Gemischte Gefühle
So engagieren sich Syrer in Neuwied für Gemeinschaft
Khalil Doubal (von links), Mohammad Hazaa und Iyad Asfour sind Syrer, die in Neuwied leben und sich im Projekt "Starke Nachbarn" engagieren.
Jörg Niebergall

Die Lage in Syrien hat sich seit dem Sturz Assads verändert. Drei Syrer, die in Neuwied leben und sich ehrenamtlich im Projekt Starke Nachbar_innen engagieren, berichten im Gespräch mit unserer Zeitung von ihren Gefühlen und Erlebnissen. 

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An die Nacht im Dezember erinnern sich Khalil, Mohammad und Iyad noch sehr genau. Sie blieben wach, schauten Fernsehen, versuchten, ihre Verwandten zu erreichen. „Ich habe immer wieder die Nachrichten aktualisiert“, erzählt Mohammad Hazaa. Er ist 33 Jahre alt und 2014 allein aus seiner Heimat in der Nähe von Damaskus nach Deutschland geflohen. Über Umwege kam er nach Neuwied, lernte Deutsch und seine Frau kennen.

Khalil Doubal hat lange überhaupt keine Nachrichten aus seinem Heimatland verfolgt. Es war zu frustrierend. In der Nacht auf den ersten Advent aber war das anders: „Ich wollte nur eine Bestätigung haben, dass Assad wirklich weg ist.“ Der 33-Jährige ist ausgebildeter Zahntechniker, seit 2015 in Deutschland und erwartet mit seiner Frau gerade das zweite Kind.

Die Menschen sind traumatisiert

Im Februar hat Khalil sein Heimatland besucht. „Ich habe den dritten Flug gebucht, den es gab. Ich konnte nicht erwarten“, erzählt er. „Was ich gesehen habe, war schwierig: Vieles ist zerstört, überall sind Ruinen. Ich kann das emotional nicht beschreiben, das war unglaublich.“ Man merke den Krieg nicht nur in den Trümmern, auch das soziale Leben habe sich verändert. „Die Leute sind traumatisiert und an Gewalt gewohnt, sie sind nervös. Es wird zum Beispiel gar nicht mehr miteinander diskutiert“, erzählt Mohammad.

Seit dem Sturz Assads ist zwar die Hoffnung in Syrien wieder da, doch die Armut noch gestiegen. „Die Menschen haben wenig Geld und auch Arbeitsmöglichkeiten“, erzählt Khalil. Viele würden im Monat umgerechnet 30 Dollar verdienen. Davon könne man in Syrien nicht einmal zwei Kilogramm Fleisch kaufen – zum Leben reicht das nicht. Mit dem Regimewechsel sind Betriebe und Firmen zerstört worden, Khalils Bruder war zwei Monate lang arbeitslos. Viele Menschen können nicht schreiben, zuletzt flog Israel Luftangriffe auf die Golanhöhen im Südwesten des Landes.

Angst vor erneutem Bürgerkrieg

Iyad Asfour wird Syrien erst im Herbst wiedersehen. Auch er kommt aus der Region um Damaskus, auch er musste 2015 gemeinsam mit Frau und Sohn aus seinem Heimatland fliehen. Die Reise dauerte 13 Tage. Die Nachricht im Dezember kam für ihn völlig überraschend – und traf auf gemischte Gefühle. Neben der Freude über Assads Sturz war da die Angst vor einem erneuten Bürgerkrieg. Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa steht in dem zersplitterten Land vor großen Aufgaben. „Syrien braucht jetzt vor allem Sozialarbeit“, sagt Iyad. Die Arbeit und Hilfsmittel von Organisationen wie Eirene, AWO International oder der Caritas könnten jetzt richtig helfen.

Iyad leitet in Neuwied das Projekt Starke Nachbar_innen, in dem sich auch Mohammad und Khalil ehrenamtlich engagieren. „Es gibt eben große Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen.“ Die Ehrenamtler arbeiten als Konfliktvermittler und setzen sich so für ein friedliches Miteinander ein. Das Projekt ist eine Kooperation des Friedensdienstes Eirene und der Gemeinsamen Diakonischen Werke Rheinland-Süd gGmbH und für jeden da, der eine Übersetzerin oder eine Begleitung zu einem wichtigen Termin braucht, ein Missverständnis klären oder einfach etwas über die Geschichten seiner Nachbarn mit Fluchterfahrung lernen will.

Sicherheit fehlt bis jetzt

Khalil könnte sich rein theoretisch in ein paar Jahren gut vorstellen, in sein Heimatland zurückzukehren. „Aber am wichtigsten ist natürlich Sicherheit. Und die fehlt bis jetzt.“ Außerdem kann er von Deutschland aus seine Familie in Syrien besser unterstützen. Auch Mohammad und Iyad werden nicht zurückziehen. „Deutschland – und besonders Rheinland-Pfalz – gefällt mir“, sagt Mohammad, und die anderen beiden nicken. „Wir sind sehr dankbar für das Land“, sagen sie. Allerdings habe in den letzten Jahren seit dem Ende der Corona-Zeit und dem Erstarken der AfD auch der Alltagsrassismus ihnen gegenüber zugenommen.

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