Kreis Birkenfeld – Eine Ehrenrunde drehen, macht das Sinn? Oder sollte man das Sitzenbleiben abschaffen? Darüber wird zurzeit nicht nur auf politischer Ebene diskutiert. Wobei: Die Mehrheit der Schüler spricht sich für das Sitzenbleiben bei schlechten schulischen Leistungen aus. Das ergab dieser Tage eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Eine Schule, an der prinzipiell schon jetzt kein Sitzenbleiben wegen schlechter Leistungen erfolgt, gibt es bereits im Kreis Birkenfeld: die Magister-Laukhard-IGS Herrstein/Rhaunen.
Das Grundprinzip der Integrierten Gesamtschulen sieht vor: Niemand wird aufgrund schlechter Noten vom Kassenverband ausgeschlossen. Alle Schüler können in den Klassen 5 bis 9 im Klassenverband aufsteigen. Eine Versetzung in der IGS wird erstmals nach Klassenstufe 9 ausgesprochen. Ab Klassenstufe 8 gibt es eine halbjährliche Prognose in Form von Elterninformationen darüber, welche Abschlussmöglichkeiten ihrem Kind unter den gegebenen Umständen offen stehen.
Persönliche Niederlage?
Aus wichtigem Grund können Schüler der Klassenstufen 6 bis 10 auf Antrag der Eltern einmal, in Ausnahmefällen auch ein zweites Mal in die nächst niedere Klassenstufe zurücktreten. Über den Antrag entscheidet die Klassenkonferenz. IGS-Rektorin Antje Petri-Burger erläutert: „Ich halte diese Regelung für eine deutliche Entlastung für Schüler, Eltern und Lehrkräfte. Sie erspart den jungen Menschen in der Regel, dass sie aus einer Gemeinschaft gerissen werden. Welche schädlichen Außenwirkungen damit verbunden sind, weiß jeder.„ Sie sei davon überzeugt, dass es keine „Sitzenbleiber“ gebe, die das Sitzenbleiben nicht in erster Linie als persönliche Niederlage empfunden haben. Sitzenbleiben gelte als Versagen und sei für Familien und Kinder oft ein Drama. Die Pädagogin, die die IGS seit diesem Schuljahr leitet, betont: „Aus meiner Sicht ist Sitzenbleiben absolut sinnlos. Dabei unterscheide ich deutlich das Sitzenbleiben vom freiwilligen Wiederholen einer Klasse aus wichtigem Grund.„ „Ehrenrunden“ seien verlorene Zeit: „Die erwünschten Leistungsverbesserungen treten nicht in dem Maße ein, wie es für das Zeitfenster eines ganzen Jahres notwendig wäre. Sitzenbleiben ist in vielen Fällen unwirksam und teuer: Es kostet die jungen Menschen wertvolle Lebenszeit, das Eintreten in das Arbeitsleben geschieht später als möglich, und es kostet die Bundesländer eine nicht unerhebliche Summe an Geld.„ Sie verweist auf eine Studie: Das Sitzenbleiben in der Schule koste den Steuerzahler jedes Jahr fast 1 Milliarde Euro, ohne pädagogische Erfolge zu zeigen. Das hatte der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung 2009 berechnet. Dieses Geld wäre ihrer Meinung nach besser in der Intensivierung der individuellen Förderung in Schulen angelegt.
Schule müsse ein System sein, das viele verschiedene Abschlüsse ermöglicht, die den unterschiedlichen Qualifizierungen Rechnung tragen: „Ich glaube, dass wir in Zukunft zu einem Lernen in Modulen kommen müssen, um jedem Menschen seinen individuellen Schul-, Bildungs- und Berufsweg störungsfrei und zügig zu ermöglichen. Wenn man dem demografischen Wandel Rechnung tragen muss, denke ich, dass es sich niemand mehr leisten kann, junge Menschen nicht mitzunehmen.“ Das Aussortieren von vermeintlich Schwächeren sei schon lange nicht mehr zeitgemäß. Lernmotivation lasse sich nicht mit Druck erreichen. Sie müsse über das Aufzeigen und Eröffnen von Perspektiven für das zukünftige Leben erreicht werden. Meist höre man: „Ich habe auch eine Klassenstufe wiederholt, das hat mir nicht geschadet.„ Selten oder überhaupt nicht höre man: „Ich habe eine Klassenstufe wiederholt, das hat mir dieses oder jenes gebracht.“ Das stimmt nachdenklich: „Ich bin froh, dass den Schülern an meiner Schule eine Förderung und Betreuung angeboten wird, die ein Sitzenbleiben nicht nötig macht.„
Fries: Wiederholung schadet nicht
Auch Sigrid Schöpfer, Rektorin der Realschule plus Birkenfeld, hält nichts von Ehrenrunden: „Wir lesen die Schulordnung so, dass wir möglichst alle Kinder in die nächste Klassenstufe mitnehmen, wir schauen sehr genau auf ihre Biografien.“ Dietmar Fries, Direktor des Birkenfelder Gymnasiums, sieht es anders: „Jenen, die die geforderten Leistungen nicht erbringen, schadet eine Wiederholung der Klasse nicht." Einzelne oder mehrere Schüler, die große Lücken aufweisen, bremsten letztlich den Klassenverband. Es gebe ohne Frage Ausnahmen: eine schwierige Familiensituation, Krankheit. Ein Instrument seien Nachprüfungen in bestimmten Fächern.
Von unserer Redakteurin Vera Müller