Nach Unfalltod bei Rinzenberg
Betroffenheit im Gerichtssaal war jederzeit zu spüren
Symbolbild
dpa/Marcus Führer

Wenn die Betroffenheit groß ist, wird es leise im Gerichtssaal...

Seltene Eintracht bestimmte eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Idar-Oberstein. Und dabei war der Anlass ein überaus trauriger, weil bei einem tragischen Verkehrsunfall auf der B 269 bei Rinzenberg am 9. Februar 2024 eine 89-jährige Beifahrerin zu Tode gekommen war. Auch die den Kleinwagen steuernde Tochter, die aus Richtung Morbach nach Birkenfeld unterwegs war, wurde schwer verletzt.

Die Anklage richtete sich gegen einen damals 19-jährigen Auszubildenden, der in der Verbandsgemeinde Morbach wohnt. Auch er wurde bei dem Zusammenstoß schwer verletzt. Die Frage, die am Anfang stand, war die nach dem „Wie konnte das geschehen?“ Der junge Mann war mit seinem Verteidiger Welf Fiedler (Birkenfeld) erkennbar bemüht, die Hintergründe aufzuarbeiten. Demnach sei er an dem trüben Tag von seiner Freundin aus Richtung Birkenfeld gekommen und hatte noch ein kurzes Telefonat über die Freisprechanlage des Pkw mit seinem Bruder geführt.

Das Gespräch war schon 10 bis 15 Sekunden beendet, als sein Pkw in einer langgezogenen Linkskurve mit einem Rad kurz auf den unbefestigten Seitenstreifen geriet und dadurch die Reifenhaftung verlor und damit Fahrstabilität. Der junge Mann versuchte noch gegenzulenken, verlor aber – auch mangels fehlender Fahrpraxis - die Kontrolle über den Wagen. Dieser stieß seitlich frontal gegen den entgegenkommenden Kleinwagen der 60-jährigen Fahrerin und ihrer auf dem Beifahrersitz sitzenden Mutter.

Jugendrichter Johannes Pfeifer geht mit großer Sorgfalt vor

Jugendrichter Johannes Pfeifer ließ bei der Befragung von Angeklagtem und der als Zeugin gehörten Unfallgegnerin seine ganze Berufserfahrung von mehr als 20 Jahren erkennen. Mit großer Ruhe, aber auch richterlicher Sorgfalt hinterfragte er die Dramatik des Unfallgeschehens - eine wohltuende Gesprächsführung, die dem Unfallopfer wie dem  Angeklagten gleichermaßen angemessen waren.

Als das Unfallopfer von den Sekundenbruchteilen vor dem Zusammenstoß berichtete, musste der junge Mann seine Tränen unterdrücken. Es gelang ihm nicht – zu sehr waren  auch seine Erinnerung und Verzweiflung ins Gedächtnis eingebrannt und mit den Worten der bis heute noch leidenden Frau verknüpft. So, als ob beide, aber von unterschiedlichen Blickwinkeln aus, den jeweils anderen bestätigen wollten.

Der Angeklagte schilderte überzeugend, dass er im Fahrzeug eingeklemmt gesessen habe, aber einen der Unfallhelfer gebeten habe, sich um die Personen im gegnerischen Fahrzeug zu kümmern. Er sei okay – obwohl er verspürt habe, dass sein Oberschenkel gebrochen und sein Ellbogen zertrümmert war: „Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie ich auf den Randstreifen kam.“ Er habe sich auch nach dem Befinden der übrigen Verletzten später im Krankenhaus erkundigt. Was die durch Brustbein- und Rippenbrüche sowie Wirbelverletzungen und einem Sprunggelenkbruch schwer verletzte Frau als Zeugin bestätigte: „Das hat mir sehr geholfen, weil ich erkannte, dass er ehrlich und empathisch war.“

„Es gibt in diesem Fall nur Verlierer.“
Jugendrichter Johannes Pfeifer

Sie berichtete von den letzten Worten ihrer Mutter („Was macht der?“), bevor es auch schon krachte und splitterte, schilderte präzise die Überschläge des Pkw, die Endlage auf dem Dach, ihr Bemühen, sich im Sicherheitsgurt hängend zu lösen und den Moment, als sie im Klinikum Idar-Oberstein die Todesnachricht erhielt. Auch ihre Worte der Hilflosigkeit, Verzweiflung und Dankbarkeit an die Rettungskräfte vor Ort, die der Angeklagte mit gesenktem starrem Blick und Tränen stumm kommentierte.

Ein weiteres Puzzle zum Gesamtverhalten, dass Richter Pfeifer später in seine mündliche Urteilsbegründung einband: „Ich kenne sie jetzt erst eineinhalb Stunden, habe aber den Eindruck, dass Ihnen der Unfall sehr nahe gegangen ist.“ Alle Gerichtsbeteiligten waren sich immer wieder in einem Ergebnis einig, dass Jugendrichter Pfeifer, Staatsanwalt Wolfgang Jung und Verteidiger Welf Fiedler unisono aufgriffen: „Es gibt nur Verlierer.“

Denn außer einem tragischen Fahrfehler durch fehlende Fahrpraxis konnte man am Prozessende keine klassische Ursache ergründen: Der IT-Sachverständige Norbert Faßbender vom Polizeipräsidium Trier betonte, dass das letzte Telefonat definitiv vor dem Unfall beendet war. Durch die zerstörte Autobatterie sei die Bluetooth-Verbindung zwischen Smartphone und Freisprecheinrichtung abgerissen.

Aufbauend auf das wegen Erkrankung verlesene schriftliche Gutachten des Kfz-Sachverständigen Frank Schuler (Kirn) lag die Kollisionsgeschwindigkeit des Angeklagten bei etwa 75 km/h, die der entgegenkommenden Unfallgegnerin bei etwa 80 km/h. Der Sachverständige schloss insoweit ursächlich eine überhöhte Geschwindigkeit sowie technische Mängel aus. Er stellte vielmehr das ungeklärte Abkommen von der Fahrbahn und eine zu starke, reflexartige Lenkbewegung bei gleichzeitigem Bremsen in den Vordergrund.

Schicksalhaftes Augenblicksversagen

Staatsanwalt Jung hatte die Obduktion der Leiche beantragt, um angesichts des hohen Alters des verstorbenen Unfallopfers die genaue Todesursache zu belegen. Nur so ist eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung nachweisbar. Mit Gutachten der Rechtsmedizin Mainz lag die Todesursache in innerem Verbluten nach Ruptur der Brustschlagader.

Ankläger, Verteidiger und Richter sahen übereinstimmend keine schädlichen Neigungen beim Angeklagten, erkannten auf Anwendung von Jugendstrafrecht und sahen im Unfall ein schicksalhaftes Augenblicksversagen. Der Angeklagte wurde verwarnt und muss 2000 Euro in monatlichen Raten zu 150 Euro an den Hospizverein Morbach zahlen. Das Urteil wurde von allen Prozessbeteiligten noch im Sitzungssaal angenommen und ist damit rechtskräftig.

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