Matthias Schäfer schenkt Kunststoff ein zweites Leben. Der 53-jährige Kurtscheider war 20 Jahre lang in der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft tätig. Zehn Jahre davon war Schäfer beim Entsorgungsunternehmen Alba und dessen damaligem Tochterunternehmen Interseroh im Bereich Sekundärrohstoffhandel und Kunststoffe eingesetzt. „Dort habe ich das Geschäft von der Pike auf gelernt.“ Bei Interseroh hat er die europäische Kunststoffvermarktung geleitet. „Es gab Zeiten, da lief virtuell jede dritte PET-Flasche, die in Deutschland jemand als Pfandflasche zurückgebracht hat, über meinen Schreibtisch“, berichtet Schäfer.
Zweifel an Wegwerfkultur
Vor etwa zehn Jahren wechselte er schließlich die Seiten vom Rohstoffhändler zum Recycler. Innerhalb der Fromm Gruppe arbeitete er für die Gesellschaften Fromm Plastics und Texplast. Letztgenanntes Unternehmen zählt zu den größten PET-Recyclingbetrieben Deutschlands. Fromm Plastics hingegen stellt eigene Verpackungslösungen her, beispielsweise sogenannte Umreifungsbänder, mit denen Kartons und Palettenladungen für den Transport gesichert werden. In Betrieben, in den mit Umreifungsbändern gesicherte Güter ausgepackt werden, entstehen dabei Berge an Verpackungsmüll. „Die Bänder werden zwar aus recyceltem Material hergestellt, aber nicht aus recycelten Bändern, sondern aus recycelten Flaschen. Wir müssen eigentlich mal etwas dafür tun, dass wir diese Bänder wieder ins Recycling zurückbekommen“, schildert Schäfer seine damals aufkommenden Zweifel an der Wegwerfkultur.
Zu viel Kunststoff landet im Restmüll
Bis heute landen jährlich mehr als 2 Millionen Tonnen Kunststoff erst im Restmüll und im gemischten Gewerbeabfall und anschließend auf der Deponie oder in der Verbrennungsanlage. Dabei seien viele Unternehmen händeringend auf der Suche nach Recyclingmaterialien. Viele Firmen werben damit, dass in ihren Verpackungen ein hoher Anteil an wiederverwertetem Kunststoff enthalten ist, sogenanntem Recyclat. Bisher würden in Deutschland weniger als zehn Prozent der 12 Millionen Tonnen gesammeltem Kunststoffabfall recycelt. Ein höherer Recyclatanteil scheitere an der Verfügbarkeit und Qualität entsprechender Rohstoffe. „Wir wollen einen Beitrag leisten, dass es mehr wird“, so Schäfer.
Ich habe zuvor meist in leitender Position, aber immer für andere gearbeitet. Dabei stößt man an Grenzen, weil es in einer großen Unternehmensgruppe neben dem Thema Nachhaltigkeit auch andere Zielsetzungen und Zwänge gibt.
Re-Strap-Gründer Matthias Schäfer
Vor gut drei Jahren kam ihm die Idee zur Gründung von Re-Strap. Es folgte der Schritt in die Selbstständigkeit und die Rückkehr aus Ostdeutschland in den Kreis Neuwied. „Ich habe zuvor meist in leitender Position, aber immer für andere gearbeitet. Dabei stößt man an Grenzen, weil es in einer großen Unternehmensgruppe neben dem Thema Nachhaltigkeit auch andere Zielsetzungen und Zwänge gibt“, erklärt Schäfer. Mit Umreifungsbändern als hochwertigem Recyclingmaterial hat das Start-up eine Nische gefunden, mit dem es die Kreislaufwirtschaft neu ankurbeln möchte.
Der Stoffstrom Umreifungsbänder sei bisher nur „stiefmütterlich“ behandelt worden. Dabei würden allein in Deutschland jährlich 60.000 bis 80.000 Tonnen an Umreifungsbandmüll anfallen. „Es haben sich schon einige große Unternehmen daran versucht, ein System aufzubauen, und sind gescheitert.“ Re-Strap verfügt über ein eigenes Sammel- und Rücknahmesystem für besagte Kunststoffbänder. Dazu gehört, dass die Bänder bei den Kunden in einer Maschine platzsparend zerhackt werden, um Müllberge im Betrieb zu verhindern. Eine Tonne Bandreste wird zudem nach Abzug der Handlings- und Logistikkosten mit etwa 100 Euro honoriert. In Sammelboxen werden diese dann abtransportiert. Im Gründungsjahr 2021 musste der Re-Strap-Geschäftsführer noch persönlich mit einem Lkw bei einem Sägewerk in Berlin vorfahren, um dort die Umreifungsbänderreste einzusammeln. „Es war nicht wirklich wirtschaftlich, aber irgendwo mussten wir ja anfangen“, erklärt er.
Mitarbeiterzahl soll sich verdoppeln
Seit Ende März 2023 bietet Re-Strap nun seine Dienstleistung bundesweit flächendeckend an. In Kurtscheid befindet sich der Verwaltungssitz, in Krunkel teilt sich Re-Strap ein Logistikzentrum. Fünf Mitarbeiter sind aktuell beim Start-up beschäftigt, im Laufe des Jahres soll sich die Zahl jedoch verdoppeln. Das junge Unternehmen sei noch in einer Phase, in der es jeden Monat um „Lohn und Brot“ kämpfen müsse. „Der Ausblick ist aber da. Wir haben bewiesen, dass das Sammelsystem funktioniert und wir es auch wirtschaftlich hinbekommen“, so Schäfer.
Unser recyceltes Material ist trocken und sauber, aber es wird fast so gehandhabt, als würden wir hier radioaktive Abfälle lagern und umschlagen. Es ist viel Erklärungsarbeit nötig.
Matthias Schäfer
2024 soll der Umsatz siebenstellig werden. In der Produktion will Re-Strap in diesem Jahr aus der Beta-Phase in die Regelproduktion kommen. Ein geeigneter Standort wäre im Breitscheider Ortsteil Siebenmorgen vorhanden. Doch die bürokratischen Hürden sind hoch. „Unser recyceltes Material ist trocken und sauber, aber es wird fast so gehandhabt, als würden wir hier radioaktive Abfälle lagern und umschlagen. Es ist viel Erklärungsarbeit nötig“, berichtet Schäfer. Die Frage nach einer Ansiedlung des Recyclingstandorts im Kreis Neuwied oder im Kreis Altenkirchen sei deshalb noch nicht beantwortet.
Zum Kundenstamm gehört ein großer Reifenhersteller
Mit den Produktionsmöglichkeiten müsse auch der Kundenstamm weiterwachsen. „Wir suchen Firmen, die sagen: Wir wollen nachhaltig produzieren und diesen interessanten Rohstoffstrom sichern. Denn das große Thema von morgen wird sein, dass es zu wenig Sekundärrohstoffe für alle gibt.“ Zu den Kunden zählen bereits ein großer Reifenhersteller, ein Fahrzeugbauer, ein Medizinprodukteunternehmen und eine Lebensmitteleinzelhandelsgruppe. Viele Kunden würden auch aus der Holz- und Papierindustrie stammen. Nach zwei Jahren Entwicklungszeit bietet Re-Strap nun auch Kunststoffrecyclate für technische Anwendungen an, die genau auf Kundenwunsch zugeschnitten werden.
Peggy Stüber (54 Jahre) ist seit fast zwei Jahren Vorsitzende des Wirtschaftsforums der Verbandsgemeinde (VG) Rengsdorf-Waldbreitbach (Wifo) und vertritt die Interessen des 153 Mitglieder starken Gewerbeverbands.Interview mit Wifo-Chefin: „Die 19 Prozent Mehrwertsteuer in der Gastro werden uns um die Ohren fliegen“