Vor 80 Jahren
Als aus heiterem Himmel Bomben auf Herrstein fielen 
Bombardierung von Herrstein im März 1945: Die Ruine des Hauses Knod in der Hauptstraße.
Archiv Wolfgang Hey

Der ehemalige Landrat und VG-Bürgermeister Wolfgang Hey erlebte als Vierjähriger die Bombardierung von Herrstein am 1. März 1945. Er erinnert sich.

1. März 1945 – das Kriegsende ist nicht mehr weit. Doch das wissen die Menschen in Deutschland und im Hunsrück nicht. Tausende alliierte Bomber fliegen täglich über die Region, die Ziele sind meist Großstädte oder Rüstungsbetriebe. Für die Menschen im Hunsrück ist das mittlerweile Alltag. Doch an diesem Tag treffen Bomben – sozusagen aus heiterem Himmel – Herrstein. Die Gründe sind nach wie vor unklar, wahrscheinlich suchten sich die Piloten Menschenansammlungen oder vermeintliche Industrieanlagen, um ihre restlichen Bomben vor der Landung auf dem Heimatflughafen loszuwerden.

Bereits am 13. April 1944 war Kirschweiler Ziel eines solchen Angriffs geworden. Dort hatte ein an Höhe verlierender, angeschossener Bomber wahrscheinlich seine Restbombenlast abgeworfen, um über die Höhen der Kirschweiler Festung zu kommen. Bei der Bombardierung starben 16 Menschen, darunter viele Kinder.

Der Bombenangriff auf Herrstein jährt sich am 1. März zum 80. Mal. Trotz des inzwischen großen Zeitabstandes sind die dramatischen Ereignisse im Bewusstsein vieler Herrsteiner noch sehr präsent. Doch die Zeitzeugen aus jenen Tagen werden immer weniger. Wolfgang Hey, ehemaliger Landrat und VG-Bürgermeister, ist einer der wenigen verbliebenen. Er erinnert sich: „Wir alle haben die Bilder der täglichen verheerenden Bombenangriffe auf die ukrainischen Städte und Dörfer vor Augen. Wir sehen und fühlen das Leid der Menschen und ihre Trauer um die Getöteten. Bei allem Mitgefühl ist das Geschehen doch weit weg von uns. Und doch haben heutige Mitbürger solche dramatische Situationen am Ende des zweiten Weltkrieges selbst erlebt. Die Zahl der noch lebenden Zeitzeugen ist inzwischen klein geworden. Aufgrund des eigenen Erlebens können sie noch nachempfinden, welche Todesangst Menschen erfasst, wenn über ihnen die Häuser zusammenstürzen.“

Bomben fielen aus heiterem Himmel

„Der 1. März 1945 war ein sonniger Tag“, erinnert sich Hey. „Wie so oft waren am Vormittag mehrere US-Flugzeuge über den Ort geflogen. Sie wurden aber nicht als unmittelbare Gefahr empfunden, weil üblicherweise die Bevölkerung vor nahenden Luftangriffen durch Sirenen gewarnt wurde. So kam der Angriff für die Menschen völlig überraschend. In kurzer Folge schlugen um 12.55 Uhr sechs Bomben oberhalb und unterhalb der Hauptstraße zwischen dem früheren Amtsgebäude und der Apotheke jeweils hinter den Häuserzeilen ein, begleitet von ohrenbetäubendem Lärm.

„Ich kann gut nachempfinden, welche Panik die Kinder in Gaza erlebt haben müssen, wenn man die zusammengebombten Häuser dort sieht.“
Wolfgang Hey lag als Vierjähriger am 1. März 1945 unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses in Herrstein.

Danach herrschte eine kurze gespenstische Stille. Die Menschen wagten sich nur zögernd aus ihren Häusern und erschraken über das Ausmaß der Zerstörungen. Es begann die Suche nach vermissten Personen. Zwei wurden gleich tot geborgen, ein weiterer Mann erst später ebenfalls tot entdeckt. Daneben gab es viele Verletzte. Eine Frau und ein kleiner Junge erlagen später ihren schweren Verletzungen. Fünf Häuser wurden völlig zerstört. Weitere waren so beschädigt, dass sie später abgerissen werden mussten. Im großen Teil des Ortes waren alle Fensterscheiben zerbrochen und die Dächer beschädigt, was bei späterem Regen und den Temperaturen Anfang März zu großen Problemen führte und mehrere Häuser unbewohnbar machte.“

Wurde eine Menschenansammlung fehlgedeutet?

Es dauerte viele Jahre, bis alle Schäden beseitigt waren. Wolfgang Hey selbst erlebte den Angriff als knapp Fünfjähriger unweit eines Bombenvolltreffers. „Das Gefühl, unter einer herabstürzen Zimmerdecke verschüttet zu werden, ist eine bleibende Erinnerung.“ Im Jahr 2005 lebten noch viele Zeitzeugen, die bei einer Befragung konkrete Einzelheiten über die Bombardierung berichten konnten. Diese hat Hey in einem Artikel im Heimatkalender 2005 (Seite 201 „Das Ende des Krieges in Herrstein“) zusammengefasst.

Bombardierung von Herrstein im März 1945: Das Foto zeigt die Häuser „Auf der Hütt“, die zerstört wurden. Zwei Bomben explodierten in unmittelbarer Nähe.
Archiv Wolfgang Hey

Es ist über die Jahre viel gerätselt worden, warum ein solcher Angriff auf einen kleinen Ort ohne kriegswichtige Objekte geschah. Dazu sagt Hey: „Zunächst wurde vermutet, dass am Vormittag eine große Zahl von Menschen (meist Frauen) vor dem Amtsgebäude versammelt waren, die ihre soziale Unterstützung abholen wollten, die sie für ihre im Krieg befindlichen Männer und Söhne erhielten. Man glaubte, dass am Vormittag die Besatzung von Aufklärungsflugzeugen diese Menschenansammlung fehlgedeutet haben könnten. Andere Vermutungen waren, dass die Piloten die großen Gerbereigebäude mit dem hohen Schornstein für eine wichtige Industrieanlage gehalten haben könnten.“

Auszüge aus dem Einsatzbericht der US Air Force vom 1. März 1945 sind mittlerweile im Internet zu finden. Eines der damaligen „Gelegenheitsziele“ war wohl Herrstein.
Archiv Wolfgang Hey

Mehr Aufklärung können die von der US-Luftwaffe inzwischen im Internet veröffentlichen Einsatzberichte bringen. Dort fällt ein Bericht von 1. März 1945 auf. Hey hat ihn gelesen: „Ein Flugzeug war von einem Flugplatz in Frankreich gestartet und hatte Industrieanlagen im Rhein-Main-Gebiet mit Bomben angegriffen. Der Bericht besagt, dass auf dem Rückflug weitere Bomben auf Gelegenheitsziele abgeworfen wurden. Da könnte Herrstein dabei gewesen sein, weil das Datum stimmt und die Flugroute vom Rhein-Main-Gebiet nach Frankreich auch dazu passen würde.“ Inzwischen wurde in diesen Quellen auch Luftbilder von Herrstein entdeckt, die für das Hunsrücker Dorf als erkanntes Ziel von Aufklärungsflugzeugen sprechen.

Gedenkandacht am Samstag

A m Samstag, 1. März, findet um 14 Uhr eine von Klaus Wendel und der Kirchengemeinde organisierte Andacht im evangelischen Gemeindehaus in der Pfarrgasse statt, in der der Opfer von vor 80 Jahren gedacht werden soll. Begleitet wird die Andacht von einer Ausstellung, in der auch die genannten Luftbilder der US Air Force und andere Gegenstände aus der Zeit gezeigt werden.

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