Leiter des Arbeitsamts
Beim Abenteuer Aufbau Ost hautnah mit dabei
Alfred Stein hat die Erinnerungen an seinen Beitrag zum Aufbau Ost zu Papier gebracht. Als Gedächtnisstütze diente ihm dabei die Dokumentenmappe aus jener Zeit.
Knaudt Kurt. Kurt Knaudt

Der Vollmersbacher Alfred Stein, damals Leiter des Arbeitsamts Idar-Oberstein, hat nach dem Fall der DDR beim Aufbau der Arbeitsverwaltung im Osten Deutschlands geholfen. Seine Erinnerungen hat er nun zu Papier gebracht.

Es war Mitte des Jahres 1990, als die Bundesanstalt für Arbeit Freiwillige für einen besonderen Einsatz suchte: Sie sollten dabei helfen, das bundesdeutsche System der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung in der Endphase der damals noch existierenden DDR einzuführen. Zu den rund 900, die sich schließlich auf den Weg in den Osten machten, gehörte auch Alfred Stein, der damalige Leiter der Geschäftsstelle Idar-Oberstein des Arbeitsamtes Bad Kreuznach.

„Diese anspruchsvolle, aber auch reizvolle Aufgabe hat mich sofort interessiert und neugierig gemacht“, erinnert sich der heute 77-Jährige. „Wobei ich gar nicht wusste, was auf mich zukommt.“ Sein Beitrag zum Aufbau Ost wurde ein Abenteuer, an das er trotz der damit verbundenen Hindernisse mit eher positiven Gefühlen zurückdenkt. Auch deswegen, „weil man viel bewegen konnte und wir mit offenen Armen empfangen wurden“. Aber es war eine Herkulesaufgabe, aus dem Stand eine funktionierende neue Behörde nach westlichem Muster zu schaffen – und das auch noch unter hohem Zeitdruck.

Anfangs rumpelte es an allen Ecken und Enden

Zum Aufgabenbereich von Alfred Stein gehörte unter anderem die Neuorganisation der vier dem Hauptamt Zwickau angegliederten Geschäftsstellen. Erwartungsgemäß hakte und rumpelte es anfangs an allen Ecken und Enden. Für einen Probelauf war keine Zeit: „Man konnte es mit einer Maschine vergleichen, die bereits im Montagestadium unter Last laufen musste“, sagt Alfred Stein.

Er und seine Mitstreiter sahen sich mit vielen Problemen konfrontiert: Neben geeigneten Verwaltungsgebäuden, Mobiliar und Büroausstattung waren auch qualifizierte Mitarbeiter Mangelware. Ein Telefonnetz existierte nur ansatzweise. Ein privater Anschluss war ein Luxus. In einigen Dienstgebäuden gab es aber ein Telefon mit gut funktionierender Leitung, von den Einheimischen „Stasi-Leitung“ genannt. Bewerbungen für Neueinstellungen wurden sehr genau geprüft. Denn es sollte vermieden werden, dass Angehörige des DDR-Staatsapparats, insbesondere der Staatssicherheit, die Belegschaften unterwanderten. Die Verwaltung des sozialistischen Staats war weiblich geprägt, weil die Männer zumeist werktätig waren. Neu war für die Unterstützer aus dem Westen, dass es einmal im Monat einen Hausfrauentag gab: An dem blieben die Frauen zu Hause, um die Hausarbeit zu erledigen.

Alfred Stein war wie fast alle Aufbauhelfer aus dem Westen waren in einem Plattenbau untergebracht.
Alfred Stein

An den Wochenenden fuhr Alfred Stein wie fast alle seine Kollegen aus dem Westen nach Hause. Bei der Rückfahrt war sein kleiner Polo fast immer mit Material aus der heimatlichen Dienststelle voll beladen. Unvergessen sind für den damals 43-Jährigen, der zweimal für jeweils fünf Wochen in Sachsen weilte, die damals noch zahlreichen Straßen mit Kopfsteinpflaster und der typische DDR-Geruch jener Zeit, „den man sogar auf der Zunge spürte“ – ein Gemisch aus Industrieabgasen, Braunkohleverbrennung und Auspuffgasen von Trabi-Zweitaktmotoren, uralten Lkw und Dieselbussen. Umweltbedenken waren der politischen Führung fremd, Planerfüllung das oberste Gebot.

Auch sonst prallten zwei Welten aufeinander: der westliche Kapitalismus und der DDR-Sozialismus. „Die Menschen haben Freiheit gewonnen, aber Sicherheit verloren“, bringt der gebürtige Obersteiner, der im Umfeld des Marktplatzes aufgewachsen ist, das Dilemma auf den Punkt. Der Staat habe für sie gesorgt, das Phänomen Arbeitslosigkeit war unbekannt. Das sollte sich bald ändern und wurde dann zum Politikum. Kanzler Helmut Kohl hatte mit seinem Versprechen von den „blühenden Landschaften“ große Erwartungen auf bessere Zeiten geweckt. „So war man in ständiger Sorge vor zu stark steigenden Zahlen, die dieses Bild getrübt hätten.“

„Zur Not wurde auch schon mal passend gemacht, was nicht gepasst hat...“
Alfred Stein zur damaligen Arbeitsweise bei der Bundesanstalt für Arbeit im Osten

Die Menschen glaubten zunächst, dass alles besser werden würde. Das schlug sich in Wahlerfolgen der CDU nieder. Nachdem die riesigen Kombinate mit mehreren Tausend Mitarbeitern zerschlagen waren, wurden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Kurzarbeit und Weiterbildung die Zauberworte, mit denen die Statistik geschönt wurde. „Es erforderte besondere Kreativität, geeignete und sinnvolle Maßnahmen zu finden, die auch bewilligt werden konnten“, merkt Alfred Stein dazu an. Hinsichtlich der gesetzlichen Vorschriften „wurde zur Not schon mal passend gemacht, was nicht gepasst hat“.

Alfred Stein erlebte auch mit, wie viele Wessis ihre Landsleute im Osten über den Tisch zogen. Sie drehten den unbedarften Menschen, die sich anfangs vom Westen und der D-Mark wahre Wunder erhofften und voller Optimismus waren, alte Autos und Konsumgüter an. Viele erfüllten sich mit einem VW Golf, egal wie betagt, einen Traum.

Im Arbeitsamt Zwickau war Alfred Stein, der damalige Leiter der Geschäftsstelle Idar-Oberstein, zweimal für fünf Wochen im Einsatz.
Alfred Stein

Der Umbruch war gewaltig: Nachdem die Treuhand ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurden viele Kombinate zerschlagen, Betriebe aller Größenordnungen hatten keine Überlebenschance mehr. Dazu gehörte auch das nach westlichen Maßstäben museal anmutende Trabant-Werk in Zwickau mit seinen 12.000 Beschäftigten. DDR-Produkte wurden bis auf wenige Ausnahmen wie Spreewald-Gurken und Rotkäppchen-Sekt als „nicht westtauglich“ abgeschafft.

2,5 Millionen Menschen verloren ihren Arbeitsplatz 

Das Wirken der Treuhand hat nach den Beobachtungen von Alfred Stein bei vielen Menschen in Ostdeutschland einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. „Tatsache ist, dass bis 1991 circa 2,5 Millionen ihren Arbeitsplatz verloren. Manche waren jahrelang arbeitslos, andere haben gar keinen Job mehr gefunden.“ Viele Führungspositionen werden noch heute von Westdeutschen besetzt. Das Gefühl der Unterlegenheit und Benachteiligung hält an. Damit und mit den noch immer unterschiedlichen Lebenswelten der ehemaligen DDR und dem Westen erklärt sich Alfred Stein, dass seit der jüngsten Bundestagswahl in den neuen Bundesländern durchgängig die Farbe Blau dominiert.

Von Misstrauen, Vorbehalten und enttäuschten Hoffnungen war damals noch nichts zu spüren: „Wir haben kollegial zusammengearbeitet“, blickt der Ruheständler, der mit seiner Frau schon lange in Vollmersbach lebt, zurück. Zu einigen Mitarbeitern dieser ersten Stunden hatte er noch lange Kontakt. „Trotz der allgegenwärtigen Augen und Ohren des DDR-Staatsapparats gelang es, den Menschen, im engeren Umfeld von Familie und Freundeskreis Räume von Geborgenheit und Sicherheit, des gegenseitigen Vertrauens und der Hilfe in vielen Lebensbereichen zu schaffen und zu erhalten“, lautet seine Analyse.

Ihm ist noch ein Satz des aus der DDR ausgebürgerten Liedermachers Wolf Biermann bei seinem Gastspiel in Idar-Oberstein in guter Erinnerung: „Bei euch im Westen ist es so kalt.“ Alfred Stein drückt es anders aus: „Drüben war und ist wohl noch immer mehr Gehaichnis.“

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