Kreis Neuwied
Schulschließung im Kreis Neuwied wird kontrovers diskutiert
Leere Klassenzimmer – wie hier an der St.-Georg-Grundschule in Irlich fotografiert – werden ab morgen im ganzen Kreis zur Regel.
Jörg Niebergall

Kreis Neuwied. Vom morgigen Donnerstag an wird im Kreis Neuwied kein Präsenzunterricht mehr gegeben - das Ansteckungsgeschehen lässt es nicht zu. Diese Entscheidung sorgt für reichlich Kontroverse.

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Anrufe, Mails, Nachrichten über soziale Netzwerke – es ist ganz schön was eingeprasselt auf die Spitze der Neuwieder Kreisverwaltung, nachdem am Montag bekannt geworden war, dass ab dem morgigen Donnerstag sämtliche Schulen im Kreis geschlossen und die Kitas in den Notbetrieb versetzt werden. Das Spektrum reichte dabei von mitunter wüsten Beschimpfungen aufgebrachter weil verzweifelter Eltern bis zu Zustimmung und sogar Dankbarkeit – von Lehrer- wie von Elternseite –, wie Landrat Achim Hallerbach und Schuldezernent Michael Mahlert am Tag danach berichten. Von der Richtigkeit, wenn nicht gar Ausweglosigkeit ihrer Entscheidung sind die beiden Politiker überzeugt – das Infektionsgeschehen lasse ihnen kaum eine andere Wahl. Auch mehrere Schulleiter äußern der RZ gegenüber Verständnis.

„Die Entscheidung ist nach intensiver Beratung, reiflicher Überlegung und in Kenntnis der Folgen insbesondere für viele Eltern gefällt worden; gründlich vorbereitet und in Abstimmung mit den entscheidenden Stellen bei der Schulaufsicht und dem Land“, betont Hallerbach noch einmal – und verweist darauf, dass es auch bei der Schalte mit den hauptamtlichen Bürgermeistern des Kreises große Einmütigkeit geherrscht habe.

„Einige Städte im Kreis wollen Corona-Modellkommune werden – dazu brauchen wir eine Inzidenz unter 50. Es ist also noch ein weiter Weg. Aber irgendwie müssen wir doch von diesen hohen Inzidenzwerten runter“, schildert Hallerbach. Und es sein nun einmal so, dass zuletzt etliche Infektionsketten in Schulen und Kitas festgestellt wurden – Orte, an denen eben viele Menschen auf begrenztem Raum drinnen zusammenkommen. „Das Virus breitet sich in Schulen aus, so ist es nun einmal. Und auch in Kitas haben wir Fälle – Einzelfälle wohlgemerkt. Das Geschehen ist weiterhin diffus, wir haben keine ausgesprochenen Hotspots oder Spreader, anders als im vergangenen Jahr, als wir in der Folge aber auch eindeutiger clustern konnten.“ Dies und die sich schneller ausbreitende Virusmutante haben zu der Entscheidung beigetragen, an den Schulen und Kitas etwas zu unternehmen – was nicht leichtgefallen sei.

Als kurz vor Ostern die Werte stark angestiegen waren, hatte man sich noch gegen eine Schulschließung entschieden – auch, weil die Ferien kurz bevorstanden. Jetzt ist die Situation eine andere, die Ansteckungen häufen sich – und zwar quer durch den Kreis und quer durch alle Schularten.

Mahlert betont, dass man immerhin drei Tage Vorlauf ermöglichen konnte, sodass sich Schulen und auch besonders Eltern zumindest ein klein wenig darauf einstellen konnten. „Und wir haben auch den Eindruck, dass die Notbetreuung in den Schulen vernünftig gehandhabt wird. Wir wissen, dass das für manche Eltern dramatisch ist und die Notbetreuung da eine sehr wichtige Rolle spielt.“

Die Allgemeinverfügung gilt nun zunächst bis zum 7. Mai – aber auch bis dahin behalten die Verantwortlichen beim Kreis gemeinsam mit der Schulaufsicht bei der ADD die Entwicklung im Blick. „Wir halten laufend Kontakt, und wir bewerten die Lage auch Tag für Tag“, betont Mahlert, der außerdem sämtlichen Schulleitungen ein Kompliment macht, mit denen die Kommunikation ausgesprochen gut laufe.

Die Allgemeinverfügung im Wortlaut wird am heutigen Mittwoch im Anzeigenteil der Rhein-Zeitung veröffentlicht und kann außerdem, flankiert von weiteren Informationen, auf der Internetseite des Kreises nachgelesen werden unter www.ku-rz.de/schulennr

Hallerbach macht keinen Hehl daraus, dass die unpopuläre Maßnahme an den Schulen auch deshalb ergriffen wird, weil man auf diese Weise eben überhaupt etwas tun kann – beim Infektionsgeschehen im privaten Raum, das selbstverständlich ebenso zu den hohen Zahlen beiträgt wie auch jenes in Firmen, in denen nicht gut genug auf Abstands- und Hygienegebote geachtet wird, fällt das den Behörden deutlich schwerer. Was hinter verschlossenen Türen geschieht, entzieht sich eben ein gutes Stück weit den Kontrollmöglichkeiten. An dieser Stelle kann Hallerbach nur eindringlich seinen Appell an die Eigenverantwortlichkeit eines jeden Einzelnen wiederholen: „Wenn wir uns nicht alle gemeinsam an die Regeln halten, kommen wir da nicht so schnell heraus.“

Dass die angespannte Pandemielage sich möglichst bald bessern soll, ist natürlich auch der Wunsch der Lehrer und der Mitglieder von Schulleitungen im Kreis „Ein wenig Trübsinn kommt schon auf, und es tut mir für die Kinder richtig Leid“, sagt beispielsweise Joachim Fleischer, Rektor der Astrid-Lindgren-Grundschule Rengsdorf. Mit Blick auf den jetzt wieder verstärkt anstehenden Fernunterricht findet er aber auch, dass inzwischen alle damit besser geübt sind: „Wir haben aus gemachten Fehlern gelernt und sehen so den nächsten Wochen gelassen entgegen – mit der Hoffnung, dass es in zweieinhalb Wochen vorbei ist.“

„Es hat uns schon ein wenig verwundert, dass diese Regelung am Montag verkündet wurde. Aber es geht um den Schutz der Kinder“, sagt Christine Schleif, Rektorin an der Carmen-Sylva-Schule Niederbieber (Realschule plus). Sie lenkt den Blick außerdem auf Schüler, die beim Lernen zu Hause Schwierigkeiten haben. „Der Präsenzunterricht ist durch nichts zu ersetzen“, findet auch Marita Palm, Rektorin an der Römerwallschule in Rheinbrohl (Realschule plus), berichtet aber auch, dass die fast täglichen Testungen aktuell diesen normalen Alltag sowieso fast unmöglich machen. „Gottseidank können wir mit unserem Konzept und der guten Struktur reibungslos in effektiven Distanzunterricht gehen“, meint Palm.

Mit Wechselunterricht, Abstand und Testungen sah Sebastian Krings, Rektor an der Maria-Goretti-Grundschule Weis, die Schulen eigentlich auf dem richtigen Weg, und er bedauert die Schließung. „Aber wenn wir mit dem Fernunterricht zur Eindämmung der Pandemie beitragen können, werden auch wir einen Beitrag dazu leisten.“ Am Martin-Butzer-Gymnasium in Dierdorf wird es in Abstimmung mit der ADD noch einen Teil Präsenzunterricht geben, und zwar mit den Abschlussklassen. „Den Schülern und Schülerinnen raten wir zur freiwilligen Testung. Wenn sie dies nicht möchten, bitten wir sie, dass sie dann doch besser zu Hause bleiben sollten“, sagt Oberstudiendirektor Jürgen Blecker.

Und wie reagieren die Eltern auf die erneute Schließung der Schulen? Elke Lühr, Mitglied im Regionalelternbeirat Koblenz für Realschulen plus, sieht sie kritisch: „Mit diesem ganzen Hin und Her wird es nur noch verwirrender“, beklagt die Neuwiederin. „Die Eltern wissen überhaupt nicht mehr ein und aus.“ Entweder, so bemängelt Lühr, hätte man die Schulen noch bis zu den Pfingstferien Ende Mai geöffnet lassen oder aber schon nach Weihnachten konsequent schließen sollen. „Es ist keine Kontinuität erkennbar“, kritisiert sie und sagt mit Blick auf berufstätige Eltern, die nun wieder vermehrt auf ihre Kinder aufpassen müssen: „Der Raum, um da noch Dinge zu organisieren, ist jetzt zu knapp.“ Zwar hätten die Eltern notgedrungen schon Routine im Alltag mit geschlossenen Schulen, „aber man kann ja nicht permanent Urlaub nehmen – und zu den Großeltern darf man die Kinder auch nicht schicken“. Auch die Schüler seien nur noch verwirrt. Immerhin: „Die Onlineschulstunden wurden jetzt doch etwas aufgestockt“, hat Lühr beim Homeschooling beobachtet.

tim/jn/mki

Diffuses Ansteckungsgeschehen auch in den Kitas – Welche Kinder in die Notbetreuung gebracht werden sollen

Ab morgen bieten die Kitas im Kreis nur noch eine Notbetreuung an – schon vor Wochen, als die Inzidenzwerte dauerhaft über 100 gestiegen waren, wollten die Kreisverantwortlichen eigentlich diese Maßnahme ergreifen. Damals war das Land dagegen, stattdessen wechselten die Kitas an Rhein und Wied in den „Regelbetrieb bei dringendem Bedarf.“ Anfangs, schildern Achim Hallerbach und Michael Mahlert, hatte dies auch den gewünschten Effekt: Es kamen deutlich weniger Kinder in die Gruppen. Doch nach und nach wurden die Kitas wieder voller, es kam zu Ansteckungen, gleichzeitig gibt es noch keine Teststruktur für die Kinder. Auch deshalb ist der jetzt angeordnete Notbetrieb notwendig, um das Ansteckungsgeschehen in den Griff zu bekommen und den „Einrichtungen auch Luft zum Atmen zu geben“, wie es Hallerbach ausdrückt. „Der Druck ist zuletzt immer größer geworden“, schildert Hallerbach, betont aber auch hier, dass es keine ausgesprochenen Hotspots gebe, sondern ein diffuses oder ubiquitäres (überall verbreitetes) Ansteckungsgeschehen gebe. „Und dann ist es inzwischen oft so, dass wir den Indexfall gar nicht mehr ausmachen können.“ Also den Betroffenen, bei dem die unmittelbare Infektionskette ihren Anfang genommen hat.

In der Allgemeinverfügung ist genau dargelegt, wer Anspruch auf die Notbetreuung anmelden kann:

  • Kinder berufstätiger Eltern, Alleinerziehender und anderer Sorgeberechtigter, die auf eine Betreuung angewiesen sind und denen keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht;
  • Kinder in Familien, die sozialpädagogische Familienhilfen oder teilstationäre Hilfen zur Erziehung erhalten;
  • Kinder, bei denen der Allgemeine Soziale Dienst des Jugendamtes dies für zweckmäßig erachtet, auch wenn die Familie keine Individualleistung erhält;
  • Kinder in Kindertagesstätten mit heilpädagogischem Angebot, soweit deren Betrieb für die Betreuung und Versorgung beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher unverzichtbar ist;
  • Kinder, bei denen die Einrichtungsleitung zu dem Schluss kommt, dass die Betreuung im Sinne des Kindeswohls geboten ist;
  • Kinder, die aufgrund der bevorstehenden Einschulung weitere Unterstützung benötigen.

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