Verschwundene Spenden, bar ausgezahlte Reisekostenanträge und ein kurzfristig abgesetzter Kreisschatzmeister: In den Finanzen des AfD-Kreisverbands Birkenfeld gibt es offenbar bisher nicht geklärte Ungereimtheiten. Dargelegt werden diese in einem von Rechnungsprüfern des AfD-Kreisverbandes an den Landesvorstand der Partei gerichteten Bericht, der unserer Zeitung vorliegt. Im Mittelpunkt dieser Ungereimtheiten steht die AfD-Kreisvorsitzende Claudia von Bohr, die sich als Kandidatin für die Landtagswahl 2026 aufstellen lassen möchte.
Die 51-jährige Herrsteinerin ist seit April 2024 Kreisvorsitzende der AfD. Sie folgte Sascha Weckmann, der das Amt aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen abgegeben hatte und viereinhalb Jahre Vorsitzender war. Einen Gegenkandidaten hatte von Bohr damals nicht. Weckmann ist im Übrigen vor wenigen Tagen nach eigener Aussage aus der AfD ausgetreten.
Von Bohr für Finanzen zuständig
Mit Blick auf offene Fragen zur Finanzsituation seien laut dem Bericht der Rechnungsprüfer bei einem Bürgerstammtisch mit Nicole Höchst, Bundestagsabgeordnete der AfD, am 22. August 2024 Spenden durch den Kreisverband eingesammelt worden. Von Bohr bestreitet allerdings auf Anfrage unserer Zeitung, dass überhaupt Spenden gesammelt worden seien. Als Zeugen für die Spendensammlung nennt der Rechnungsprüfungsbericht jedoch Teilnehmer des Stammtisches. Die abgegebenen Spenden seien dem Bericht zufolge weder in das Kassenbuch des Kreisverbandes eingetragen noch auf dessen Konto oder in die Barkasse eingezahlt worden. Das Geld sei „offensichtlich verschwunden“, wie die Rechnungsprüfer schlussfolgern.
„Das ist eine Schmierenkampagne gegen mich.“
Claudia von Bohr (AfD-Kreisvorsitzende)
Ein ähnlicher Vorfall soll sich am 24. August 2024 bei einer kommunalpolitischen Schulung des Kreisverbandes wiederholt haben. Auch an diesem Datum seien keine Spenden gesammelt worden, gibt von Bohr an. Der Kreisverband habe abermals von den Schulungsteilnehmern Spenden gesammelt, sollen einige Teilnehmer jedoch erneut gegenüber den Rechnungsprüfern bekundet haben. Auch hier seien die gesammelten Spenden weder in Kassenbuch, Konto noch Barkasse des AfD-Kreisverbandes zu finden, wie die Rechnungsprüfer in ihrem Bericht darlegen. In diesem Zeitraum für die Finanzen zuständig war die Kreisvorsitzende der AfD, Claudia von Bohr.
Von Bohr bewegt Kreisschatzmeister der Birkenfelder AfD zum Rücktritt
Rund zwei Monate zuvor, am 20. Juni 2024, soll von Bohr dem damaligen, am 8. Juni frisch gewählten Kreisschatzmeister der AfD, Mario Lamberti, telefonisch seinen Rücktritt nahegelegt haben, wie im Rechnungsprüfungsbericht steht. Lamberti solle zum 6. September sein Amt niederlegen, dann werde Sascha Schlink übernehmen, soll sie dem damaligen Kreisschatzmeister während des Telefonats mitgeteilt haben.
Dass es ein solches Telefonat gegeben hat, bestätigt von Bohr auf Anfrage unserer Zeitung, sie gibt allerdings an, sich nicht mehr an den genauen Zeitpunkt des Telefonats erinnern zu können. „Weil er (Lamberti, Anm. der Red.) nach seiner und der Meinung aller Vorstandsmitglieder für den Posten nicht geeignet war“, nennt die Kreisvorsitzende der AfD als Grund für die Rücktrittsaufforderung. Lamberti habe keine Buchungen getätigt und sei „fast nie anwesend“ gewesen, fügt von Bohr hinzu.
Nach Informationen unserer Zeitung sowie aus dem Rechnungsprüfungsbericht ersichtlich habe von Bohr den 6. September als Übernahmedatum gewählt, da Schlink aufgrund einer vorherigen Freiheitsstrafe eine fünfjährige Sperre für öffentliche Ämter auferlegt worden sei, die am 6. September endete. „Herr Schlink konnte zu jeder Zeit ein Parteiamt übernehmen“, heißt es dazu vonseiten der AfD-Kreisvorsitzenden. Das sei ihr von Parteijustiziar Robin Classen bestätigt worden. Warum Schlink erst etwas mehr als zwei Monate nach dem Telefonat gewählt wurde, dazu macht von Bohr keine Angaben.
In der Zeit vom 20. Juni bis zum 6. September 2024 übernahm laut Rechnungsprüferbericht Claudia von Bohr die Aufgaben des Schatzmeisters zusätzlich zu ihrem Amt als Kreisvorsitzende, obwohl Lamberti offiziell noch im Amt blieb. Das bestätigt auch von Bohr auf Anfrage unserer Zeitung. Sie habe die Aufgaben gemeinsam mit anderen Vorstandsmitgliedern übernommen.
AfD-Landesschatzmeisterin: „Vorgehen widerspricht internen Regelungen“
In diesen Zeitraum fallen auch die „verschwundenen“ Spenden. Lamberti habe nach Aussagen der Rechnungsprüfer innerhalb des vorliegenden Berichts während seiner Amtszeit weder Zugang zur Barkasse noch zum Kassenbuch des Kreisverbandes besessen. „D ie Ausübung der Ämter von Kreisvorsitz und Kreisschatzmeister in Personalunion ist unzulässig. Sollte der Kreisschatzmeister sein Amt nicht ausüben können, ist unverzüglich eine satzungskonforme Nachwahl durchzuführen. Auch insoweit wurde keine Zustimmung oder Genehmigung meinerseits erteilt“, teilt die Landesschatzmeisterin der AfD, Isabel Michel, auf Anfrage unserer Zeitung an den AfD-Landesvorstand mit.
Weitere Unregelmäßigkeiten sind den Rechnungsprüfern in diesem Zeitraum und darüber hinaus aufgefallen. Laut Eintragungen im Kassenbuch des Kreisverbandes habe von Bohr sich im Zeitraum vom 21. April bis zum 31. Oktober 2024 Reisekostenanträge in Höhe von 1282 Euro in Bargeld auszahlen lassen. Ausgezahlt habe die Beträge in mehreren Fällen Ellen Eck, Beisitzerin im Kreisvorstand der AfD Birkenfeld, wie der Bericht darlegt. Von Bohr bestätigt die Barauszahlungen: Diese seien im AfD-Kreisverband Birkenfeld üblich und durch die Geschäftsordnung gedeckt, teilt die Kreisvorsitzende mit. Auch das sieht AfD-Landesschatzmeisterin Michel anders: „ Barauszahlungen – insbesondere im Zusammenhang mit Reisekosten – sind im Rahmen der haushaltsrechtlichen Vorgaben nicht vorgesehen und werden auch in anderen Kreisverbänden nicht praktiziert. Eine Auszahlung, die ausschließlich von der Kreisvorsitzenden sowie ihrer Stellvertreterin genehmigt wurde, wurde von mir in keiner Weise autorisiert. Ein solches Vorgehen widerspricht den verbindlichen internen Regelungen sowie den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buch- und Kassenführung.“ Für eine ordnungsgemäße Auszahlung über das Konto des Kreisverbandes müsse ein Mehrheitsbeschluss des gesamten Kreisvorstandes schriftlich dokumentiert werden.
Einen Vorstandsbeschluss, dass Eck zu der Auszahlung berechtigt sei, habe es laut Rechnungsprüfungsbericht nicht gegeben. Das bestreitet von Bohr wiederum: „Laut Beschluss des Kreisvorstandes sind alle Vorstandsmitglieder dazu berechtigt.“ Einen schriftlichen Beschluss legte von Bohr unserer Zeitung nicht vor. Eck soll laut Rechnungsprüfungsbericht ebenfalls Spendeneinnahmen unterzeichnet haben.
Rechnungsprüfer stellen Aussagen der Kreisvorsitzenden infrage
Die Rechnungsprüfer fanden weitere Unstimmigkeiten bei Reisekostenabrechnungen durch von Bohr. Am 20. Dezember 2024 soll die Kreisvorsitzende rund 412 Euro in bar an Kreisschatzmeister Schlink im Beisein der Landesschatzmeisterin Michel übergeben haben. Die Rückzahlung eines Rechenfehlers durch von Bohr bei ihren Reisekostenabrechnungen. Eine „Unachtsamkeit meinerseits“, gibt von Bohr auf Anfrage unserer Zeitung an.
„Als Rechnungsprüfer stellen wir uns die Frage, wie man sich denn um 412 Euro Reisekosten und damit fast um ein Drittel der ursprünglich beantragten Reisekostensumme verrechnen kann. Wir halten die Erklärung des ,sich verrechnet haben’ und das auch noch mehrfach für wenig glaubwürdig“, stellen die Rechnungsprüfer in ihrem Bericht die Aussage der Kreisvorsitzenden infrage. Die Reisekostenanträge seien zudem Schatzmeister Lamberti in seiner Amtszeit nicht durch die Kreisvorsitzende zur „Prüfung, Genehmigung und Auszahlung“ vorgelegt worden, wie es im Bericht heißt.
Unsere Zeitung erhielt in den vergangenen Monaten Insider-Informationen aus AfD-Kreisen, die den Kreisverband der Partei und die Kreisvorsitzende Claudia von Bohr betreffen. Wie und warum wir uns dem Thema genähert haben.Darum recherchieren wir zum Kreisverband Birkenfeld
Die Korrekturen der Reisekosten seien mit Landesschatzmeisterin Michel abgestimmt gewesen, schreibt von Bohr an unsere Zeitung. Das sei „über Chatnachrichten belegbar“. Anders sieht das Michel: „ Zu diesem Zeitpunkt lagen mir weder Kenntnisse über Reisekostenabrechnungen im Kreisverband Birkenfeld noch über etwaige Berechnungs- oder Verfahrensfehler vor. Da mir der zugrunde liegende Sachverhalt nicht bekannt war, konnte und habe ich keine Genehmigung des Vorgangs erteilt“, teilt sie auf Anfrage unserer Zeitung mit. Michel respektiere die Finanzautonomie der Kreisverbände – Einflussnahme auf interne Finanzvorgänge oder gar deren Genehmigung seien weder gestattet noch in ihrer Funktion vorgesehen.
Staatsanwaltschaft ist über die Vorgänge innerhalb des AfD-Kreisverbandes informiert
In einem Schreiben vom 7. Mai 2025, das unserer Zeitung ebenfalls vorliegt, nahm Rechtsanwalt Björn Clemens aus Düsseldorf Kontakt zu den Rechnungsprüfern auf. Den Juristen hatte von Bohr mit der Vertretung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt. Gegenstand ist der von den Rechnungsprüfern an den AfD-Landesvorstand gesendete Bericht, der auf die von ihnen festgestellten Unregelmäßigkeiten verweist. Clemens betont, dass in dem Bericht zwei „eklatante Falschbehauptungen“ zu finden seien. Dabei gehe es um die Spendensammlungen am 22. und 24. August 2024. Mittels einer beigefügten Unterlassungs- beziehungsweise Verpflichtungserklärung sollen die Rechnungsprüfer diese Aussagen widerrufen. Bei Zuwiderhandlung wären jeweils 1500 Euro an von Bohr zu zahlen. Die Kreisvorsitzende der AfD bestätigt die Beauftragung des Juristen.
Rechnungsprüfer fechten Entlastung an
Auch bei der Kreismitgliederversammlung der AfD in Idar-Oberstein am 17. Mai befasste der Kreisverband sich mit dem Thema. Die Rechnungsprüfer waren nicht anwesend und hatten vorab bereits erklärt, an diesem Termin nicht teilnehmen zu können. „Das ist laut Satzung nicht erforderlich, solange der Prüfbericht komplett verlesen und die Schlussfolgerungen der Rechnungsprüfer korrekt wiedergeben werden. Dies ist geschehen. So wurde den Mitgliedern verlesen, dass die Rechnungsprüfer eine Entlastung des Vorstandes nicht empfehlen“, teilt von Bohr auf Anfrage unserer Zeitung mit. Ein Antrag auf Verschiebung der Befassung mit dem Bericht der Rechnungsprüfer wurde nach Informationen unserer Zeitung einstimmig abgelehnt. Entlastung des Vorstands und so auch der Kreisvorsitzenden erteilten die 28 anwesenden Mitglieder laut dem Protokoll der Versammlung, das unserer Zeitung vorliegt, einstimmig. Die Entlastung fand, wie ebenfalls aus dem Protokoll hervorgeht, in einer öffentlichen Abstimmung statt.
Mindestens ein hochrangiges AfD-Mitglied fordert nach Informationen unserer Zeitung allerdings die Beschäftigung mit den finanziellen Unregelmäßigen auf dem Landesparteitag der rheinland-pfälzischen AfD im Juni 2025 in der Messe Idar-Oberstein. Auch die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach wurde bereits über die Vorgänge informiert, wie unsere Zeitung auf Nachfrage erfahren hat. In einem unserer Zeitung vorliegenden Schreiben an das AfD-Landesschiedsgericht fechten die Rechnungsprüfer nun die Entlastung des Vorstands im Rahmen des Kreisparteitages an. Unter anderem ist von „Irreführung der Rechnungsprüfer durch die Kreisvorsitzende“ die Rede. Ebenso wird die „Missachtung der Empfehlung der Rechnungsprüfer“ mit Blick auf die vorgeschlagene Nichtentlastung angemahnt.
Die Birkenfelder AfD-Kreisvorsitzende Claudia von Bohr soll Mitglied der Deutschen Volksunion gewesen sein und Kontakt zu Rechtsextremen unterhalten haben. Der zweite Teil der Recherche unserer Zeitung über die AfD im Kreis Birkenfeld.Hat Claudia von Bohr Kontakte in die rechtsextreme Szene?
Claudia von Bohr ist seit 2024 Kreisvorsitzende der AfD Birkenfeld und sorgt scheinbar nicht zum ersten Mal für Kontroversen innerhalb des Kreisverbandes. Alles über eine mögliche DVU-Mitgliedschaft sowie mögliche Kontakte in die rechtsextreme Szene lesen Sie in Teil zwei unserer AfD-Recherche.