Weniger Verkehr im Ort
Tot seit Umgehung? Oberbieber und Rengsdorf wehren sich
Maren Dümmler ist im Juni 2024 zur Ortsvorsteherin von Oberbieber gewählt worden. Sie meint, dass die im Jahr 2000 eingeweihte Ortsumgehung sich grundsätzlich positiv auf den Neuwieder Stadtteil ausgewirkt hat.
Daniel Dresen

Wenn im Kreis Neuwied über die negativen Folgen von Umgehungsstraßen auf Ortschaften gesprochen wird, werden Oberbieber und Rengsdorf als abschreckende Beispiele genannt. Doch das wollen die Verantwortlichen dort nicht unkommentiert stehenlassen. 

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Was machen Umgehungsstraßen mit Ortschaften? Im 2000-Seelen-Dorf Straßenhaus beschäftigen sich die Menschen wieder intensiver mit dieser Frage, nachdem der Landesbetrieb Mobilität (LBM) Rheinland-Pfalz angekündigt hat, dass die Planungen für die Ortsumgehung Fahrt aufnehmen und im kommenden Jahr offengelegt werden sollen. Die Befürchtung von Gewerbetreibenden in Straßenhaus ist, dass eine Umgehung ihrem Geschäft Schaden könnte, weil sie zu einem Großteil vom bisherigen Durchgangsverkehr auf der B256/Raiffeisenstraße leben. Pro Tag ziehen durchschnittlich bis zu 18.000 Fahrzeuge durch Straßenhaus. Ortsbürgermeister Holger Drees betont, dass Straßenhaus durch die Ortsumgehung nicht „ausbluten“ dürfe. „Wir müssen vorsichtig sein, dass wir kein totes Dorf damit erschaffen. Wir haben schon drei, vier Leerstände zu viel im Ort“, mahnt Drees. Als Negativbeispiele nennt der Ortschef die Gemeinde Rengsdorf und den Neuwieder Stadtteil Oberbieber, die von entsprechenden Ortsumgehungen nicht nur profitiert hätten. Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Doch wie sehen das die Verantwortlichen in Oberbieber und Rengsdorf eigentlich? 

Der Verkehr im Neuwieder Stadtteil Oberbieber, hier ein Abschnitt der Friedrich-Rech-Straße, ist nach Freigabe der Ortsumgehung im Jahr 2000 deutlich gesunken.
Daniel Dresen

Maren Dümmler ist im Juni 2024 zur Ortsvorsteherin von Oberbieber gewählt worden. Hier leben etwa 4850 Menschen. „Ich erinnere mich an meine Kindheit, als ganz Oberbieber wollte, dass die Ortsumgehung kommt, weil hier ein irrer Durchgangsverkehr war“, berichtet die 40-Jährige. Von der ersten Idee bis zur Freigabe der Ortsumgehung Oberbieber am 22. September 2000 hat es 40 Jahre gedauert. Der 2,7 Kilometer lange Abschnitt der B256 kostete damals 64,5 Millionen Mark, also heute etwa 33 Millionen Euro. „Die Oberbieberer Bürger waren froh, von der täglichen Autolawine durch den Ort befreit zu sein. Man feierte daher auf dem Lila Platz ein ’Befreiungsfest’“, weiß Hobbyhistoriker Arno Schmidt aus gut unterrichteten Kreisen. Er hat die Chronik „Oberbieber 1021 bis 2021 – Streifzüge durch 1000 Jahre Ortsgeschichte“ verfasst. Durch den Bau der Umgehung habe allerdings der Einzelhandel an der Friedrich-Rech-Straße, der Hauptverkehrsader von Oberbieber, das Nachsehen gehabt, so Schmidts Informant.

„Ich glaube, dass die Umgehung der Oberbieberer Bevölkerung gutgetan hat.“
Maren Dümmler, Ortsvorsteherin von Oberbieber

Vor dem Bau der Umgehung seien innerorts regelmäßig Lastwagen in der Kurve nahe der Kirche stecken geblieben, erinnert sich Ortsvorsteherin Dümmler. „Das war durchaus ein Höhepunkt, wenn da schon wieder ein Holzlaster quer hing, aber es war natürlich nicht gut“, so Dümmler. Ein anderes Problem war die Verkehrssicherheit für Fußgänger. „Die Kinder vom Wingertsberg konnte man zu Fuß nicht in die Schule schicken, weil sie keine Chance gehabt haben, die Straße zu überqueren“, schildert Dümmler. Heute beobachtet die Ortsvorsteherin Kinder, die auf dem Fahrrad durch den Ort fahren. „Ich glaube, dass die Umgehung der Oberbieberer Bevölkerung gutgetan hat“, sagt Dümmler. Das einzige Ärgernis sei Lärm, der durch Fahrbahnübergänge auf der Umgehungsstraße entsteht und je nachdem, wie der Wind steht, nach Oberbieber hallt.

„Das Gewerbe hat eine Zukunft in Oberbieber.“
Maren Dümmler, Ortsvorsteherin von Oberbieber

Das Gewerbe in Oberbieber hat nach Dümmlers Eindruck nicht unter der Umgehungsstraße gelitten. Der Blumenladen und die Metzgerei in Oberbieber seien „wahnsinnig gut“ besucht. Den Leerstand, den Oberbieber verzeichnet, sei nicht auf die Ortsumgehung zurückzuführen. „Altersbedingt werden Geschäfte aufgegeben. Außerdem hat sich das Einkaufsverhalten der Menschen geändert: Sie fahren nun zu einem Discounter, wo sie alles an einem Ort bekommen“, sagt Dümmler. Daher sei der Wunsch in Oberbieber groß, wieder einen eigenen Supermarkt mit angeschlossener Bäckerei im Stadtteil zu haben, nachdem der „Nah & Gut“ vom Betreiberpaar Meurer altersbedingt im Sommer 2024 aufgegeben worden war und seither leer steht. „Das Gewerbe hat eine Zukunft in Oberbieber“, ist sich Dümmler sicher, die im Ort als selbstständige Restauratorin arbeitet.

Oberbieber profitiert vom Naherholungsgebiet Aubachtal

Auch das gesellschaftliche Leben in Oberbieber habe nicht unter der Umgehungsstraße gelitten. „Oberbieber ist nicht tot. Wir haben hier sehr viele Vereinsveranstaltungen und einen ganz tollen Weihnachtsmarkt“, berichtet Dümmler. Es würden auch noch genügend Auswärtige am Wochenende durch Oberbieber fahren, um beispielsweise ihre Freizeit im Aubachtal zu verbringen oder auf ein Eis vorbeizukommen.

Durchmischte Bilanz zur Ortsumgehung Rengsdorf

Rund fünf Kilometer nördlich von Oberbieber liegt die Ortsgemeinde Rengsdorf mit ihren etwa 3000 Einwohnern. Deren Ortsumgehung wurde am 23. September 2014 eingeweiht. Mehr als 50 Jahre hatte es gedauert von der ersten Idee bis zur tatsächlichen Verkehrsentlastung durch die neue 4,2 Kilometer lange Teilstrecke der B256. Rund 44 Millionen Euro hat das Vorhaben damals gekostet. Thomas Schreck, Rengsdorfs Erster Beigeordneter, zieht fast elf Jahre nach Freigabe der Straße eine durchmischte Bilanz. „Jeder, der heute an der Westerwaldstraße wohnt, wird sagen: ’Toll!’ Jeder, der die Umgehungsstraße im hinteren Bereich kennt und den Eingriff in die Natur sieht, wird sich fragen, ob das in dieser Art nötig war“, sagt Schreck. Ein Vergleich zwischen Rengsdorf und Straßenhaus bietet sich nach Ansicht von Schreck nicht an, da die Hauptverkehrsstraße in Rengsdorf viel länger sei als in Straßenhaus.

„Es gab viele Geschäfte, die vor 2014 bereits zu waren.“
Marc Dillenberger, Ortsbürgermeister von Rengsdorf 
Die Verkehrssituation auf der Westerwaldstraße, der Hauptverkehrsader in Rengsdorf, hat sich nach der Ortsumgehung beruhigt.
Daniel Dresen

Was die Ansiedlung von Gewerbe angeht, ist die Nähe von Rengsdorf zur Kreisstadt Neuwied für Gewerbetreibende ein Fluch und für Anwohner ein Segen. „Mittlerweile sind sie von Rengsdorf aus in fünf Minuten in Neuwied“, sagt Schreck. Die Aufgabe von Geschäften und der daraus resultierende Leerstand in Rengsdorf lasse sich nicht auf die Ortsumgehung zurückführen. „Es gab viele Geschäfte, die vor 2014 bereits zu waren“, berichtet Rengsdorfs Ortsbürgermeister Marc Dillenberger. Als „tot“ würde die Gemeindespitze „ihr“ Rengsdorf nicht bezeichnen, die Einkaufsmöglichkeiten gebe es nun halt nicht mehr an der unteren Westerwaldstraße verteilt, sondern geballt im Gewerbegebiet am nördlichen Ortsrand.

Marc Dillenberger (links), Ortsbürgermeister von Rengsdorf, mit Thomas Schreck, Erstem Beigeordneten der Ortsgemeinde Rengsdorf, vor dem Rathaus an der Westerwaldstraße.
Daniel Dresen

Rengsdorfs Erster Beigeordneter bezeichnet Planung des LBM als „planlos“

Die Notwendigkeit einer Ortsumgehung für Straßenhaus sieht Rengsdorfs Erster Beigeordneter nicht. „Mit einer geschickten Verkehrsführung kann man auch Dinge lösen. Denn ich behaupte, dass wir in 20 Jahren eine ganz andere Art haben, uns fortzubewegen, als heute. Wir müssen uns die Frage stellen, wie viel Natur wir eigentlich noch vernichten wollen“, sagt Schreck. Die bisherige Planung des LBM auf der B256 bezeichnet er als „planlos“, da die Engstellen Bonefeld und Gierenderhöhe nicht mitberücksichtigt würden für den kompletten Anschluss an die A3.

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