Seit Dienstag steht ein erheblich vorbestrafter 43-Jähriger wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor dem Schwurgericht in Bad Kreuznach. Der Deutsch-Russe soll den getrenntlebenden Ehemann seiner Freundin, wohl aus Eifersucht, am 28. Dezember vergangenen Jahres zwischen 3.10 Uhr und 3.15 Uhr mit insgesamt sieben Messerstichen in Baumholder zu töten versucht haben, so Oberstaatsanwältin Nicole Frohn. Tatwaffe soll ein mitgeführtes Messer mit einer Klingenlänge von 18,5 Zentimetern gewesen sein.
Der Angeklagte wird von Rechtsanwalt Johannes Hollinka (Bretzenheim) vertreten und schilderte in seiner ersten Einlassung seine schwierige Kindheit ohne Kontakt zum leiblichen Vater, einen gewalttätigen und trunksüchtigen Ziehvater, bestritt aber „eifersüchtig, schon gar nicht krankhaft eifersüchtig“ zu sein. Denn das war eine erste Bemerkung seitens der Vorsitzenden Richterin am Landgericht, Dr. Claudia Büch-Schmitz („Es zieht sich so durch ihr Leben, dass Sie von Eifersüchteleien getrieben sind“): 1981 in Russland geboren, kam er im Alter von 16 Jahren nach Deutschland, lernte hier seine spätere Ehefrau kennen. Beide heirateten 2003, bekamen zwei Kinder. Die Ehe zerbrach 2016. Der gelernte Autolackierer verdingte sich zuletzt als Lkw-Fahrer und lebte von einem Nettoeinkommen über 2200 Euro monatlich. Eigenen Angaben zufolge seien ihm rund 700 Euro im Monat verblieben.
Angeklagter bestreitet Alkoholproblem
Mit etwa 18 Jahren erlebte er den ersten Alkoholrausch mit starken Erinnerungslücken. Drogen seien für ihn nie ein Thema gewesen. Dem Einwand der Vorsitzenden Richterin („Ihren Promillewerten nach müssen Sie schon geübt sein“) widersprach er hartnäckig: „Ich habe kein Alkoholproblem.“ Zu Beginn der Corona-Jahre habe er seine spätere Freundin und Noch-Ehefrau des Tatopfers über das Internet kennengelernt. Zu der Zeit sei der Ehemann im Gefängnis gewesen. Nach der Haftentlassung des Tatopfers ein Jahr später habe dieser ihn angerufen und ihm Vorwürfe gemacht, er würde seine Familie zerstören. Er selbst sei immer ruhig geblieben. Die Vorsitzende bekundete Zweifel – eine Woche vor der Tat gab es einen Chat zwischen Täter und Freundin, bei dem diese ihm mitteilte, sie wolle nicht mit ihm leben, sie sei mit ihrem Liebsten zusammen: „Du bist tot für mich, du gehörst in eine Irrenanstalt“. Ein Chat, den der Angeklagte jedoch bestritt – bis ihm Verteidiger Johannes Hollinka sein Notebook mit dem von der Kripo gesicherten Chat-Text hinschob.
Nachdem die Vorsitzende noch tiefer in den in den Beziehungsdschungel eintauchte, wurde der Angeklagte sentimental. Warum seine Ehe gescheitert war, wollte er nicht preisgeben („Privatangelegenheit“). Er sei 2018 aus beruflichen Gründen nach Aalen verzogen – auch, weil er dort eine andere Frau kennengelernt habe. Die Frage nach Kontakten zu seiner Familie rührten ihn zu Tränen, als die Sprache auf die Enkelin kam: „Darüber möchte ich nicht reden.“ Oberstaatsanwältin Frohn hatte immerhin einmal im Monat ein zehnminütiges Telefonat aus der Haft mit seiner Mutter genehmigt. Die wiederholte Nachfrage nach Alkoholkonsum als Lkw-Fahrer blieb nebulös: Alkohol habe er nur während Familienfeiern getrunken, niemals als Lkw-Fahrer. Die Anklägerin hielt entgegen, dass er die Fahrerlaubnis nach einer Alkoholfahrt verloren habe – inklusive Arbeitsplatzverlust. Arbeitslosengeld habe er nicht bezogen.
Zeugenanhörungen müssen verschoben werden
Kryptisch verwies die Juristin auf eine eingegangene Akte mit scheinbarem Beziehungsgeflecht zu einer weiteren Frau aus Schwäbisch Gmünd, das im Juli 2022 ein Ende gefunden hatte. Weitere Hintergründe blieben unerörtert. Die Frage des Gerichts, wie es zwischen 1998 und 2024 zu 13 Einträgen in das Bundeszentralregister gekommen war – der Angeklagte blieb stumm: Gewalt, Beleidigungen, Hausfriedensbruch, Widerstand, Trunkenheitsfahrten, Diebstahl. Als der psychiatrische Sachverständige Dr. Thomas Meyer (Vallendar) nachlegte, räumte er sein Alkoholproblem ein („Ja, Alkohol auch, wenn ich traurig war“). Und das schien wohl öfter der Fall gewesen zu sein – jedoch ohne gleichzeitig die Notwendigkeit professioneller Hilfe zu bejahen. Im Gegenteil. Nach 20-minütiger Unterbrechung zog Verteidiger Hollinka die Ankündigung zurück, über die Tathandlung des 28. Dezember 2024 zu sprechen: „Der Angeklagte ist emotional aufgewühlt und dazu nicht in der Lage“.
Das hätte man nach einstündiger Unterbrechung auch für das Tatopfer konstatieren können. Mit Eintreten in den Gerichtssaal sprach er den Angeklagten unmittelbar und aggressiv an – was nicht erlaubt ist. Der 48-Jährige war in Begleitung seiner Tochter gekommen und schien ersichtlich unter den Tatfolgen physisch wie psychisch zu leiden. Nach durchaus turbulenten und lauten Ansagen konnten Vorsitzende und Anklägerin unter Mühen doch noch Ordnung in den Vernehmungsverlauf bringen – auch wenn der sich ungeplant auf drei Stunden ausdehnte. Dadurch mussten die Anhörungen von vier bereits wartenden Zeugen auf den 24. Juni verschoben werden – es wäre ansonsten eine Nachtsitzung geworden.
Opfer kann Tatwaffe nicht identifizieren
Der schlanke und drahtig wirkende 48-jährige Geschädigte berichtete, dass er seit zwei bis drei Jahren von seiner Frau getrennt lebe, eine Freundin habe. Kontakt bestehe zur Ehefrau nur wegen der gemeinsamen Kinder. In der fraglichen Nacht sei er von seiner Frau nach Prügelattacken des Angeklagten angerufen und um Hilfe gebeten worden. Er fuhr mit einem Taxi nach Idar-Oberstein, und man kehrte gemeinsam nach Baumholder zurück. Allerdings folgte der Angeklagte. Die Inhalte der früheren polizeilichen und seine jetzige Einlassung wichen deutlich voneinander ab – wohl eine Mischung von Aufregung und damaligen alkoholbedingten Erinnerungslücken. Fakt blieb das ungeplante Zusammentreffen mit dem Angeklagten in Wohnhausnähe. Er habe jemanden außen am Fenster der Erdgeschosswohnung gesehen, sei ahnungslos zum Rauchen nach draußen gegangen und zufällig auf den Angeklagten gestoßen. Er habe kein Messer gesehen. Dieser habe sofort zugestochen und dabei jeweils „Entschuldigung“ gesagt – eine Aussage bei der Polizei, an die er sich jetzt nicht mehr erinnerte. Er berichtete, mit dem Täter trotz der Stiche danach „zum Reden ins Haus gegangen“ zu sein, wo der Täter seine Ehefrau zu Boden gestoßen und gerufen habe: „Ich töte euch beide.“ Infolge eigener Verletzungen habe er seiner Frau nicht helfen können und sei aus Angst geflüchtet. Das im Gerichtssaal vorgelegte Tatmesser konnte er nicht identifizieren („Nein, bei dem Messer wäre ich doch tot gewesen“). Nur: Es gibt keine andere sichergestellte Stichwaffe.
Ganz kurios wurde es, als er im sogenannten Adhäsionsverfahren die Schmerzensgeldforderung seiner beiden Nebenklagevertreter (Rechtsanwalt Philipp Fuchs und Rechtsanwältin Laura Becker, beide Freisen) über 50.000 Euro nie beauftragt haben will. Nicht nur die Anwälte waren darüber irritiert…
Ein in der Nacht herausgeklingelter Freund und dessen ebenfalls noch vernommene Lebensgefährtin leiteten in der Nacht Notarzthilfe ein – Darmschlingen hatten sich bereits aus der Wundöffnung herausgedrückt. Dennoch glaubte der offenbar unter Schock stehende Verletzte, keine ärztliche Hilfe zu benötigen. Ein bekanntes Trauma zeigte sich nach Not-OP und kurzem stationären Klinikaufenthalt: Gegen ärztlichen Rat entließ er sich aus dem Klinikum Idar-Oberstein.
Die Verhandlung wird am Dienstag, 3. Juni, um 9.30 Uhr fortgesetzt.