„Warum der Deich gebaut wurde, ist ja ganz klar: Damit die Neuwieder nicht immer wieder nasse Füße bekamen“, scherzt Sauerbrei, fügt aber umgehend an: „Im Ernst, ein solcher Deich mit Mauer ist am Rhein einzigartig und er ist unverzichtbar, weil sonst immer wieder Wasser in der Stadt stehen würde.“ Heute müssen sich die Neuwieder darum kaum mehr Sorgen machen. Bis zu einem Pegelstand von 11,22 Metern ist der Deich sicher, so haben es die Erbauer Mitte der 1920er-Jahre geplant. Dass genau dieser Wert gewählt wurde, hat einen ernsten Hintergrund.
Zum Jahreswechsel 1925/1926 erlebte Neuwied das bis dato höchste dokumentierte Hochwasser der Stadtgeschichte, bei dem der Pegel bis auf 10,22 Meter anstieg. Sauerbrei schreibt in seinem Buch, dass damals 827 Häuser mit insgesamt 5208 Wohnungen betroffen waren – 80 Prozent der Stadtfläche seien überflutet gewesen. „Das war eine bis zu diesem Zeitpunkt nie da gewesene Naturkatastrophe, obwohl es 1920 und 1924 auch schlimm war“, erklärt Sauerbrei. 1920 stieg der Pegel ebenfalls auf fast zehn Meter. Angesichts dieser drei schweren Hochwasser innerhalb weniger Jahre sollte in Neuwied ein Deich gebaut werden, um die Stadt vor Hochwasser zu schützen. Dieser sollte dem Slogan der Erbauer nach so hoch sein, wie der „Höchststand des Hochwassers von 1926 plus einen Meter“, schreibt Sauerbrei.
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Kulturdenkmäler an Rhein und Wied und ihre Geschichte(n)
Heute: Deichmauer und Pegelturm
Adresse:
Ab Friedrichstraße 5 (Pegelturm) bis zur Schlossstraße
56564 Neuwied
Erbaut:
1928 bis 1931
Art des Bauwerks:
Deichkörper auf Pfahlkonstruktion, mit Muschelkalkverblendung (Deichmauer); pfahlgestützter Naturstein-Säulenturm (Pegelturm)
Zweck und Nutzen seit Erbauung:
Hochwasserschutzanlage für die Neuwieder Innenstadt
Eine Gruppe von fünf Menschen, allen voran der Neuwieder Bürgermeister Robert Krups, gründete schließlich eine Initiative zum Deichbau. Nach zweijähriger Planungsphase beschließt die Stadtverordnetenversammlung von Neuwied am 30. April 1928 einstimmig den Bau der Anlage. Bei einem anschließenden Architekturwettbewerb setzt sich der Düsseldorfer Architekt Walther Furthmann durch. „Furthmanns Entwurf sah einen Dreiklang von Pegelturm, Deichkrone und Schloss vor“, erklärt Sauerbrei im RZ-Gespräch. Letztlich wurden die Pläne des Düsseldorfers, nach Abänderungen, ausgeführt und die Deichmauer mit ihrer quer gestreiften Rheinfassade aus geglättetem und grob behauenem Muschelkalk, wie wir sie heute kennen, gebaut. Dafür schaffte Neuwied eigens ein Deichbauamt.
Die Mauer dient als platzsparende Alternative zum Erddeich, der von Süden kommend vorerst am Pegelturm endet. Die Deichmauer steht laut Sauerbrei auf 2000 jeweils sieben Meter langen Eisenbetonpfählen, die mit Dampframmen in den Boden getrieben wurden und dem Gewicht der Deichmauer auf unsicherem Boden Halt geben. Auch wenn es aussieht, als ob die Mauer bis auf die Deichtore aus einem Stück besteht, ist dem nicht so: Ale 14 Meter hat sie Dehnungsfugen, die laut Sauerbrei mit Asphaltfilzpappe ausgelegt sind und in die senkrecht zwei jeweils fünf Zentimeter dicke und mit Teerstricken umwickelte Eisenplatten zur Abdichtung eingebracht wurden. Insgesamt ist die Mauer rund 500 Meter lang, der gesamte Deich 7,5 Kilometer. Vom Dyckerhoff-Werksgelände bis zum Pegelturm und wieder vom Schloss durch den Schlosspark bis zum Rasselsteingelände verläuft der Erddeich, der aus Lehm und Ton gebaut ist.
Neben der Deichkrone und den drei Pumpwerken ist der Pegelturm wohl eines der markantesten Stücke der Deichmauer. Mittlerweile gilt er als eines der Neuwieder Wahrzeichen, und das war schon seit seinem Bau so gedacht. „Heute mit dem Hochwasserwarnsystem Rheinland-Pfalz verbunden, war er zu Anfang vorrangig ein reines Schmuckobjekt“, erklärt Wolfram Sauerbrei.
Die eigentliche Messeinrichtung für den Pegel, eine Röhre von 75 Zentimetern Durchmesser, in der sich ein Schwimmer befindet und die durch eine zehn Zentimeter dicke Sandschicht und Klinkerverblendung vom Grundwasser abgeschirmt ist, befindet sich im Inneren der Deichmauer beziehungsweise im Fundament des Turms. Der von der Promenade aus 10,90 Meter hohe Natursteinsäulenturm dient nur zur Zierde. Sauerbrei schreibt, dass er sich aus mehreren Säulen zusammensetzt, die aus 80 und 83 Zentimeter hohen Steinen aufgebaut und dadurch gegliedert seien. Darauf säßen Säulenbogen von 95 Zentimeter Höhe und eine wiederum 2 Meter hohe Schicht aus Stein. Den Abschluss bilde ein 75 Zentimeter hoher Dachaufsatz aus Kupfer. Mittlerweile haben die SWN am sichtbaren Teil des Pegelturms eine digitale Anzeige angebracht, die den Wasserstand abbildet.
Ohne den Deich und die Deichmauer wäre Neuwied heute nicht die Stadt, die sie ist. Der Deich und der damit verbundene Schutz vor Hochwasser sorgten dafür, dass Investoren in die Stadt und ihre Wirtschaft investierten, sich Betriebe ansiedelten und Neuwied zahlenmäßig wuchs, sowohl in der Fläche als auch in der Einwohnerzahl. Der Deich hat in den vergangenen 90 Jahren also noch viel mehr bewirkt, als nur die Bewohner der Stadt, deren Spitznamen er geprägt hat, vor nassen Füßen zu bewahren.