengemeinde Stipshausen eine ihrer beiden Glocken abgeben müssen. Sie wurden eingeschmolzen, um daraus Kanonen zu fertigen. Am 2. August 1925 konnte man eine neue Glocke in Betrieb nehmen. Deren 100-jähriges Jubiläum hätte man in diesem Jahr feiern können. Doch auch diese Glocke musste wieder abgegeben werden, für den von Hitler angezettelten Zweiten Weltkrieg.

Dennoch kann die Hunsrückgemeinde in diesen Tagen ein Glockenjubiläum feiern. Das ist allerdings eher einem Zufall zu verdanken. Mitte Dezember 1949 tauchte unvermittelt ein Mitarbeiter des Bochumer Vereins für Gußstahlfabrikation beim Presbyterium auf. Der Vertreter hatte zuvor von der katholischen Pfarrei Rhaunen einen Auftrag für vier neue Stahlglocken erhalten. Nach entsprechenden Tonanalysen im Turm, wo noch eine uralte in der Tonart „es“ klingende Bronzeglocke beide Weltkriege unangetastet überstanden hatte, empfahl er den Stipshausenern eine Stahlglocke mit dem Schlagton „c‘‘.

Diese Empfehlung sprach für Sachkenntnis, hatte die vorhergehende Glocke doch die gleiche Tonlage. Darüber hinaus machte er das Angebot, die Glocke bis zum kommenden Osterfest liefern zu können, wenn die „Stiebser“ ihre Glocke gemeinsam mit den vier Glocken der Rhauner Katholiken bestellen würden.

Pfarrer Karl-Ludwig Thoma stellte die Pläne im nächsten Sonntagsgottesdienst vor, wo die Gemeinde durchweg begeistert reagierte. Der Auftrag für 1227 D-Mark wurde umgehend telegrafisch erteilt, die Beschaffungskosten wurden von den Gemeindegliedern aufgebracht, es wurde gesammelt. Beim Namen der Glocke wählte man den des Reformators Martin Luther.

Am 22. April 1950, eine Woche nach der Einsegnung, wurde die Glocke mit dem Namen des Reformators Martin Luther in den Glockenturm gezogen.
Hermann Mosel. Repro Hermann Mosel

Etliche Gemeinden hatten während des Krieges ihre Glocken zwangsweise abgeben müssen. Deshalb hatte sich der Bochumer Verein auf die Herstellung von Stahlglocken spezialisiert und war damit sogar weltweit erfolgreich. Auch die Friedensglocke in Hiroshima stammt aus der Fabrikation des Bochumer Vereins. Während man in Rhaunen die Glocken schon zu Palmsonntag einsegnen konnte, klappte es in Stipshausen mit der Zusage zu Ostern nicht. Am 16. April 1950, dem Sonntag nach Ostern, stand das neue Geläut aber, mit Blumen geschmückt, zur feierlichen Weihe vor der Kanzel.

Ein jeder durfte die neue Glocke anschlagen

Die Gemeinde sang die Choräle „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen“ und „Eine feste Burg ist unser Gott“. Der Gesangverein intonierte „Ich bete an die Macht der Liebe“ und das „Sanctus“ aus der Deutschen Messe von Franz Schubert. Ein Schülerchor trug den „Alten Ostergesang“ von Michael Praetorius vor. Am Ende des Gottesdienstes zog die Gemeinde an der Glocke vorbei, und jeder durfte einmal anschlagen.

Am darauffolgenden Sonntag, dem 22. April 1950, zog man die 289 Kilogramm schwere Glocke in den Turm hinauf. Wegen deren Durchmesser von 84 Zentimetern, 6 Zentimeter mehr als die bronzene Vorgängerin, musste eigens das Schallloch erweitert werden. Danach konnte die Glocke erstmals den Sonntag einläuten, gemeinsam mit der alten Bronzeglocke aus dem Jahr 1493. Die hatte seinerzeit Meister Clas von Enen vermutlich vor Ort gegossen. Der aus Ehnen in Luxemburg stammende Glockengießer hat entlang der Mosel, von Lothringen bis Koblenz und auf den Höhen von Eifel und Hunsrück, rund 30 Glocken gegossen. Viele davon tragen, wie jene in Stipshausen, den Namen Maria. „MARIA HEISCHEN ICH CLAS VON ENEN DER GOS MICH ANO MCCCC + XCIII“, lautet die Inschrift der Stiepser Glocke. Eine der vielen Legenden rund um die ehemalige Heilig-Geist-Kapelle im Idarwald sagt, diese Glocke stamme ursprünglich von dort oben. Allerdings wird das auch für Hausen und Schauren überliefert.

Der Begriff Glocke soll übrigens auf das irisch-gälische Wort „clocc“ beziehungsweise das schottisch-gälische „clag“ zurückgehen. Iro-schottische Wandermönche sollen sie, damals noch in handlicher Form, auf ihren Missionsreisen verbreitet haben. Seit dem Mittelalter laden Glocken die Gläubigen zu Gebet und Gottesdienst, teilen den Tag durch Morgen-, Mittag- und Abendläuten zeitlich ein und waren so probate Hilfsmittel für die Bevölkerung (Wetterläuten) und bei Bedrohungen etwa bei Überfällen und im Brandfall. Dass sich Menschen durch Geläut belästigt fühlen, ist hingegen ein neuzeitliches Phänomen.

Top-News aus der Region