Die beiden Angeklagten, zwei rumänische Staatsbürger ohne Deutschkenntnisse, waren von vier Justizbeamten mit Fußfesseln in den Sitzungssaal geführt worden. Beide sitzen seit Februar 2024 in Untersuchungshaft. In ihrer Mitte nahm die Dolmetscherin Platz, die simultan den juristischen Ablauf übersetzte. Als Staatsanwalt Günter Horn die Anklageschrift über gut 30 Minuten im recht gut besuchten Sitzungssaal verlas, wurde dann deutlich, warum der Richter den Aktenstapel nicht als Sportgerät benötigte: Es handelte sich um drei Fälle von Diebstahl, zweifache Sachbeschädigung und 43 Fälle von Computerbetrug.
Der Anklage zufolge hatten die beiden Angeklagten, 49 und 43 Jahre alt, arbeitsteilig Debitkarten (die früheren EC-Karte) von drei Bankkunden an Geldautomaten in Birkenfeld, Trier und Kirn gestohlen und via „Shoulder surfing“ auch die PIN ausgespäht. Die älteren Personen hatten sich zuvor an Geldautomaten mit Bargeld versorgt. Das war die Stunde für die beiden stets gewaltlos vorgehenden Täter. Geschickt hatte man in einer Bank in Trier den Sichtschutz über der Tastatur zur PIN-Eingabe abgetrennt (daher der Anklagepunkt Sachbeschädigung). Während die PIN ausgespäht wurde und Kunden derweil die Geldscheine aus dem Geldautomaten entnahmen, warf einer der Täter einen 20-Euro-Schein auf den Fußboden und wies den Bankkunden „fürsorglich“ auf den Geldschein hin. So abgelenkt verschaffte sich der zweite Täter mit schnellem Griff die Scheckkarte. Und mit dieser ging es dann in nahegelegene Geschäfte zum „Einkauf“ bzw. man bediente sich an einer anderen Geldmaschine – mit vierstelligen Bargeldbeträgen. Selbst in der Nähe befindliche Zigarettenautomaten lieferten mit Einsatz der gestohlenen Debitkarte und erspähter PIN die gewünschten Glimmstängel aus.
Beweislage war erdrückend
Ein einträgliches Geschäft, mit dem die drei gezielt abgelenkten und dadurch unaufmerksam gewesenen Bankkunden fast 17.000 Euro einbüßten – das bedeutete später sehr viel Ärger für die arglosen Geschädigten. Die Hausbanken nahmen sie nicht immer ernst und verweigerten Ersatz – wie später ein Geschädigter noch anschaulich schildern sollte.
Direkt nach dem Vortrag von Staatsanwalt Horn meldete sich Verteidigerin Ottilia Bojo-Lamers (Essen) zu Wort und regte ein Rechtsgespräch an. Ein Signal in Richtung „Deal“. Einer solchen strafprozessual geregelten Verständigung waren Gericht und Staatsanwaltschaft nicht abgeneigt. So bietet sich die Chance, den Strafprozess zu verkürzen. Um 9.50 Uhr war dann erstmalig eine Unterbrechung angesagt. Um 10.40 Uhr diktierte Vorsitzender Richter Marcel Oberländer der Justizbeamtin das Ergebnis der „Erörterung von Sach- und Rechtslage“ ins Protokoll: Eine Verfahrenseinstellung kommt nicht in Betracht. Scheinbar aber das ganz schnelle Ziel der beiden Verteidigerinnen mit Blick auf die weiteren, jetzt schon anstehenden Verhandlungen in Heidelberg und Zweibrücken.
Nur: Hier war der erste juristische Einstieg in die Tatserie. Da will die Justiz zuerst mal ihren Pflock einschlagen – denn hier war die Beweislage nach sehr guter Polizeiarbeit erdrückend. Der Aktenberg und die lange Liste an geladenen Zeugen war klares Indiz. Eine Gesamtstrafe unter zwei Jahren kam für den Staatsanwalt nicht in Betracht, das Gericht selbst blieb in der Frage ebenfalls stumm.
Nachdem die Verständigung gescheitert war, berichteten die beiden auffallend höflichen Angeklagten aus ihrem Leben. Man kannte sich aus der rumänischen Heimat und war 2022 mehr zufällig nach Deutschland auf legale Arbeitssuche gekommen. Beide verheiratete Familienväter, der eine Berufsmusiker, der andere Kfz-Mechaniker. Aber ohne Sprachkenntnisse war es ein schwieriger Start. Dann gab es einen Vorschlag aus der rumänischen Community – die sie jetzt ins Gefängnis brachten.
Prozess war schnell zu Ende
Ihren JVA-Alltag – bis auf zwei Telefonate mit der Familie – ohne jeden Kontakt: nur eine Stunde Hofgang, ansonsten 23 Stunden in der Zelle. Mit dem Geständnis ohne Wenn und Aber konnte der Gerichtsvorsitzende das Beweisprogramm und Staatsanwalt Horn die Anzahl der angeklagten 43 Einzeltaten wegen Computerbetrug auf 31 Fälle zusammenstreichen. Nur ein wartender Geschädigter, ein 76-jähriger Krebspatient, wurde angehört. Er war am Weltspartag 2023 um 15.05 Uhr in einer gutbesuchten Filiale in Kirn durch einen 20-Euro-Schein am Boden abgelenkt worden, als er danach das Ziehen von 600 Euro am Kontoauszugsdrucker kontrollierte. Beim Einschieben der vermeintlich eigenen Debitkarte war diese sofort eingezogen worden. Kein Wunder – die beiden Täter hatten ihm eine falsche, zuvor ebenfalls gestohlene Karte untergeschoben.
Während er sich hilfesuchend an das Bankpersonal wandte, wurde nach einigem Hin und Her die eingezogene falsche Debitkarte einer Frau aus dem Automaten geholt. Wo seine sei? Er fühlte sich als scheinbar „verwirrter Greis “ nicht ernst genommen. Es dauerte geschlagene 40 Minuten, bis seine Debitkarte gesperrt war – Zeit genug für die beiden Angeklagten, sich selbst auf Kosten des schwerkranken Rentners mit rund 1300 Euro Bargeld zu versorgen …
Bei so viel Einsehen auf Seiten von beiden Verteidigerinnen Julijana Hermann (Brühl) und Ottilia Bojo-Lamers (Essen) sowie der beiden Angeklagten war der gedacht lange Prozess schnell zu Ende: Staatsanwalt Günter Horn forderte zwei Jahre Haft, die beiden Strafverteidigerinnen wollten keine Mätzchen, stellten Notlage und Einsehen beider Angeklagter in den Vordergrund. Sie forderten „eine Haftstrafe unter zwei Jahren“ oder „eine milde Strafe“. Seltene Szene im Gerichtssaal, als beide Strafverteidigerinnen die Frage an die Mandantschaft bekannten: „Wie kommt man mit über 43 Jahren auf die Idee, als Familienvater so einen Scheiß zu machen?“ Beide Mandanten entschuldigten sich durchaus glaubwürdig bei dem Geschädigten, der sich dazu eher ablehnend zeigte: „Ich kenne ja den Hintergrund.“ So war der Prozess am frühen Nachmittag mit dem Urteil des Schöffengerichts überraschend schnell zu Ende: zwei Jahre Haft ohne Bewährung. Weitere Urteile kommen in Heidelberg und Zweibrücken hinzu. Angeklagte wie Verteidigung und Staatsanwaltschaft nahmen das Urteil noch im Gerichtssaal an, sodass es Rechtskraft hat.