Viel besser hätten die Voraussetzungen kaum sein können: Das Wetter war hervorragend, das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen den amtierenden Europameister Portugal auf die familienfreundliche Uhrzeit 18 Uhr angesetzt – und das auch noch an einem Samstag. Das Team des Heimat & Verschönerungsvereins Oberbieber (HVO) hat das kleine, idyllisch am Ortsrand gelegene Freibad ja schon im vorigen Sommer – aus der Not geboren, aber sehr erfolgreich – zum Biergarten umfunktioniert. Und hatte jetzt erneut einen guten Riecher: Seit Beginn der Fußball-EM steht ein Großbildschirm auf der Wiese, auf dem die Spiele übertragen werden. Am Samstag jetzt zum ersten Mal vor ausverkauften Bierbänken.
Die Nachfrage nach den Tickets war so groß, dass schon Tage vor dem Spiel keine Plätze mehr verfügbar waren. Leer blieb nur der Großteil der Bänke, die abseits der Leinwand für Gäste aufgestellt waren, die sich nicht für Fußball interessieren. Um 17 Uhr öffnete der Biergarten, und sofort füllten sich die Tische. Als hätte sich das Publikum abgesprochen, entstand dabei aber zu keinem Zeitpunkt ein Pulk – weder an dem Tisch, an dem die Kontaktdaten erfasst wurden, noch bei der Einlasskontrolle. Und auch die Versorgung mit Getränken und Speisen lief vor und während des Spiels reibungslos. Ganz offenbar arbeitet hier ein eingespieltes Team zusammen – das an diesem Tag auch noch prominente Unterstützung hatte. Bürgermeister Peter Jung war der Einladung des Vereins gefolgt und unterstützte beim Ausschank. Und das nicht nur so lange die Kamera auf ihn gerichtet war, sondern bis zum Ende der Halbzeitpause. Bei zukünftigen Spielen sollen hier weitere Politiker Einsatz zeigen.
Pünktlich zum Spielbeginn waren die Plätze gefüllt. Und nur noch Details wiesen auf die Veränderungen hin, an die wir uns in den letzten eineinhalb Jahren nach und nach gewöhnt haben: Das Servicepersonal trug Mund-Nasen-Schutz, die Tische standen relativ weit voneinander entfernt, und es kam abseits davon kaum zu irgendwelchen spontanen Gesprächen zwischen Fremden.
Und auch die Nationalmannschaft trug einiges dazu bei, dass Erinnerungen an die Zeit vor der Pandemie aufkamen. Denn so hervorragend hatte man sie schon lange nicht mehr spielen sehen. Die Euphorie der Zuschauer erhielt zunächst zwar noch einen Dämpfer durch das überraschende Gegentor. Doch dann gab es vier Mal Anlass zum Jubeln.
Und dabei musste man schon genau hinschauen, um einen Unterschied zu früheren Zeiten wahrzunehmen: Jeder bleib an seinem Platz, ein paar Fahnen wurden geschwenkt, und einige Klappern waren zu hören. Das letzte Quäntchen Überschwang fehlte – aber insgesamt fühlte sich der Nachmittag fast wie eine Zeitreise in die Vergangenheit an. Der Optimismus von Ortsvorsteher Rolf Löhmar, der einen wesentlichen Anteil am Erfolg des Biergartens hat, klingt allerdings noch etwas verhalten: „Wir haben die gesamte Technik von einem Dienstleister aus Montabaur gemietet. Der regenfeste Bildschirm und die Illumination für die Bäume sollen noch bis zum Ende der Olympischen Spiele hier bleiben. Bleibt abzuwarten, ob die tatsächlich stattfinden werden.“
Auch in Gesprächen mit dem Publikum und den Mitarbeitern klingt immer wieder durch, dass der aktuellen Situation noch nicht wirklich vertraut wird. Da wird viel über die neuen Mutationen gesprochen, über den Impffortschritt und darüber, ob manche Lockerungen nicht doch zu schnell kommen. Doch zumindest gegen Ende der zweiten Halbzeit ist das kein Thema: Nachdem die Portugiesen auf 2:4 verkürzt hatten, verfolgten alle gebannt das Geschehen auf dem Rasen. Und hatten am Ende dann Anlass für einen weiteren Jubel mit leicht angezogener Handbremse.
Das Team des HVO wünscht sich nun, dass die Nationalmannschaft weiterhin erfolgreich spielt – und dass die Lockerungen erhalten bleiben. Die Atmosphäre hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht. Offenbar kann man sich recht schnell auch wieder an das gewöhnen, was wir bis zum Frühjahr 2020 als normal empfunden haben.
Von unserem Mitarbeiter Rainer Claaßen
Auch Wirte und Fußballfunktionäre spüren: Die Euphorie steigt
Kreis Neuwied. Es ist ein Ruck gegangen durch Fußball-Deutschland – und der ist auch an Rhein und Wied spürbar: „Die Stimmung war schon super“, freut sich etwa Gianliuca Toma, Geschäftsführer des Biergartens am Deich, auch einen Tag nach nach dem Sieg der deutschen Elf gegen Portugal noch darüber, dass das EM-Fieber langsam ansteigt. „Alle Tische waren voll, natürlich mit Abstand und Corona-konform.“ Wer am Mittwoch einen Platz für das Spiel gegen Ungarn (21 Uhr) ergattern möchte, sollte also früh kommen.
Das gilt auch für die „American Sportsbar“ in der Neuwieder City. „Nach dem Führungstreffer der Portugiesen war es zwar ein wenig ruhiger, aber dann kippte die Stimmung total. So kann es weiter gehen“, freut sich Heiner Kloft. Vergrößern kann der Wirt seinen Biergarten für die nächsten Spiele aber nicht: „Das ist abstandsmäßig gar nicht machbar, und anbauen darf ich auch nicht.“
Ein paar Kilometer rheinabwärts schwärmt auch Manfred Rüddel, Zweiter Vorsitzender des VfB Linz, von der guten Stimmung während des Spiels: „Es hat Spaß gemacht, zuzuschauen“, sagt Rüddel, der mit anderen Fußballfans im Sportlerheim auf dem Kaiserberg dabei war. Fürs Spiel gegen Ungarn muss man sich hier anmelden. Indoor stehen zwei Großfernseher bereit. Franz Varel, Vorsitzender des TuS Asbach, hat die Euphorie bei den TuS-Spielern in den sozialen Medien ausgemacht. „Alle waren begeistert“, so Varel, der sich freut, dass es nach der Sommerpause auch auf den heimischen Plätzen wieder losgeht. „Mit der EM im Fokus kommt auch der Spaß am Kicken wieder zurück.“ jn