„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, heißt es im Talmud. Mit seinem Projekt „Stolpersteine“ erinnert der Künstler Gunter Demnig an die Verfolgten der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing einlässt. Zum dritten Mal hat der Künstler Linz besucht, um nach der Verlegung von 29 Stolpersteinen 2022 und 2023 nun zehn weitere in Linz zu verlegen.
Mit der Initiative will auch die Stadt Linz die Erinnerung an die einstigen jüdischen Bewohner wachhalten – als Mahnmal, damit solche Gräueltaten, wie sie Juden durch die Nationalsozialisten erfuhren, nicht mehr passieren. Unter Zuhilfenahme von Kelle und Zement setzte Demnig vier Stolpersteine in den Bürgersteig vor dem Haus Asbacher Straße 41. Diese erinnern an Berta, Hedwig, Lilli und Ernst Wallach. Ernst Wallach betrieb mit seiner Stiefmutter Berta die „Kolonialwaren-Großhandlung Levy Wallach“.
Im KZ Buchenwald interniert
Berta Wallach hatte zwei Töchter, Hedwig und Lilli, mit denen sie in den 1930er-Jahren in die USA emigrierte. Die Großhandlung hatte 17 Verkaufsfilialen, unter anderem in Hönningen und Leutesdorf. Ab 1933 verzeichnete die Firma einen rapiden Umsatzrückgang infolge des Boykotts jüdischer Betriebe und einschneidender NS-Verordnungen, die zum Untergang des Unternehmens führten. 1940 wurde das Anwesen verkauft. Da Ernst Wallach offen Stellung gegen die NSDAP bezog, stand er unter besonderer Beobachtung. 1938 wurde er verhaftet und in das KZ Buchenwald eingeliefert. 1941 kam er in die Anstalt Pirna-Sonnenstein und wurde dort ermordet. Das Schicksal der Familienmitglieder Wallach ähnelt jenen, die ebenfalls einen Stein erhielten. An die Lebensverläufe erinnerte Stadtbürgermeister Hans Georg Faust, der zur Stolpersteinverlegung unter anderem auch die achten Klassen der Realschule plus und des Martinus-Gymnasiums (MGL) begrüßte.
Kämpft für die Demokratie, sie muss jeden Tag verteidigt werden.
Stadtbürgermeister Hans Georg Fausts Appell an die achten Klassen der Realschule plus und des Martinus-Gymnasiums
Faust freute sich über das große Interesse an der Aktion. Die beschrifteten Messingtafeln „mahnen an die Schicksale der jüdischen Einwohner und daran, dass sich die schreckliche NS-Zeit nicht wiederholen darf“, erinnerte Faust an die Zeit der Weimarer Republik, in der sich der Antisemitismus breitmachte. Zunächst wurden Juden vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. In Linz pferchte man sie in zwei sogenannte Judenhäuser, von da aus wurden sie dann deportiert. Damit sich die Geschichte nicht in ähnlicher Form wiederholt, sei es wichtig, die Demokratie zu schützen.
„Kämpft für die Demokratie, sie muss jeden Tag verteidigt werden“, appellierte Faust an die Schüler. Um dem politischen Einfluss von rechts Paroli zu bieten, sei es wichtig, bei den anstehenden Wahlen einer demokratischen Partei die Stimme zu geben. Stolpersteine verlegte Demnig auch für Simon Simon, Amalie Simon, David Simon, Meyer Samuel und Josephine Samuel in der Breiten Straße 16. 1941 wurde die Familie im Judenhaus vorinterniert, 1942 deportiert und dann in Theresienstadt beziehungsweise Treblinka ermordet. Ein Stolperstein wurde zudem „Am Konvikt“ 6 für Friedrich Levy gelegt. Er lebte hier im Pflegeheim für geistig beeinträchtigte Jungen und Männer, wurde dann in verschiedene Heilanstalten verlegt und 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg ermordet.
Bewegendes Ereignis
Weitere drei Messingtafeln, die an die Familie Marx erinnern sollen, werden zu einem späteren Zeitpunkt „Am Sändchen“ 19 in den Bürgersteig gesetzt, wenn dortige Baumaßnahmen beendet sind. Klassenlehrerin Tanja Malottke unterrichtet Geschichte in der 8b des MGL. „Das Thema Nationalsozialismus kommt erst im neunten Schuljahr, aber trotzdem haben wir die Gelegenheit wahrgenommen, bei der Stolpersteinverlegung dabei zu sein“, erklärte Malottke und, dass sich die Schüler vor Kurzem mit der Entstehung der Menschenrechte während der Aufklärung und den Grundrechten befassten. 2023 sei sie mit einer anderen Klasse bei der Verlegung dabei gewesen. „Es war ein sehr bewegendes Ereignis, den Initiator beim Verlegen der Stolpersteine zu erleben“, sagte die Klassenlehrerin.
Die drei Gymnasiasten Hannah, Lina und Friedrich gehören zur 8b. „Es ist schlimm, dass Juden ermordet wurden, nur weil sie eine andere Religion hatten“, sagte Hannah. „Unsere Generation muss sich informieren, damit sich die Geschichte nicht noch mal wiederholt“, meinte Lina. Und Friedrich war der Meinung: „Wichtig ist, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie schlimm es war, und dass es wieder passieren kann, wenn sich die Menschen nicht für die Demokratie einsetzen“. Mit dem gemeinsam gesungenen Friedenslied „Hevenu Shalom Aleichem“ endete die Stolpersteinverlegung.