Es zeichnete sich bereits in den bisherigen vier Verhandlungstagen gegen einen 43-jährigen Deutsch-Russen ab, dass die Anklage wegen versuchten Mordes nicht zu halten sein wird: Im Zweifel für den Angeklagten. Und solche gab es reichlich. Dafür hatten Täter, Opfer und Zeugen ausreichend gesorgt…
In seiner ersten Einlassung zum Tatgeschehen überhaupt berichtete der Angeklagte, dass er von Aalen in Baden-Württemberg, seinem damaligen Wohnsitz, aus nach Idar-Oberstein zu seiner 46-jährigen Geliebten gekommen war. Die Frau, die er Jahre zuvor über das Internet kennengelernt hatte, war damals - wie auch heute noch - verheiratet, lebte aber seit Jahren von ihrem Mann getrennt. Zum Zeitpunkt des ersten Kontakts saß der Ehemann noch für ein Jahr im Gefängnis, wollte aber offenbar wieder zu seiner Ehefrau zurück – was er in seiner Vernehmung vor Gericht dann aber hartnäckig bestritt. Seiner Schilderung nach sei dies umgekehrt der Wunsch der Ehefrau gewesen, er selbst sei in einer glücklichen neuen Beziehung.
Zwischen dem Liebespaar gab’s häufig Streit
Die neue Verbindung des Angeklagten stand unter keinem guten Stern: Zwischen dem Liebespaar gab es häufig Streit, Eifersucht des angeklagten Liebhabers und sein übermäßiger Alkoholkonsum waren wohl Kernelemente einer insgesamt toxischen Verbindung.
Nach seiner Haftentlassung rief der Noch-Ehemann den Angeklagten an, warf ihm vor, seine Ehe zu zerstören und sparte dabei wohl auch nicht mit Beleidigungen in Richtung der Mutter des Angeklagten, die im Saarland lebt. Ob man sich überhaupt persönlich kennt – es wurde im Prozessverlauf ebenso wenig wie Inhalte der Beleidigung thematisiert. Selbst Angeklagter und Tatopfer hatten nur zweimal direkten persönlichen Kontakt. Jene ungenannten Beleidigungen in Richtung der Mutter sollen aber an dem Angeklagten genagt haben.
In freier Rede über fast eineinhalb Stunden fasste Oberstaatsanwältin Nicole Frohn den Tatablauf zusammen: So sei der Angeklagte am 27. Dezember 2024 in der Wohnung der Frau in Idar-Oberstein gewesen. Dort habe es Streit gegeben. Die Frau habe den Angeklagten nach einem Anruf des späteren Tatopfers (ihr Noch-Ehemann) aus ihrer Wohnung rausgeworfen. Irgendwann sei der Noch-Ehemann in der Nacht auf den 28. Dezember mit einem Taxi angekommen, was der Angeklagte in Wohnungsnähe wahrgenommen hatte. Schließlich sei das Taxi – offenbar mit beiden Eheleuten - wieder weggefahren.
In dieser Phase folgte der erheblich angetrunkene Angeklagte – laut Gutachten waren es zur Tatzeit um die zwei Promille – seiner Geliebten zur Adresse des Noch-Ehemannes in Baumholder, die ihm bekannt war. Er blieb in der Nähe der Wohnung, um seine Geliebte „zu kontrollieren und zu überwachen“, wie es die Anklägerin formulierte. Eifersucht habe dabei eine große Rolle gespielt. Eine direkte Konfrontation habe er in der Phase nicht gezielt gesucht, sie aber für möglich gehalten – ein Grund dafür, ein Küchenmesser mit Klingenlänge von 18,5 Zentimeter in einer Schutzhülle mitzuführen, das er im Hosenbund versteckt hatte. Als Drohgebärde, wie er behauptet.
War das Mordmerkmal der Heimtücke im Spiel?
Von dem Nebenkläger sei er schließlich durch das Fenster außen am Haus der Erdgeschosswohnung gesehen worden. Der Ehemann sei daraufhin ins Freie gegangen, während sich der Angeklagte wieder in Richtung seines geparkten Pkw entfernte. Der Nebenkläger habe seinen Nebenbuhler angesprochen und mit Beleidigungen, auch gegen dessen Mutter, überzogen. In der Phase habe sich der Angeklagte umgedreht und sei wutentbrannt auf seinen Verfolger zugelaufen, habe ihn mit Faustschlägen treffen wollen, schließlich auch das Messer gezückt und in Regionen des Oberkörpers mehrfach eingestochen – insgesamt siebenmal.
Eine gezielte vorsätzliche Tötungsabsicht könne man zwar nicht nachweisen, wohl aber eine bewusste Inkaufnahme eines tödlichen Verlaufes. Der in Abwehrhaltung sich zu schützen versuchende Nebenkläger sei dabei zu Boden gegangen. „Und in der Phase hörte der Angeklagte einfach auf“, so die Anklägerin. Ein ganz entscheidender Punkt in der weiteren Subsumtion zum mindestens bedingten vorsätzlichen Tötungsdelikt – wie von ihr angeklagt. Denn die Oberstaatsanwältin argumentierte später auch in diese Richtung und glaubte sogar auch, dass das Mordmerkmal der Heimtücke vorgelegen habe.
Staatsanwältin: Freiwilliger Rücktritt vom Tötungsversuch
Aber mit Blick auf einen von ihr in dieser dynamischen Phase gesehenen „freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch“ – so die Formulierung in Paragraf 24 Strafgesetzbuch (StGB) – ist der ursprüngliche Tatvorwurf eines Totschlags oder gar Mordes hinfällig. Ein klassischer persönlicher Strafaufhebungsgrund, der die Versuchsstrafbarkeit hin zum Tötungsdelikt aufhebt. Auch wenn vieles - von Zeugen wie Angeklagtem – schöngeredet worden sein mag: Die Anklage muss in sich geschlossen und überzeugend für das Gericht bleiben. An dieser Stelle würde das erkennende Schwurgericht unter Vorsitz der Richterin am Landgericht, Dr. Claudia Büch-Schmitz, normalerweise einen sogenannten Rechtshinweis geben, den die erfahrene Oberstaatsanwältin aber schon frühzeitig und ohne Gerichtsbeschluss per se schon erkannt hatte.
Vielleicht deswegen auch die ruhige Art und fern jeder künstlichen Aufregung gestaltete Verteidigungsstrategie von Rechtsanwalt Johannes Hollinka (Bretzenheim), dem die nonverbalen Signale auch nicht entgangen sein dürften. In seinem Schlussvortrag hatte er sich zwar – eigenem Bekenntnis nach – vorsorglich breiter aufgestellt, fand aber in seinem staatsanwaltschaftlichen Gegenüber die klare Abkehr von der Eingangsanklage des Mordes. So verengte sich am Ende der Plädoyers alles auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung – nicht mehr nur als niederschwellige Tateinheit. Einer Sicht, der sich auch Nebenklagevertreter Philipp Fuchs (Freisen) in seinem Schlussvortrag anschloss. Während die Oberstaatsanwältin für die Tathandlungen bei laufender Bewährung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren forderte, hielt Verteidiger Hollinka drei Jahre für tat- und schuldangemessen.
„Eifersucht ist die kleine Schwester von Alkohol“
Der psychiatrische Sachverständige Dr. Thomas Meyer (Vallendar) hatte in seinem Gutachten zuvor - angesichts der langen Trinkerkarriere des 43-jährigen Angeklagten – bei hochgerechneten 2,17 Promille zur Tatzeit eine Alkoholabhängigkeitsproblematik, Gewalt und Eifersucht in den Mittelpunkt gerückt: „Eifersucht ist die kleine Schwester von Alkohol.“ Seiner Auffassung nach wäre diese Tat ohne Alkohol nicht geschehen. „Wenn es Stress gibt, verliert er die Kontrolle.“ Eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit sei vorhanden gewesen – aber mit „Schwächen“. Er riet zu einer Therapie in der Muttersprache. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hielt Meyer aufgrund einer Gesetzesänderung von 2023 nicht für gegeben.
Die Urteilsverkündung ist für den heutigen Mittwoch vorgesehen.