Verglichen mit dem Bild vom Mittwochabend mit Polizeiabsperrungen und zahlreichen Einsatzfahrzeugen wirkt die Heddesdorfer Straße nahe der Kreuzung Hofgründchen am Donnerstag wieder weitgehend normal: Passanten und Autos sind unterwegs, das Sportstudio, die Reinigung und der Lebensmittelladen haben geöffnet.
Doch wenn man etwas genauer hinschaut, fallen die Spuren von Mittwoch schnell ins Auge: Motorhauben und Scheinwerfer von vier geparkten Autos sehen aus, als wären sie in ein Schlammbad getaucht worden. Der Boden ist übersäht mit farbigen Markierungen, die zum Teil die Positionen angeben, an denen am Tag zuvor verletzte Personen gelegen haben. Auch Spuren von ausgelaufenem Benzin sind zu sehen sowie größere Blutflecken. Und blickt man von der Kreuzung aus in den verkehrsberuhigten Bereich, ist zu erahnen, mit welcher Wucht das Unfallfahrzeug hier aufgeprallt ist: Vier Betonpoller, die ein etwas erhöht angelegtes Beet umrandeten, wurden komplett aus dem Boden gerissen. Und im Beet selbst zeigt sich eine tiefe Furche.
Die Horrorfahrt einer 27-jährigen Neuwiederin hat die Deichstadt schockiert: Mit hohem Tempo raste sie am Mittwochnachmittag in eine verkehrsberuhigte Straße im Stadtteil Heddesdorf. Warum?Horrorfahrt in Neuwied: Warum raste 27-Jährige in eine verkehrsberuhigte Straße?
Im Polizeibericht klingt die Beschreibung nüchtern: „Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen befuhr die 27-jährige Unfallverursacherin mit ihrem VW Golf die Heddesdorfer Straße in Neuwied. Aus bislang ungeklärter Ursache geriet sie nach der Kreuzung Heddesdorfer Straße/Hofgründchen mit ihrem Wagen gegen die Umrandung eines Betonbeetes und wurde von dort offensichtlich über mehrere Fahrzeuge hinweg auf den Gehweg geschleudert. Dabei wurden mehrere Passanten verletzt. Das Fahrzeug kam dann letztlich erst im Bereich eines Friseursalons zum Stehen.“
Für Beteiligte war das Erlebnis schockierend. Eine junge Frau, der eines der beschmutzen Fahrzeuge gehört, erinnert sich: „Ich saß in meinem Auto, das ich in einer der Parktaschen kurz vor der Kreuzung geparkt hatte. Plötzlich hörte ich einen extrem lauten Knall, und das Auto war in eine Staubwolke eingehüllt. Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich realisiert habe, was da eigentlich geschehen war.“
Einen Blick auf das Geschehen hatte Hewe Harki, die gemeinsam mit ihrem Mann gegenüber der Unfallstelle ein Lebensmittelgeschäft betreibt: „Auch ich habe zuerst den Knall gehört. Und dann sah ich, wie ein Auto durch die Luft flog und auf dem Bürgersteig gegenüber aufkam. Die Scheibe des Friseursalons zersplitterte, Menschen rannten durcheinander. Ein Mann zog eine junge Frau, die offensichtlich verletzt war, vor unseren Laden und legte sie dort ab, um sie zu versorgen. Ich habe sofort versucht, die Polizei zu rufen, dort war aber zunächst besetzt. Ich denke, dass viele Menschen sofort probiert haben, Hilfe zu rufen“, erinnert sie sich.
Anlaufstellen für Zeugen dramatischer Unfälle
Zeugen dramatischer Unfälle leiden oft unter dem, was sie gesehen haben. Häufig stehen sie auch unter Schock. Eine erste Anlaufstelle für Betroffene ist die Notfallseelsorge, die unter Tel. 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22 zu erreichen ist. Weitere Infos gibt es auf der Webseite www.notfallseelsorge.de. Die muslimische Telefonseelsorge ist unter Tel. 030/443 509 821 zu erreichen. Informationen dazu gibt es auch im Netz unter der Adresse www.mutes.de
Ihr Nachbar Ghazi Afouf von der TipTop-Reinigung bestätigt: „Ich habe zwar nichts gesehen – aber bei dem lauten Knall und der aufgewirbelten Erde habe ich zuerst an eine Bombenexplosion gedacht.“
Schwer verletzt wurden bei dem Unfall die Fahrerin sowie drei Passanten. Darf man der Erinnerung der Augenzeugen vertrauen, so ist das Unfallfahrzeug beim Überfahren des Blumenbeetes weit abgehoben, wurde hoch durch die Luft geschleudert und flog so über mehrere geparkte Fahrzeuge hinweg, riss eine Straßenleuchte um und landete dann rückwärts kurz vor dem Friseursalon. Beim Weiterrutschen wurden noch mehrere davor geparkte Autos beschädigt. Wo genau die insgesamt fünf betroffenen Passanten vom Auto erfasst wurden, ist derzeit noch nicht bekannt. Zwei Körperumrisse sind auf dem Gehweg zwischen Kreuzung und Friseursalon markiert.
Tim Wetjen arbeitet im Körperformen-Fitnesstudio unmittelbar gegenüber der Unfallstelle. Der Sportstudent erinnert sich: „Ich habe während einer Trainingseinheit gerade aus dem Fenster geschaut und gesehen, wie das dunkle Auto durch die Luft regelrecht vorbeigeschossen kam. Im gleichen Moment hörte ich diesen Krach, der klang wie eine Bombenexplosion. Ich habe das Training sofort unterbrochen und bin mit meinem Kunden aus dem Studio gelaufen.“
Draußen war die Luft voller Staub, auf der Straße lagen Trümmerteile herum, und es waren sofort sehr viele Menschen auf der Straße. Als der junge Mann sich in Richtung des verunglückten Fahrzeuges bewegte, sah er auch Verletzte – für ihn ein sehr schockierender Anblick, zu dem er keine Details angeben möchte. Gerüchten, dass auch Kinder betroffen waren, widerspricht er allerdings.
Die Sirenen waren am Nachmittag in Neuwied-Heddesdorf aus allen Richtungen zu hören – ab etwa 16.20 Uhr fuhren diverse Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Feuerwehr sowie einige Rettungswagen zum verkehrsberuhigten Bereich der Heddesdorfer Straße.Großeinsatz nach schwerem Verkehrsunfall: Sechs Menschen in Neuwieder Innenstadt verletzt
Am Tag nach dem Vorfall ist er noch immer geschockt – analysiert aber auch: „In zwei der ersten vier Fahrzeugen hinter der Kreuzung saßen Kunden von uns. Die wurden praktisch überflogen. Auf den Boden geprallt ist das Auto dann erst hinter dem siebten Parkplatz. Nach meiner Einschätzung muss es eine enorm hohe Geschwindigkeit gehabt haben – sicher weit mehr als 60 oder 70 km/h, von denen ich in gestrigen Berichten gelesen habe. Das dürfte eher im Bereich 100 gelegen haben“ schätzt er.
Noch am Unfalltag hat es umfangreiche Analysen durch einen Sachverständigen gegeben. Dabei kam unter anderem auch eine Drohne zum Einsatz, die den Unfallort von oben analysierte. Der Polizeibericht hält sich bezüglich der Ursachen noch bedeckt: „Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Es konnte festgestellt werden, dass das Verursacherfahrzeug bereits vorher auf der Heddesdorfer Straße ein am Fahrbahnrand geparktes Fahrzeug gestreift hat. Derzeit liegen keine Hinweise auf eine absichtliche, auf die Verletzung von Personen ausgerichtete Fahrt vor.“
Immerhin gibt es in Sachen Verletzte eine Entwarnung: In der Polizeimeldung heißt es, dass in keinem Fall Lebensgefahr besteht. Angaben zu den Betroffenen können aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte nicht gemacht werden – außer dass alle beteiligten Personen in Neuwied wohnen.
Zeugen, die bislang noch nicht mit der Polizei gesprochen haben, werden gebeten, sich bei der Polizeiinspektion Neuwied unter Tel. 02631/8780 zu melden.