Gespräch Polizeioberkommissar Klaus Peter Simon geht nach 40 Jahren in den Ruhestand
40 Jahre auf Streife: Manche Sachen vergisst er nie
Klaus Peter Simon geht nach 40 Jahren bei der Polizei in Ruhestand und hat jetzt viel Zeit für seinen Briard Merlin. ​
Silke Bauer

Baumholder. Jahrzehntelang fuhr Klaus Peter Simon Streife durch seine Heimatstadt und lernte dabei auch deren Schattenseite kennen. Jetzt geht der 60-Jährige nach 40 Jahren Polizeiarbeit in den Ruhestand. Mit der NZ spricht er über Menschen mit zwei Gesichtern, den Zusammenhalt unter den Streifenpartnern und seinen sonntäglichen „Tatort“-Konsum.

Herr Simon, Sie sind als Polizist 40 Jahre lang in Baumholder und Umgebung Streife gefahren – oft bei Nacht und Nebel. Ist der Ruhestand für Sie ein Schock?

Nein, überhaupt nicht. Man bereitet sich ja darauf vor. Seit Oktober vergangenen Jahres habe ich jeden Monat weniger Stunden gearbeitet. Es ist für mich kein Problem gewesen, jetzt aufzuhören.

Muss Ihre Frau sich erst wieder an Sie gewöhnen?

Vom Freizeitverhalten her verändert sich nicht so wahnsinnig viel. Durch die Schichtarbeit war ich tagsüber oft zu Hause. Am liebsten habe ich nachts gearbeitet. In Baumholder gibt es, weil wir eine kleine Dienststelle sind, seit etwa 15 Jahren ein flexibles Dienstmodell. Da ich morgens nicht so gern früh aufstehe, habe ich oft Nachtschichten geschoben: von 21 Uhr bis morgens um 7.

Wieso sind Sie Polizist geworden?

Ich habe die mittlere Reife gemacht, und weiter zur Schule gehen wollte ich auf keinen Fall. Zur Bundeswehr wollte ich auch nicht. Ich habe mich einfach mal beworben, das Einstellungsgespräch verlief positiv und auf einmal war man bei der Polizei. Damals sind viele zur Polizei gegangen, und jetzt gehen sie alle gleichzeitig in Rente. Da entsteht nun eine Lücke, die man auffüllen muss.

Würden Sie sich noch einmal für diesen Beruf entscheiden?

Das hat mich der Polizeipräsident bei der Verabschiedung auch gefragt. Mit dem Wissen von heute würde ich mir das schon noch mal überlegen. Ich würde in einer großen Stadt keinen Polizeidienst verrichten wollen. Das Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei hat sich extrem verschlechtert.

Wie äußert sich das?

In einer kleinen Stadt wie Baumholder merkt man das nicht so. Ab und zu war ich aber auch mal in Trier im Einsatz. Sobald man da in Uniform durch die Stadt geht, selbst wenn man sich nur einen Kaffee holt, reagieren manche Menschen irgendwie komisch. Da war immer ein negativer Touch spürbar.

Die Polizisten im Fernsehen sind immer zusammen mit einem Kollegen auf Streife. Hatten Sie auch einen Partner?

Das hat sich durch das flexible Dienstmodell verändert, heute arbeitet jeder mit jedem. Das war vor 15 Jahren noch anders, da war alles noch familiärer. Da hatte man drei, vier Kollegen, mit denen man immer Dienst gemacht hat, das war natürlich ein ganz anderes Verhältnis. Da gab es auch privaten Kontakt, man ist zum Beispiel zusammen in den Skiurlaub gefahren. Heute haben wir nicht mehr so viel Kontakt, viele der Kollegen sind jetzt schon weit über 70 und haben teilweise gesundheitliche Probleme. Aber zu der privaten Abschiedsfeier, die ich gegeben habe, sind sie alle gekommen. Die alte Schicht war komplett da. Obwohl es ein ganz stinknormaler Mittwochnachmittag war.

Mit welchen Menschen hat man es als Streifenpolizist zu tun?

Querbeet. Von sozial Schwachen bis hin zu gut Situierten. Das Interessante auf dem Land ist, dass man für alles zuständig ist – von der Ruhestörung bis zum Mord. Wenn ein Anruf eingeht, fährt man hin und guckt sich an, ob es tatsächlich so schlimm ist, wie berichtet wurde. Man ist ja nicht nur dafür da, Leute zu verwarnen, die nicht angeschnallt sind.

Sie haben das Thema Mord angesprochen. Wie oft hatten Sie mit solchen Verbrechen zu tun?

Das kam hier schon mal vor, wenn auch selten. Ich selbst hatte in den 40 Jahren einmal einen solchen Einsatz. Da hatte ein Mann einem anderen den Kopf abgeschnitten. Alle Einsätze, in denen man mit dem Tod in Berührung kommt, sind immer unangenehm. Aber dass man in dem Beruf Gewalt erlebt, das weiß man vorher. Jeder erlebt das anders, aber daran gewöhnen kann man sich nie. Man stumpft mit der Zeit allerdings ab.

Wie haben Sie solche Erlebnisse verarbeitet?

Ich musste zum Glück nie psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Manches hat man noch ein paar Tage im Kopf, aber mir hat es geholfen, das daheim mit meiner Frau zu besprechen. Doch manche Sachen vergisst man nie, wie meinen ersten tödlichen Verkehrsunfall. 1976 war ich als 19-Jähriger in Kaiserslautern eingesetzt, und dort war ein Radfahrer überfahren worden. Die Leiche hatte man schon wegtransportiert, aber auf der Straße war eine riesige Blutspur. Irgendwann mussten wir den Verkehr wieder freigeben und das Geräusch, als die Autos durch das Blut gefahren sind, das habe ich immer noch im Kopf. Als ob sie durch Matsch fahren würden. Das war gruselig.

1977 sind Sie in Ihre Heimatstadt Baumholder versetzt worden, wo die Bars und Straßen von amerikanischen Soldaten dominiert wurden. Welche Erfahrungen haben Sie damals gemacht?

Baumholder war ja berühmt für sein Nachtleben. Am Wochenende und wenn Zahltag war, also am 1. und am 15. Tag des Monats, waren die Bars hervorragend besucht. Da gab es oft Schlägereien und Sachbeschädigungen. Ich erinnere mich an unzählige Situationen, in denen man zu zweit Hundert Amerikanern gegenüberstand. Wenn die uns böse gewollt hätten, wären wir erledigt gewesen. Aber da hat es seltsamerweise nie Probleme gegeben. Man musste zwar mal einen mitnehmen, aber dass wir in der Unterzahl waren, haben die nie ausgenutzt. Es gab einen gewissen Respekt vor der Polizei. Heute muss man in einer solchen Situation schnell mal die Waffe ziehen, um keine körperlichen Schäden zu erleben.

Hatten Sie jemals Angst um Ihr Leben oder um das Ihres Streifenpartners?

Wenn man in ein Haus musste, in das eingebrochen wurde, und man nicht wusste, ob der Einbrecher noch drinnen ist, war das schon ein beklemmendes Gefühl. Aber ich musste glücklicherweise niemals schießen oder jemanden niederschlagen. Ich habe auch nie zur Gewalt geneigt.

Verliert man als Polizist ein bisschen den Glauben an das Gute im Menschen?

Die Menschenkenntnis verbessert sich durch die Arbeit auf jeden Fall. Man glaubt nicht immer direkt alles, was einem die Leute so erzählen. Wenn man wie ich in seinem Heimatort eingesetzt ist, verändert die Arbeit die Einstellung zu den Mitbürgern. Manche stehen da, als könnten sie kein Wässerchen trüben, aber als Polizist weiß man, dass sie auch eine Schattenseite haben. Ladendiebstahl ist da ein gutes Beispiel: Wer alles in ein Geschäft geht und vergisst zu bezahlen, das ist schon manchmal erschütternd. Trotzdem bin ich nicht von vorherein anderen gegenüber misstrauisch. Ich verlasse mich da auf meine Menschenkenntnis.

Ist es schwierig, wenn man zwischen lauter bekannten Gesichtern seinen Dienst tut?

Als Einheimischer kann man nicht so knallhart seinen Dienst durchziehen wie woanders. Man schreibt nicht jeden Nachbarn auf, der nicht angeschnallt ist. Das bringt dann Nachteile bei der Beförderung. Es gibt so Gebührenblöcke, und jährlich fließt in die Statistik ein, wie viele Leute man verwarnt hat. Je mehr, desto förderlicher für die Karriere. Meine Chefs hatten immer ein Problem damit, dass meine Blöcke nicht schnell genug leer wurden. Aber von meinen älteren Kollegen habe ich gelernt, dass es viel wichtiger ist, für den Bürger zu arbeiten als gegen ihn. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Auch wenn ich in der Statistik dafür nach hinten gerutscht bin.

Rein interessehalber: Sehen Sie sich im Fernsehen Krimis an?

Meine Frau und ich sind schon seit Jahren absolute „Tatort“-Fans. Im Tatort spielt immer ein bisschen die Realität mit. Man erkennt da den ein oder anderen Kollegen. Leider werden die Folgen immer schlechter. Diese Cyberkrimis oder dass es 50 Tote auf einmal gibt, das geht schon etwas an der Realität vorbei.

Was stellen Sie mit der neu gewonnen Freizeit an?

Ich habe mir fest vorgenommen, dass ich nur noch das mache, was mir Spaß macht. Ich treibe immer noch gern Sport, spiele Tennis und Fußball. Unser Hund Merlin hält meine Frau und mich auf Trab. Wir machen auch sehr gern Tagesausflüge in größere Städte – zum Einkaufen oder Kaffeetrinken.

Das Gespräch führte Silke Bauer

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