Nach ihrem Rundgang durch das Forum wurden Mützenich, Hanns Bölefahr, Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung, und Prof. Ulrich Schöler, Vorstandsvorsitzender der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, im Veranstaltungsraum der Sporthalle mit Applaus empfangen. „Im Namen der Bürgerstiftung Unkel und der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung begrüße ich Sie zu dem Vortrag mit dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich“, hieß Bölefahr das Publikum willkommen.
Erinnerung an Willy Brandts Wirken
Mit dem Thema „Zeitenwende“ bestehe die Chance, den neuen politischen Rahmen in einen Kontext zu stellen, und zwar zu den Bemühungen Willy Brandts für Entspannung, Frieden und Freiheit. Die Sorge um Europa habe sich wie ein roter Faden durch Willy Brandts Wirken gezogen, sagte Schöler. Brandt sei in die von Nationalsozialisten hinterlassene Trümmerlandschaft zurückgekommen, um sich für Europa, Demokratie und Frieden einzusetzen. Als späterer Außenminister und Bundeskanzler habe er die Außenpolitik neu akzentuiert, so Schöler. Brandt habe Beziehungen zur DDR und Sowjetunion gesucht.
Aktuelle Dialoge der Stiftung mit der Wissenschaft zeigten eine Konstante: „Alle Diskutierenden haben streng zwischen der Ostpolitik Brandts gegenüber der Sowjetunion und der späteren Außenpolitik der Kabinette Kohl, Schröder und Merkel gegenüber der Russischen Föderation unterschieden.“ Man müsse trennen zwischen der Ostpolitik Brandts und späteren Vereinnahmungsversuchen oder Umdeutungen seit 1990. „Umso dringender ist es aus unserer Sicht, dass das Thema heute Abend im Mittelpunkt steht“, betonte Ulrich Schöler.
Ukrainekrieg als Anknüpfungspunkt
Er sei sehr gerne nach Unkel gekommen, leitete Mützenich zu seinem Vortrag über. Der Überfall auf die Ukraine stelle einen Bruch des Völkerrechts dar, beruft sich Mützenich auf die Charta der Vereinen Nationen. Nehme man das Völkerrecht als Wegmarke, müsse man ein „Dilemma“ aushalten. Auf der einen Seite gebe es das Recht der Selbstverteidigung, erläuterte er den Artikel 51 näher, auf der anderen Seite gebe es den Artikel 1, der besage, dass Streitigkeiten nicht mit militärischer Gewalt gelöst werden dürfen. „Dieses Dilemma, finde ich, sollte man politisch aushalten.“ Da, wo der Sicherheitsrat nicht handlungsfähig sei, könne die Generalversammlung ein beachtliches Instrument sein, um zumindest eine politische Haltung auf internationaler Ebene zu erreichen. „Aber auch sie kann einen Konflikt nicht institutionell eingrenzen.“ Ein Bündnis von Staaten könne sich um die Herstellung eines „Nichtkrieges“ bemühen.
Diplomatie bedeute nicht – so Mützenich –, über die Köpfe derer, die das Leid ertragen müssen, mit Putin in Verhandlungen zu treten. „Diplomatie hat eine ganz andere Bedeutung: vielleicht am Ende den Pfad für Gespräche zu weisen.“ Diplomatie sei eine immerwährende Aufgabe, nämlich das aufzunehmen, was in Artikel 1 stehe. „Diplomatie ist essenziell für die Herstellung friedlicher Beziehungen.“ Mützenich bedauerte, dass sich im vergangenen Jahr Kriegsrhetorik Bahn gebrochen habe. „Ich glaube, wir sollten daran festhalten, dass unser Land verteidigungsfähig sein muss vor dem Hintergrund des Überfalls auf die Ukraine und dass wir nicht zu Begriffen neigen, die den Kriegsdiskurs stärker aufnehmen.“
Mützenich: Atomwaffenverbotsvertrag ist “Meilenstein"
Nach seinem Vortrag beantwortete Mützenich Fragen der Anwesenden, etwa zum Atomwaffenverbotsvertrag, der Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht, der Änderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der möglichen zukünftigen europäischen Sicherheitsordnung. Unter anderem sagte Mützenich zum Atomwaffenverbotsvertrag, dass er diesen als „Meilenstein“ empfinde.