Von unserer Mitarbeiterin Lieselotte Sauer-Kaulbach
Dreieinhalb Jahrhunderte später, genau im Sommer 1976, begann ein entschieden erfreulicheres Kapitel in der Geschichte des in seinen Anfängen ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Dierdorfer Uhrturms: das seiner Nutzung als Kunstgalerie.
Die Idee dafür hatten drei junge Kunstbegeisterte, ein Architekt, ein Zahnarzt und ein Künstler und Kunsterzieher namens Uwe Langnickel, der gerade frisch ans Martin-Butzer-Gymnasium gekommen war. Der Turm stach ihnen ins Auge als möglicher Schauplatz für den Versuch, Kunst in den ländlichen Raum zu bringen. Die Stadt als Eigentümerin des altehrwürdigen, ursprünglich zur Stadtbefestigung gehörenden Bauwerks spielte mit und stellte es dem engagierten Trio zur Verfügung. „Wir haben dann eigenhändig geräumt und geputzt, Tonnen von Staub gekehrt und den Müll von Jahrzehnten entfernt“, erinnert sich Uwe Langnickel. Er ist der Einzige, der von Anfang an mit von der Partie war und es immer noch ist, auch im Jahr des 40. Geburtstags der „Galerie im Uhrturm“.
Auch Konzerte und Lesungen
Zum Gespräch ist auch Ulrich Christian gekommen, leidenschaftlicher Grafiker und Mathematiklehrer, der Anfang der 80er Jahre zur Uhrturm-Runde stieß. „Unser Kreis hat sich dann auf sieben erweitert“, erzählt Christian, „aber wir waren nie ein Verein mit fester Satzung und sind es auch heute nicht.“ Allein die Begeisterung trieb das Septett an, nicht allein zu Ausstellungen im Uhrturm – an der ersten im Sommer 1976 waren neben Langnickel u. a. auch der Bildhauer Karl Bobeck und die Maler Otto Buhr und Karl Bruchhäuser beteiligt –, sondern zu unterschiedlichsten Veranstaltungen in Dierdorf. Zum Programm gehörten Konzerte genauso wie Lesungen mit namhaften Autoren, darunter Peter Härtling, Max von der Grün und Gabriele Wohmann. „Es gab ja bis dahin kein nennenswertes Kulturleben in der Stadt.“ Nicht weniger namhaft als die Lesenden waren einige der Zeichnerinnen, die im Uhrturm ausstellten, die Karikaturistin Marie Marcks oder die Illustratorin Gertrude Degenhardt.
„Wir haben nie nur im eigenen Saft geschmort, sondern haben stets Kontakt mit Künstlerinnen und Künstlern von außen gesucht“, betonen Langnickel und Christian. In den Jahren nach der Wende waren beispielsweise mehrfach Künstler aus Thüringen zu Gast in Dierdorf; umgekehrt reisten Künstler aus dem Uhrturm-Umfeld nach Thüringen, und gemeinsam stellte man in den Landtagen in Mainz und Erfurt aus. „Das hat sich leider ein bisschen verlaufen“, bedauert Christian, wie die zunächst über die Schulen geknüpften Beziehungen zu Polen, zu Künstlern aus Krotoszyn oder aus der französischen Partnerstadt Courtisols. Auf die Einbeziehung der Dierdorfer Schulen in den Uhrturm legte vor allem Uwe Langnickel Wert. „Da konnten wir auch mal eine Ausstellung besuchen, ohne erst mit dem Bus fahren zu müssen.“ Außerdem konnten die Schüler selber Arbeiten aus dem Kunstunterricht im Turm zeigen.
Bert Bitz, Ursula Maas, Gerhard Wienss und und und. Die Liste der Künstler aus der Region, die in vier Jahrzehnten auf den vier Etagen des 24 Meter hohen Turms ausstellten, ist lang. Der ab 1996 alle zwei Jahre verliehene „Kunstpreis für Malerei“ sorgte für Resonanz über die Grenzen hinweg. Die ersten drei Kunstpreisträger waren Juliane Gottwald, Otto Buhr und Christel Hermann. Auch zum 40. Geburtstag wird wieder der Kunstpreis der Galerie im Uhrturm verliehen, „allerdings“, wie Christian erläutert, „ein bisschen modifiziert, nicht mehr als Auszeichnung für ein einzelnes Bild, sondern als Würdigung für das Lebenswerk von Kunstschaffenden im Kreis Neuwied.“ Und natürlich gibt’s zum 40. ab Juni wieder eine Ausstellung – mit Werken von Künstlern, die seit Jahrzehnten der Galerie im Uhrturm die Treue halten.
Jüngere Mitstreiter gesucht
Die Kunstgeschichte der einst ambitioniert gestarteten Galerie wird also fortgeschrieben, selbst wenn es, wie Christian und Langnickel bedauernd konstatieren, zunehmend schwieriger wird, die Aktivitäten zu finanzieren. Langnickel wird sich zudem künftig ein bisschen stärker zurücknehmen. „40 Jahre sind genug. Es ist Zeit, dass mal Jüngere mit ins Spiel kommen, und wir haben auch bereits entsprechende Interessenten gefunden“, meint er. Wer weiß, vielleicht zieht in nächster Zeit deshalb etwa auch mal mediale oder digitale Kunst in die altersgrauen Mauern des Uhrturms ein. Schließlich bleibt die Zeit nicht stehen, nicht auf der emsig seit fast zweieinhalb Jahrhunderten tickenden Uhr von Christian Kinzing im Turm und nicht in der Kunst.