Michael Becker.
Von unserem Redakteur Robin Brand
Nur die heruntergelassenen Rollläden halten die Hitze ein wenig aus der kleinen Wohnung heraus. Es ist ein brütend heißer Sommertag. Michael Becker sitzt in seiner dunklen Wohnung in Buchholz und stellt fest: „Mir geht es richtig gut.“
Es gab Jahre, da hatte Michael Becker die Kontrolle verloren. Nach und nach hatte der Alkohol sie ihm streitig gemacht. Stress, gesundheitliche Probleme, die falschen Freunde: Gründe zur Flasche zu greifen, hatte er genug. „Bis zum Alkoholismus kann es dann sehr schnell gehen“, sagt der 51-Jährige. Allenfalls die Arbeit war ein Anlass, nüchtern zu bleiben – bis Becker sie verlor. Fortan widmete er sein Leben ganz dem Alkohol.
„Du stehst morgens auf und schaust, ob du genug Alkohol hast, um durch den Tag zu kommen“, sagt er über diese Zeit. „Du kannst gar nichts mehr machen ohne Promille. Du kriegst nichts mehr hin, ohne einen gewissen Pegel zu haben.“ Die Wohnung verwahrloste, genau wie Michael Becker selbst: ohne Promille keine Körperpflege, mit Promille keine Lust darauf. Die Tage wurden zum Versteckspiel, der Einkaufswagen voller Bier mit Obst und Gemüse geschmückt – das später im Kompost landete.
Morgens um 5 Uhr trieben ihn die ersten Entzugserscheinungen zum Kühlschrank. Würgend am Waschbecken kämpfte er das erste Bier des Tages herunter, und brach es wieder aus. Erst danach schmeckte der Alkohol wieder. Nach fünf bis acht weiteren Bieren war die Sucht fürs erste ruhiggestellt: „Die hab‘ ich mir bis halb neun, neun reingepfiffen, und dann bis etwa elf gepennt. Und dann fing die ganze Scheiße von vorne an.“
Bis Beckers Körper streikte. Einem Zusammenbruch folgte eine Entgiftung. Doch Becker wurde rückfällig. Als das Geld für Bier einmal nicht mehr reichte, griff er auf Wodka zurück und trank sich zur Besinnungslosigkeit. Hätte sein Vater ihn nicht gefunden, wäre er heute nicht mehr am Leben, ist sich Becker sicher. Ein Schlüsselerlebnis. „Da war ich im Kopf so weit, dass ich wusste, jetzt trinkst du nichts mehr“, sagt Becker.
Er machte eine dreimonatige Therapie – und eroberte Schritt für Schritt die Kontrolle zurück. „Es war wichtig für mich, zu sehen, dass es Leute gibt, denen es genauso geht, wie mir“, sagt Becker. Nach der Therapie notierte er auf 80 Seiten seine Erinnerungen an seine Zeit als Alkoholiker, schloss sich einer Selbsthilfegruppe an und entdeckte die Malerei und das Kochen für sich. Er gab den Tagen wieder eine Struktur, die der Alkohol völlig zerstört hatte, immer mit dem Ziel: Nur keine Langeweile aufkommen lassen. Denn: „Freizeit ist tödlich.“
Schnell fand Becker Arbeit bei der Arbeiterwohlfahrt. Er machte seine Sache gut. Aus zwei Stunden Arbeit in der Woche wurden vier, aus vier wurden acht. Heute macht er einen Halbtagsjob. „Die Kleiderkammer in Asbach hält mich über Wasser, da habe ich Verantwortung“, sagt er. Seit sieben Jahren hat er kein Bier mehr getrunken. Den Alkohol vermisst er nicht. Aber Becker betont: „Jeder Tag ist auch ein Kampf. Im Hirn eines Suchtkranken gibt es ein Suchtgedächtnis. Schon das Bild eines alkoholfreien Biers kann dafür sorgen, dass du rückfällig wirst.“
Er schaut sich in seiner kleinen, sauberen Wohnung um: „Alles, was ich mir in den letzten trockenen Jahren aufgebaut habe, wäre bei einem Rückfall weg.“ Becker ist sich sicher, dass ihm das nicht passieren wird und sagt: „Was war, kannst du nicht rückgängig machen. Die Zeit jetzt ist wichtig.“