Darf man auf dem Boden liegendes Obst aufheben, dafür ein fremdes Grundstück betreten, das vielleicht noch nicht einmal eingezäunt ist? Und wie werden Obst- und Gemüsediebstähle größeren Ausmaßes verfolgt, wie unlängst in Rengsdorf, wo der Besitzer eines Birnbaums vor seinem abgeernteten Baum stand? Die RZ fragte nach und sprach mit dem Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau, Naturschutzverbänden, den zuständigen Orts- und Kreisbehörden und nicht zuletzt mit der Polizei, die über die Rechtslage aufklärte.
Übereinstimmend berichten alle Befragten, dass es immer wieder zur unerlaubten Entwendung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Produkte komme. „Viele Landwirte bemerken schon seit Längerem, dass Teile der Bevölkerung davon ausgehen, dass landwirtschaftliche Flächen Allgemeineigentum seien“, sagt Markus Mille, Geschäftsführer des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau. „Das ist natürlich nicht so. Das betrifft das Freilaufenlassen von Hunden auf landwirtschaftlichen Flächen bis hin zur Mitnahme von Früchten. Dabei ist auch die Mitnahme kleiner Mengen Diebstahl.“
Auch Silvia Puderbach, Zweite Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Rengsdorf und Ansprechpartnerin für die Streuobstwiesen, berichtet von illegalen abendlichen Ernten auf den Streuobstwiesen um Rengsdorf und betont: „Auch die Streuobstwiesenbäume gehören jemandem.“ Gleiches bestätigt Ingrid Runkel, Dritte Beigeordnete der Ortsgemeinde Rengsdorf: „Wir sind über das unerlaubte Betreten und Abernten sehr verärgert. Die Leute kommen nicht nur bei Nacht und Nebel, sondern es kamen schon welche aus Düsseldorf und haben gemeint, die Flächen wären frei zugänglich. Die Landwirte, deren Vieh und Kälbchen auf der Weise standen, hatten große Sorgen um ihr Viehzeug, denn eine solche Begegnung kann gefährlich sein.“
Markus Mille hat kein Verständnis für solches Verhalten und gibt zu bedenken: „Man möchte das selbst ja auch nicht, dass jemand in den eigenen Garten geht und unerlaubt etwas mitnimmt. Das gebietet der Anstand. Viele Landwirte stellen aber zunehmend fest, dass der Respekt vor dem Eigentum erodiert.“
Das bestätigt auch Gotthard Emmerich, Winzer aus Leutesdorf und Sprecher der Weinsteigwinzer: „Wir stellen in den letzten Jahren fest, dass die Leute mit Kisten, Plastiktaschen und Säcken richtig ernten. Das ist Diebstahl.“ Die Begründung einer „erwischten“ Gruppe sei gewesen: „Solang kein Zaun drum ist, kann ich mir in der Natur alles holen.“ Das ist natürlich nicht so. Und auch der aus längst vergangenen Zeiten bekannte „Mundraub“ ist lang schon nicht mehr erlaubt, teilt die Polizeidirektion Neuwied auf Nachfrage mit.
Nicht nur der eigentliche Ernteschaden schmerzt aber die Winzer, Obstbauern und privaten Besitzer, oft entstehen durch das unsachgemäße Umgehen mit dem Obststück, Zweig oder Rebstock auch Schäden und Beeinträchtigungen an Bäumen oder Weinstöcken. Oft werde beispielsweise mit Stöcken in Walnussbäume geworfen, damit die Nüsse herunterfallen. Dabei würden ganze Äste abbrechen, erklärt Irmgard Schröer, Geschäftsführerin des Naturparks Rhein-Westerwald.
Oft bekommen die geschädigten Besitzer ihren Verlust auch nicht ersetzt, da die Diebe unerkannt entkommen. Tätern, die erwischt werden, fehle oft das Unrechtsbewusstsein, sagt Gotthard Emmerich: „Es ist doch nur wenig, Sie haben doch genug.“ Solche und ähnliche Antworten müsse er sich immer wieder anhören.
So unverschämt manche Obstdiebe argumentieren, lässt sich andererseits aber auch jeden Herbst beobachten, dass viele Obstbäume in Feld und Natur ungepflückt und voller Früchte hängend bleiben. Oft haben die Besitzer keine Zeit zur Obsternte, oder Landwirte sehen die Grünlandschaft mit Viehnutzung als vorrangig an.
In den Streuobstwiesen um Rengsdorf herum, die Obstbäume durch farbige Bändchen gekennzeichnet, erläutert Ingrid Runkel, die auch Vorsitzende des Vereins Flora und Fauna ist: „Ein weißes Bändchen bedeutet, dass der Besitzer erst einmal selbst ernten möchte. Ist dieses Bändchen weg, werden die Bäume neu gekennzeichnet und zugewiesen, was aber voraussetzt, dass sich Gastpflücker an die vorgegebenen Regeln halten müssen.“ Um über die Nutzung der Obstbäume der Ortsgemeinde Rengsdorf zu informieren, können Rengsdorfer und Verbandsgemeindeeinwohner bei der Gemeindeverwaltung anrufen. Bürger von Rengsdorf und der Verbandsgemeinde können einen Baum zugewiesen bekommen.
Auch Markus Mille rät, sich bei Interesse an „ungepflückten“ Bäumen bei der zuständigen Ortsgemeinde nach dem Besitzer zu erkundigen und diesen zu fragen, ob man pflücken dürfe. In Baden-Württemberg rufen mittlerweile viele Landkreise und Kommunen die Obstbaumbesitzer dazu auf, sich an der Ernteaktion „Gelbes Band“ zu beteiligen. Bürgern soll so erlaubt werden, Obst zu pflücken, das der Besitzer nicht verwerten will. Sind Bäume oder Sträucher mit gelben Bändern gekennzeichnet, darf man dort ernten, ohne sich eines Diebstahls strafbar zu machen.
Und es gibt weitere Ideen gegen faules Obst: Vereine und Naturschutzverbände bieten Apfelsammelaktionen an, um mit Kindern Apfelsaft herzustellen und sie auf diese Art und Weise für die Natur zu begeistern. Wiesen mit nicht gepflückten Obstbäumen könnten auch durch die Besitzer an zuständige Kindertagesstätten oder Schulen zur weiteren Nutzung (Ernte) freigegeben werden.