Neues Stück im Schlosstheater
Wie in Neuwied ein Trauerfall in einem Shitstorm endet
Da wird die Trauer vergessen – das Unternehmen sieht sich mit einem Internet-Shitstorm konfrontiert.
Rainer Claaßen

Mit dem Gendern und Standpunkten dazu setzt sich das Schlosstheater Neuwied in seinem neuen Stück „Kalter weißer Mann“ auseinander. Trotz Aufregerthema: Dem Publikum gefällt es – und es bringt vielleicht den einen oder die andere zum Nachdenken.

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Das Stück „Kalter weißer Mann“ im Schlosstheater Neuwied geht schon kurios los: Bevor René Heinersdorff in der Rolle des Horst Bohne die Trauerrede für seinen verstorbenen Chef einübt, tanzt er ausgelassen zu der Melodie von „Oh Happy Day“. Durchaus verständlich, denn immerhin hat er die Eigenheiten des 94-Jährigen über Jahrzehnte hinweg geduldig ertragen, um nun endlich selbst an die Spitze des Unternehmens treten zu können.

Ganz so konservativ wie sein Vorgänger ist Bohne zwar nicht. Doch wenn das junge Marketingteam, das aus der Managerin Alina Bergreiter (Mareike Haas) und dem Fotografen Kevin Packert (Eric Haarhaus) besteht, die Trauerfeier medial per Social Media ausnutzen will, prallen Welten aufeinander. Zum Zankapfel wird die Beschriftung des Kranzes für den Verstorbenen. Sekretärin Rieke Schneider (Daniela Wutte) hat in Bohnes Auftrag die Worte „In tiefer Trauer: die Mitarbeiter“ aufdrucken lassen. Für ihn sind damit selbstverständlich auch die weiblichen Betriebsangehörigen gemeint.

Ein Affront – wer hat die Beschriftung erweitert?
Rainer Claaßen

Ein vorschnell online gestelltes Foto bestätigt allerdings die Befürchtungen des Nachwuchsmanagements: Ohne die explizite Nennung der Mitarbeiterinnen, besser noch die Verwendung eines Gendersterns, könnte der Mangel an Political Correctness zu einem Shitstorm für das Unternehmen führen. Weitere Perspektiven bringen der katholische Pfarrer Herbert Koch (David Hober) und die Praktikantin Kim Olkowski (Hannah Marie Bahlo) ein. Schnell weitet sich die Diskussion so auf die Themen Sexismus, Gendern, Wokeness und politische Korrektheit aus.

Den Autoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob ist es gelungen, die gesamte Bandbreite der Haltungen zu den Themen so darzustellen, dass fast jeder seine Position wiederfindet. Und da alle Figuren ihre Macken haben, aber sympathisch dargestellt werden, trägt die Inszenierung zu besserem Verständnis bei. Die Positionen prallen zwar frontal aufeinander – dennoch zeigt sich, dass jeder im Grunde in guter Absicht handelt, und dass auch bei diesen Themen zwischen Schwarz und Weiß noch viele Nuancierungen liegen.

„Früher wurde vor dem Essen gebetet, heute wird das Essen fotografiert“.
Pfarrer Herbert Koch (David Hober)

Die Rollen sind durch die Bank hervorragend besetzt. Eric Haarhaus und Hannah Marie Bahlo vertreten die junge und ganz junge Generation und schaffen es, deren Eigenheiten pointiert darzustellen. Gut möglich, dass ihre Darstellung zu einem Perspektivwechsel beim Publikum des Stückes beiträgt. Hober ist ausgebildeter Schauspieler und studierter Theologe. Er liefert neben vielen komischen Parts den tiefgründigsten Moment des Abends. Über Sätze wie „Früher wurde vor dem Essen gebetet, heute wird das Essen fotografiert“ darf man durchaus etwas länger nachdenken.

Mareike Haas verkörpert authentisch eine Karrierefrau, die zwar neue Wege beschreiten will, sich im Grunde aber doch in das bestehende System einfügt, und deren Motive dann doch nicht so uneigennützig sind, wie sie selbst glauben will. René Heinersdorff ist beinahe etwas zu sympathisch für die Rolle, die er verkörpert, demonstriert so aber elegant, dass auch alte, weiße Männer es nicht nur leicht haben.

Da wird die Trauer vergessen – das Unternehmen sieht sich mit einem Internet-Shitstorm konfrontiert.
Rainer Claaßen

Der eigentliche Star des Abends ist Daniela Wutte als Sekretärin Rieke. Sie wirkt durchgängig überfordert – und bringt so die Kernproblematik dieses Stückes perfekt auf den Punkt: Im Grunde werden alle von guten Absichten angetrieben, in einer komplexen Welt schaukeln sich die Konflikte dabei allerdings unbeabsichtigt hoch.

Regisseurin Katarina Schmidt hat – gemeinsam mit dem Team – das Stück mit einem positiven Ende umgestaltet. Und damit offensichtlich den Nerv des Neuwieder Publikums getroffen. Das applaudierte nach der Premiere mehrere Minuten lang im Stehen. Dass hier und da ein paar kleine Hänger zu bemerken waren, trug noch zum Erfolg bei – so spürt auch das Publikum, was für eine große Leistung es ist, aktuelle gesellschaftliche Themen mit angemessenem Tiefgang in eine sehr unterhaltsame Komödie zu packen.

Das Stück ist noch bis zum 25. Mai im Schlosstheater zu sehen. Tickets unter Tel. 02631/22288 und www.schlosstheater.de

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