Kreis Neuwied
Vermeintliche Preissprünge vor Grundsteuerreform: Sind Bodenrichtwerte im Kreis Neuwied urplötzlich gestiegen?
Eine Stadtrandsiedlung mit Ein-und Mehrfamilienhäusern. Die Bodenrichtwerte sind in diesem Jahr enorm gestiegen. Symbolfoto.
picture alliance / Bernd Settnik

Kreis Neuwied. Die Grundsteuerreform sorgt für großes Interesse an den Bodenrichtwerte. Dabei wundert sich mancher über krasse Sprünge. Was steckt dahinter? Wir haben nachgefragt.

Eine Stadtrandsiedlung mit Ein-und Mehrfamilienhäusern. Die Bodenrichtwerte sind in diesem Jahr enorm gestiegen. Symbolfoto.
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Von allen Zahlen und Daten, die Immobilienbesitzer derzeit für ihre Grundsteuererklärung zusammensuchen und an die Finanzverwaltung übermitteln müssen, dürfte er am schnellsten und einfachsten zu ermitteln sein: der Bodenrichtwert. Denn er ist über eine leicht zu bedienende Internetplattform des Landes einsehbar, den „Geobasisviewer“ unter www.boris.rlp.de. Doch mancher Nutzer rieb sich in den vergangenen Monaten verwundert die Augen: Manche Bodenrichtwerte (BRW) sind vermeintlich sprunghaft und überaus deutlich gestiegen. Was steckt dahinter?

Hat die Grundsteuerreform etwas mit den Steigerungen zu tun?

Ein RZ-Leser aus einem Ort im Kreis Neuwied berichtet beispielsweise, dass ihm im Frühjahr noch ein BRW von 160 Euro für sein Grundstück angezeigt wurde, wenig später waren es dann plötzlich 190 Euro. „Mir persönlich scheint eine derart drastische Steigerung in einem gewissen Zusammenhang mit der Reform zu stehen – alles andere würde mich wundern“, argwöhnte der Leser in einem Schreiben an die RZ.

Aber: Ist diese Steigerung wirklich sprunghaft erfolgt? Und wenn ja: Hängt das mit der Grundsteuerreform zusammen? Sollen so gar auf unlautere Weise die Steuereinnahmen erhöht werden? Wie kommen die BRW überhaupt zustande? Wir haben mit der verantwortlichen Stelle gesprochen.

Und das ist der Gutachterausschuss für Grundstückswerte für den Bereich Westerwald-Taunus, der für die BRW in vier Landkreisen zuständig ist, darunter der Kreis Neuwied. Eine unabhängige Instanz, die organisatorisch beim Vermessungs- und Katasteramt Westerwald-Taunus in St. Goarshausen angesiedelt ist.

Viele haben erstmals mit Bodenrichtwerten zu tun

Dort häufen sich derzeit die Anfragen, was die Ausschussvorsitzende Wiebke Böhm nicht wirklich wundert: „Im Zuge der Grundsteuerreform haben die meisten Bürger erstmals überhaupt mit den Bodenrichtwerten zu tun – und da kommen natürlich Fragen auf. Vor allem, weil der BRW plötzlich relevant ist für die zu zahlende Grundsteuer.“ Böhm und ihre Kolleginnen und Kollegen beantworten Anfragen also routiniert – und auch gern. Denn erstens sehen sie sich als Dienstleister für die Bürger, zweitens haben sie nichts zu verheimlichen.

Denn das Verfahren zur Ermittlung der BRW folgt klaren gesetzlichen Vorgaben, und das nicht erst, seit es Bestrebungen gibt, die Grundsteuer auf neue Füße zu stellen. „BRW werden aus den Daten der Kaufpreissammlung abgeleitet und geben das allgemeine Bodenwertniveau wieder. Rechtsgrundlage hierfür ist das Baugesetzbuch“, erklären Wiebke Böhm und ihre Kollegen Ramona Fehse, Fachgruppenleiterin Immobilienmarkt, und Bernd Stumpf, Mitarbeiter der Geschäftsstelle.

„BRW werden in BRW-Zonen zusammengefasst. Die Zonen umfassen jeweils Gebiete, die nach Art und Maß der baulichen Nutzung weitgehend übereinstimmen.“ Und: BRW werden in Rheinland-Pfalz alle zwei Jahre zum Stichtag 1. Januar neu bestimmt und veröffentlicht, sowohl für landwirtschaftliche Flächen als auch für bebaute Flächen.

Erklärung für Sprünge

In die neu veröffentlichten BRW fließen also die Kaufpreisentwicklungen von kompletten zwei Jahren ein – und das erklärt auch die mitunter deutlichen Sprünge, stellen die Experten klar. „Wenn wir die Entwicklung über zwei Jahre betrachten, sehen wir, dass die Steigerung im Grunde relativ konstant ist. Wenn man dann aber nur den damaligen Wert mit dem aktuellen vergleicht, sieht es sprunghaft aus“, sagt Bernd Stumpf.

Dieser Eindruck wird von den dynamischen Entwicklungen auf dem Immobiliensektor verstärkt – das sind Preissteigerungen, die auch Stumpf, Böhm und Fehse staunen lassen: „Die Bodenwertsteigerungen im Bereich Westerwald-Taunus für Misch- sowie Wohnbauflächen liegen im aktuellen Turnus durchschnittlich bei rund 9 Prozent pro Jahr. Das ist ungefähr doppelt so viel wie in den Vorjahren.“

Steigerungen um 30 oder sogar 35 Euro wie hier in einer Gemeinde im Kreis Neuwied – was manchen Grundstücksbesitzern extrem hoch vorkam, ist keine Seltenheit, sondern allgemeinen Marktentwicklungen geschuldet. Und es hängt nicht mit der Reform der Grundsteuer zusammen, betonen die Verantwortlichen beim Gutachterausschuss.
privat/Boris.RLP

Unterjährige Steigerungen werden dabei grundsätzlich nicht in den BRW abgebildet. Dabei gibt es regional deutliche Unterschiede. Im Kreis Neuwied sind beim Blick zurück erste Steigerungstendenzen ab 2016 zu erkennen. Ab 2019 geht die Kurve dann steil nach oben. Besonders entlang der Verkehrsachsen A 3 und Rheintal ist die Entwicklung sehr dynamisch.

Werte sind nicht justiziabel

Also: Innerhalb eines Zweijahresturnus wird der Grundstücksmarkt genau beobachtet und analysiert. Auf dieser Basis werden die BRW von den Gutachterausschüssen in mehrtägigen Sitzungen zum Stichtag betrachtet und schließlich festgelegt. Übrigens: Die Werte sind nicht justiziabel. Das heißt, sie stellen keine Verwaltungsakte dar, und es besteht kein Anspruch auf Änderung, stellen Böhm und Kollegen klar.

Nach der Feststellung zum 1. Januar 2022 dauerte es dann noch eine Weile, bis die neuen Werte im Geoportal hinterlegt waren. Das erklärt, warum der eingangs erwähnte RZ-Leser im Frühjahr noch einen alten Wert dort entdeckte, wenig später dann einen neuen, deutlich höheren. Seit Anfang April 2022 sind die Werte jedenfalls überall einsehbar.

Festgelegt werden sie von einem großen Expertengremium, in dem Menschen mitwirken, „die sich mit dem Immobilienmarkt auskennen“ – und zwar ortskundige Gutachter aus dem jeweiligen Kreis. Denn es geht nicht nur um Geld, also um die Summen, die tatsächlich für Bauland gezahlt wurden, sondern auch darum, die jeweiligen Zonen zu überprüfen und gegeneinander abzugrenzen. Diese Grenzen müssen mitunter angepasst werden, weil Baugebiete dazukommen oder andere Faktoren die Preise in bestimmten Gebieten beeinflussen. „Irgendwo muss man eine Grenze ziehen“, sagt Böhm.

Dabei wissen sie und ihre Kollegen, dass dadurch hin und wieder irritierende BRW-Sprünge etwa von einer Straßenseite zur nächsten entstehen können. Hat ein Bürger etwa beim Kauf eines Grundstücks aus diesem Grund Zweifel an dem zugrunde liegenden Wert, kann er ein Einzelgutachten veranlassen. In die Grundsteuerberechnung fließen allerdings nur die reinen BRW ein.

Kein gesteuerter Zusammenhang

Aus diesem Verfahren lässt sich auch ableiten, dass kein gesteuerter Zusammenhang zwischen Grundsteuerreform und BRW-Ermittlung besteht. Denn: „Wir machen die BRW nicht für die Finanzverwaltung. Die Gutachterausschüsse sind in diesem Fall lediglich Dienstleister und stellen die BRW zur Verfügung“, erklärt Wiebke Böhm. Und: In die Grundsteuerberechnung fließen die BRW nur als einer von vielen Faktoren ein und haben somit keinen allzu großen Einfluss auf die letztlich zu zahlende Grundsteuer.

Es gibt also viel zu erklären für die Experten für Bodenrichtwerte. „Und das machen wir tatsächlich mit Freude“, sagt Ramona Fehse. Wenn in einem Telefonat Fragen und auch Zweifel ausgeräumt werden können, freuen sich auch die Mitwirkenden der Gutachterausschüsse.

Infos und Kontaktmöglichkeiten gibt es online unter www.gutachterausschuesse.rlp.de

Wer entscheidet über die Werte?

Der Gutachterausschuss setzt sich zusammen aus der Vorsitzenden, einer Stellvertreterin und mehr als 60 ehrenamtlichen Gutachtern aus dem Zuständigkeitsbereich. Die Mitglieder, die gemäß Paragraf 192 im Baugesetzbuch in der Wertermittlung von Grundstücken erfahren sind und über besondere Sachkunde verfügen, werden vom Landesamt für Vermessung und Geobasisinformationen für die Dauer von fünf Jahren bestellt. Mitglieder mit besonderer Sachkunde können etwa Immobilienmakler, Immobilienbewerter, Architekten oder auch öffentlich bestellte Vermessungsingenieure sein. Daneben werden auch Mitglieder aus der Finanzverwaltung bestellt. red

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