Unter dem Motto „United By Music“ ging am Samstag der Eurovision Song Contest 2025 in der Schweiz über die Bühne. Basel richtete den Wettbewerb aus. Mittendrin: Torsten Gerber aus Idar-Oberstein, glühender ESC-Fan, der eine Geschichte zu erzählen hat, die besonders gut zum diesjährigen ESC-Motto passt. In Basel waren die Gerbers zwar nicht in der Halle (sie hatten keine Tickets mehr ergattert), sondern beim riesigen Public Viewing im Baseler Fußballstadion direkt neben der Halle mit 36.000 Mitfeiernden: Party pur.
Der 52-Jährige zu seiner ESC-Leidenschaft: „Ich habe, seit ich denken kann, fast jedes Jahr das ESC-Finale gesehen und später dann auch mit meiner Frau Nina. Meine erste Erinnerung an den ESC ist tatsächlich Nicoles Sieg aus dem Jahr 1982. Damals war ich neun Jahre alt. Aber wie bestimmt 90 Prozent der Zuschauer habe ich eben immer nur das Finale und sonst nichts gesehen, keine Halbfinals oder gar nationalen Vorentscheide.“ Und das hat sich geändert: Gerber verfolgt das ESC-Geschehen, sobald es beginnt. Eigentlich ein Ganzjahres-Thema für den IT-Controller, der bei der Commerzbank Frankfurt arbeitet.

Es gab tatsächlich einen Schlüsselmoment, der das ESC-Fieber anheizte. Das war vor fast genau vier Jahren mit all den Ereignissen, die im Anschluss passiert sind, und die man sich fast nicht spannender ausdenken könne, blickt er zurück: „Beim ESC-Finale am 22. Mai 2021 in Rotterdam haben mich ein Song und eine Band so geflasht, wie es mir vorher in meinem Leben noch nicht passiert ist. Sprichwörtlich in Sekunden hatten mich ein Song, eine Band mit ihrer extrem charismatischen Frontfrau und deren Auftritt so gefesselt, dass er aus heutiger Sicht ohne Übertreibung mein Leben in vielerlei Hinsicht auf den Kopf gestellt hat.“
Gerber spricht vom Song „Shum“ der ukrainischen Electro-Folk-Band Go_A mit Sängerin und Kopf der Band Kateryna Pavlenko. Die Band wurde damals Fünfter, im Publikumsvoting sogar Zweiter, und gehört heute zu den ikonischen Auftritten der ESC-Geschichte: „Das Lied hat mich dazu gebracht, mich nicht nur mit der Band und deren Geschichte, sondern auch mit dem von mir zuvor wenig beachteten Land Ukraine zu beschäftigen – wohlgemerkt noch vor der russischen Invasion am 24. Februar 2022.“ Außerdem kaufte sich Gerber erstmals seit mehr als zehn Jahren, obwohl er eigentlich kein Konzertgänger ist, wieder Tickets für ein Konzert: Es waren Gigs seiner Lieblingsband in Deutschland geplant.
„ Musik kann viel bewirken.“
Davon ist Torsten Gerber überzeugt.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. „Mir ist es im Januar 2022 überraschend gelungen, online mit Kateryna Pavlenko in Kontakt zu kommen und diesen zu halten. Die Kontakte haben sich auch auf ihr Umfeld ausgedehnt. Dann kam der Tag der russischen Invasion, und ich war plötzlich per Chat virtuell live dabei. Ich bekam mit, wie Menschen aus ihrem Umfeld, die meisten wohnen in Kiew und Umgebung, die ersten Stunden und Tagen der Invasion erlebten. Das war schon prägend. Dann suchte Kateryna Pavlenko an Ostern 2022 plötzlich per Social-Media mit einem etwas kryptischen Post Hilfe bei ihren deutschen Freunden. Ich schrieb sie an, und sie antwortete, dass eine Familie (ein 17-jähriges Mädchen – ebenfalls großer Fan der Band – mit Mutter und Großmutter) nach einer tagelangen Flucht aus der Ostukraine in Niederbayern gestrandet sei und nicht wisse, was sie nun in dem für sie völlig fremden Deutschland tun solle. Kateryna gab mir die Kontaktinfos zur Familie, und ich war plötzlich ohne jegliche Erfahrung Flüchtlingshelfer auf Distanz.“
Trotzdem gelang es Gerber, mit Dolmetscher-Hilfe einer anderen jungen in Deutschland lebenden Ukrainerin (auch ein Go_A-Fan) – nach einigen deutschen bürokratischen Hürden, mit vielen Telefonaten und E-Mails – eine Wohnung in Würzburg bei wunderbaren Vermieterinnen zu finden. „Anfang Juni 2022 habe ich drei dann in ihrer niederbayerischen Flüchtlingsunterkunft abgeholt und in ihr neues Zuhause gebracht. Ihre alte Wohnung in der Ostukraine wurde einige Monate danach von einer russischen Rakete zerstört. Diese Geschichte festigte natürlich den Kontakt zu Kateryna Pavlenko. Durch die Invasion wurden die deutschen Konzerte verschoben, und meine Frau und ich haben die Band dann erstmals im August 2022 nach einem Konzert in den Niederlanden persönlich getroffen. Ein unvergesslicher Abend.“

Exakt ein Jahr nach der Invasion, am 24. Februar 2023, waren die Gerbers dann erstmals auf einem Go_A-Konzert in Berlin. „Nach dem sowieso aufgrund des besonderen Tages sehr emotionalen Konzert haben sich Kateryna und Sofia, das 17-jährige Mädchen, das erste Mal persönlich getroffen und in den Armen gelegen. Außerdem war das gesamte Team der Fluchthilfe erstmals an einem Ort vereint. Ein Moment für die Ewigkeit. Ich war inzwischen fünfmal auf Go_A-Konzerten, habe jedes Mal Kateryna und die Band kurz treffen können, und stehe mit ihr – sicher nicht ständig, aber doch regelmäßig – in Kontakt. Ich bin mittlerweile mit der faszinierenden Persönlichkeit, die am 22. Mai 2021 von Rotterdam aus wie ein Blitz in unseren Fernseher eingeschlagen ist, befreundet. Das ist der Grund, warum ich seit vier Jahren ein echter Eurofan bin und mich der ESC mittlerweile nahezu das ganze Jahr unterhält.“
„Beim ESC-Finale am 22. Mai 2021 in Rotterdam haben mich ein Song und eine Band so geflasht, wie es mir vorher in meinem Leben noch nicht passiert ist.“
Torsten Gerber über einen Moment, den sein Leben verändert hat.
Es gebe noch so viel mehr einzelne Momente und Details in den vergangenen vier Jahren, die seine Einstellung zum Land Ukraine, zu Politik und Weltgeschehen und zum Leben generell geändert haben, betont er.
Und der ESC in Basel? Deutschlands 15. Platz mit Abor & Tynna findet Gerber „enttäuschend trotz bester Performance aller Liveauftritte im Wettbewerb“, wie er auf seiner Facebook-Seite schreibt. Die erste ESC-Live-Experience in der Arena sei genial gewesen. „Der riesige Video-Cube war beeindruckend. Wenn man die Künstler auf der Bühne oben auf dem Würfel sieht, werden einem die Ausmaße erst bewusst. Da wir ziemlich weit unten gesessen haben, hatten wir zwar keine gute Direktsicht auf die Bühne. Aber der Blick auf den Cube und damit die Liveübertragung aus der Halle waren perfekt.“
„Ich werde schon versuchen, Tickets zu ergattern.“
Torsten Gerber möchte den ESC 2026 in Österreich besuchen.
Das Stadion mit den 36.000 gut gelaunten und vielen singenden und tanzenden Zuschauern, bunt gemischt aus allen Nationen in einem freundschaftlichen Miteinander habe eine tolle Atmosphäre geliefert, freut sich Gerber. Der Hauptvorteil gegenüber der Halle: Man sehe alles aus der gewollten Kameraperspektive mit allen Videoeffekten, Blickwinkeln und Nahaufnahmen, die man drinnen gar nicht mitbekommen könne.
Nach dem ESC ist vor dem ESC. Geht es im nächsten Jahr nach Österreich? „Ich werde schon versuchen, Tickets zu ergattern“, sagt Gerber, dessen Musikgeschmack breit gefächert ist.