Landgericht Bad Kreuznach
30-Jähriger aus der VG Herrstein muss erneut in Haft
Symbolbild
dpa

„Ihr Grundproblem ist nicht die Störung einer Impulskontrolle – sie respektieren einfach nicht die Rechtsordnung.“ Deutliche Worte fand der Vorsitzende Richter für einen 30-Jährigen aus der VG Herrstein/Rhaunen: Die Bewährung wurde gestrichen.

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Die in der Berufungsverhandlung anstehenden Tatvorwürfe waren für sich allein betrachtet schlichte Alltagskriminalität, der Angeklagte aber kein unbeschriebenes Blatt. Das Amtsgericht Idar-Oberstein hatte einen 30 Jahre alten, einschlägig vorbestraften Angeklagten aus der Verbandsgemeinde Herrstein/Rhaunen wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und versuchter Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Allerdings hatte die Strafrichterin die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe – trotz eigener erheblicher Bedenken – ein drittes Mal zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach Rechtsmittel eingelegt: Die neuen Straftaten seien während zweier bereits laufender Bewährungen verübt worden. Auch frühere Bewährungen waren schon nicht straffrei geblieben und endeten deshalb zweimal im Gefängnis.

Die 7. Kleine Strafkammer unter dem Vorsitzenden Richter am Landgericht, Folkmar Broszukat, war daher gespannt, was sich inzwischen zum Besseren gewendet haben soll. Vom Gesetzgeber sind enge Grenzen gesetzt: Bewährung nur dann, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lasse und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.

„Ein bunter Strauß an Straftaten“

Und da war nicht allzu viel auf der Bonusseite, ließ der Vorsitzende bei Verfahrenseröffnung erkennen. Zum einen hatte der Angeklagte „einen bunten Strauß an Straftaten“ bereits mitgebracht: 13 Einträge im Bundeszentralregister für einen 30-Jährigen sind beachtlich. Mehrfaches Fahren ohne Fahrerlaubnis, Trunkenheit im Straßenverkehr, Körperverletzung, Bedrohung, Förderung sexueller Handlungen von Minderjährigen, Verbreitung pornografischer Schriften, schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes (als 18-Jähriger einvernehmlicher Geschlechtsverkehr mit 13-Jähriger), Hehlerei, Geldfälschung, Betrug, Beihilfe zum Betrug (Abholung von Wertsachen, die alte Menschen nach Callcenter-Anrufen angeblicher Polizisten bereitgestellt hatten), unerlaubtes Führen einer Schusswaffe sowie Führen eines verbotenen Springmessers.

Die Staatsanwaltschaft war in ihrer Berufungsbegründung davon ausgegangen, dass der Angeklagte nach zweifacher, nicht durchgehaltener Bewährung und teilverbüßter Haft keine dritte Bewährungsstrafe erhalten könne. Das Vorliegen einer positiven Sozialprognose als Abteilungsleiter in einem Handwerksbetrieb genüge nicht, dahingehend besondere Umstände zu begründen, so die Staatsanwaltschaft.

Allerdings sollte auch das Strafmaß in einem Nachtrag angehoben werden. Die Einzelstrafe von neun Monaten hinsichtlich des heftigen tätlichen Angriffs und Widerstandes mit Treten und Beißen gegen vier Polizisten sei zu milde. „Zu spät“ befand der Gerichtsvorsitzende in einer ersten Rechtseinschätzung. Die 7. Kleine Strafkammer werde sich auf dieser Basis wohl nur mit der Bewährung beschäftigen können. Staatsanwältin Melanie Ewert als Sitzungsvertreterin trug diese Rechtsauffassung mit.

Windige Rechtsberatung aus dem Internet

Pflichtverteidiger Gerd-Michael Grigo (Morbach) kam dies gelegen, hatte er die Geschäftsführerin des Handwerksbetriebes und den Pflegevater des Angeklagten vorsorglich mitgebracht. Sie sollten die Kriminalprognose neu justieren. Das Amtsgericht Idar-Oberstein hatte bereits die Verurteilung vom 23. November 2023 mit sehr deutlichem Hinweis verknüpft: eine dritte Bewährungsstrafe sei ausgeschlossen. Die es dann mit dem angegriffenen Urteilsspruch der Strafrichterin dann aber doch gab.

Dafür hatte Vorsitzender Broszukat, langjähriger Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer, kein Verständnis: Nur fünf Monate lagen zwischen wiederholtem Fahren ohne Fahrerlaubnis mit 1,58 Promille Blutalkoholkonzentration. Er hatte einen Randstein touchiert, sodass zwei Reifen platzten und der Wagen mit drei weiteren Insassen vollends außer Kontrolle geriet.

Wenige Stunden später geriet er deswegen mit dem Pflegevater in Streit, sodass die Polizei erschien. Gegen die eingesetzten Beamtinnen und Beamte leistete der Angeklagte erheblichen Widerstand, sodass ihm vor dem Transport zur Dienststelle Handfesseln angelegt wurden. Selbst Verteidiger Grigo war angesichts der Erklärung des 30-Jährigen zur fehlenden Fahrerlaubnis ziemlich irritiert: „Ich hatte mir im Internet Rechtsberatung geholt und gegen die Zahlung von 2500 Euro die Bescheinigung erhalten, dass ich den Pkw (des Pflegevaters) fahren durfte.“ Eine Rückfrage bei ihm als Verteidiger wäre anders ausgefallen – und billiger als „eine windige Internetauskunft“ eines angeblichen Rechtsanwalts gewesen, wie Grigo zerknirscht anmerkte.

Die ohnehin falsche Bescheinigung gelte zudem bestimmt nicht für das Fahren mit 1,58 Promille“, lautete die trockene richterliche Ergänzung. Ungehalten wurde Richter Broszukat, als der Pflegevater als Zuschauer zweimal ungefragt spontane Bemerkungen machte: „Wir sind hier nicht in einer Gerichtsshow von Barbara Salesch. Das ist jetzt die letzte Verwarnung – danach wird es richtig teuer.“ Die Ansage wirkte.

Keine Einsicht in eigene Fehler

Die Bewährungshelferin resümierte, dass der Angeklagte in einer Rechtfertigungsproblematik feststecke und keine Einsicht in eigene Fehler habe. Eine erneute Alkohol- und Drogentherapie sei daher notwendig. Staatsanwältin Ewert beantragte die Abänderung des Urteils ohne eine dritte Bewährung – zumal es eine erneute vierte Anklage wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis im März 2025 gibt. Verteidiger Grigo zeigte sich enttäuscht, dass er angesichts windiger Rechtsberatung aus dem Internet vorher nicht eingebunden war und auch vom neuerlichen Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nichts wisse. Er sehe die Notwendigkeit einer Therapie. „Ich frage mich, welche Wirkung es hat, wenn er wieder ins Gefängnis geht.“ Er beantrage dennoch eine weitere Bewährung und als Auflage eine Therapieteilnahme, um die Suchtproblematik anzugehen.

Nach kurzer Beratung änderte die 7. Kleine Strafkammer das von der Staatsanwaltschaft angegriffene Urteil dahingehend ab, wonach eine dritte Bewährung rechtlich nicht mehr möglich sei. Die mündliche Begründung war geradezu eine Lehrstunde in Juristendeutsch mit sehr klaren, nachdenklich machenden Worten: „Zweifel zugunsten eines Angeklagten“ seien möglich. „Wenn man im Urteil aber selbst an einer nötigen positiven Kriminalprognose (zukünftig straffreies Leben) bereits zweifelt, darf man diese Prognose schlicht nicht stellen.“ Man wende sich ansonsten gegen die Verteidigung der Rechtsordnung – Bewährung heiße nicht umsonst, sich zu bewähren. An den Angeklagten gewandt sagte Broszukat: „Ihr Grundproblem ist nicht die Störung einer Impulskontrolle – sie respektieren einfach nicht die Rechtsordnung.“

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