Um ein Haar wäre der Filmklassiker „Vom Winde verweht“ nie gedreht worden. Kaum begonnen, stoppt Produzent David O. Selznick die Dreharbeiten. Denn: Das Drehbuch ist viel zu lang. Er hat fünf Tage Zeit, sonst ist sein Studio ruiniert. Rettung naht in Gestalt von Starregisseur Victor Fleming. Aber auch ein neuer Autor muss her.
Stoff also für einen lauwarmen Sommerabend zum Start der Rommersdorf-Festspiele 2024 (noch bis zum 7. Juli). So hatte sich es Tammy Sperlich von der Freien Bühne jedenfalls vorgestellt, als sie Ehemann und Kollegen Boris Weber im vergangenen Jahr davon überzeugte, die 2005 in New York uraufgeführte Komödie „Mondlicht und Magnolien“ nun auf der Bühne in Heimbach-Weis zu präsentieren. Man holte sich mit dem Niederbreitbacher André Wittlich und dem in Leutesdorf wohnenden Nicolas Knauf tatkräftige Unterstützung mit zwei alten Bekannten, probte bis zuletzt erfolgreich im Jungen Schlosstheater (JuSch) und begeisterte am Donnerstagabend bei der Premiere vor ausverkauftem Haus.
Vom Drang, sich zu beweisen
Während Ende 1938 in Europa die Zeichen auf einen bevorstehenden Krieg standen, machte sich in Hollywood der aus einer jüdischen Familie stammende 34-jährige David O. Selznick auf den Weg, Filmgeschichte zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt besaß er bereits seit zwei Jahren sein eigenes Filmstudio. Zuvor produzierte er unter anderem für RKO Pictures den Film „King Kong und die weiße Frau“ und für Metro-Goldwyn-Mayer, der Firma seines Schwiegervaters Louis B. Mayer, eine Verfilmung von Anna Karenina mit Greta Garbo in der Titelrolle.
Nicht zuletzt, um sich gegenüber seinem Schwiegervater zu beweisen, hatte er eine Vision: Die Verfilmung von Margaret Mitchells umfangreicher Südstaatensaga „Vom Winde verweht“. Der 1936 in einer Erstauflage von 10.000 Exemplaren erschienene Roman erreichte nach sechs Monaten bereits eine Auflage von einer Million. Scarlett O'Hara, die Hauptfigur des Romans, wird darin als nicht eigentlich schön, egozentrisch, gefühlskalt und geschäftstüchtig beschrieben. Dennoch konnten sich scheinbar viele mit der kämpferischen Figur identifizieren. Und wenn so viele schon das Buch mit seinen 1037 Seiten Umfang, das noch nicht einmal ein Happy End aufweist, gelesen haben, dann lässt sich mit einer Verfilmung ein Hit landen und richtig Kohle machen, so David O. Selznick.
Schlüsselszenen werden vorgespielt
Rasante Dialoge, Spielwitz, kleine Raufereien und Grundfragen des gesellschaftlichen Lebens werden gekonnt miteinander verwoben, wie auch eine Brücke zur Gegenwart geschlagen wird. Eine Kenntnis des Films mit seiner vertrackten Handlung ist hilfreich, aber nicht zwingend nötig. Schließlich spielen im Stück der Produzent und der Regisseur dem Drehbuchautor Schlüsselszenen vor, damit dieser schnell die passenden Filmdialoge schreiben kann.
Dabei hat André Wittlich als David O. Selznick die umfangreichste Rolle. Als fast schon manisch angetriebener Visionär, der zugleich die eigenwillige Scarlett O'Hara vorspielt. Boris Weber ist der hitzköpfige Regisseur Victor Fleming, der auch das schwarze Sklavenmädchen Prissy oder die gebärende Melanie vorspielt. Dem ahnungslosen Autor und ehemaligen Zeitungsfuzzi Ben Hecht gibt Nicolas Knauf ein besonnenes Profil. In seinem Widerstand die Akzeptanz der Sklaverei von Mitchells Roman zu übernehmen und seinem Vorschlag, die Figur der Scarlett als Rassistin dazustellen, gewinnt das Stück an Tiefe und erfährt einen weiteren aktuellen Bezug. Demgegenüber steht die attraktive Assistentin Miss Poppenghul (Tammy Sperlich) als Bild für den Blick der Männer auf die Frauen Ende der 1940er-Jahre.
Mit viel Leidenschaft am Werk
Nur hat Ben Hecht den Roman nie gelesen. Selznick schließt sich mit Hecht und Fleming im Büro ein: Szene für Szene schreien, lieben und prügeln sich Selznick und Fleming das Südstaatenepos aus Leib und Seele, damit Hecht den Stoff zu Papier bringen kann. Nach dramatischen Stunden mit Geburt und Tod, Liebe und Abschied, Intrigen und Freundschaft ist es vollbracht – in ihren verschwitzten Händen liegt ein Drehbuch aus dem Stoff, aus dem Filmlegenden sind.
Die Zuschauer hatten jedenfalls mächtig viel Spaß mit Slapstickeinlagen, gelungener Wortakrobatik und den vielen kleinen Gags am Rande – auch wenn einige der 400 Gäste sich den lauwarmen Sommerabend auf dem Abteigelände ein paar Grade wärmer gewünscht hätten.
Weitere Vorstellungen
Die freie Bühne präsentiert „Mondlicht und Magnolien“ vom 29. Dezember bis zum 5. Januar im Neuwieder Schlosstheater. Karten für die Veranstaltungen der Rommersdorf-Festspiele gibt es für die meisten Events noch bei der Tourist-Info in der Markstraße 59, über die Ticket-Hotline 0651/979 07 77 oder über den Zentralen Onlinebestellservice unter www.rommersdorf-festspiele.dejn