Die Menschen haben einen neuen Bundestag gewählt. Mit ihrer Entscheidung an den Wahlurnen haben sie auch den Weg für eine mögliche Regierungskonstellation geebnet. Unsere Zeitung wollte von Parteigrößen aus dem Kreis Neuwied wissen, was sie von den Wahlergebnissen auf Bundes- und Wahlkreisebene halten und wen sie in der künftigen Regierung sehen wollen.
„Der Wahlausgang zeigt, dass die Demokratie in Deutschland lebt, denn die Wahlbeteiligung von rund 82,5 Prozent ist die höchste seit Jahrzehnten. Das finde ich sehr erfreulich“, sagt Landrat Achim Hallerbach. Das Ergebnis verdeutliche ebenfalls, dass das Vertrauen in die bisherige Regierung komplett verloren gegangen sei.
Hallerbach: Menschen fühlen sich nicht mitgenommen
Der Erfolg von Ellen Demuth bei den Erststimmen sei Spiegelbild des eher ländlich-bürgerlich strukturierten Wahlkreises. Zugleich hat die CDU generell nicht das Ergebnis erreicht, das sie sich vorgestellt hat, so Hallerbach: „Wenn demgegenüber die politischen Ränder, vor allem rechts mit der AfD erstarkt sind, ist das ein Ausdruck dafür, dass sich rund ein Drittel der Menschen von den etablierten Parteien nicht mitgenommen fühlen.“ Für die künftige Regierung bedeute das, „die Sorgen, Nöte und Ängste der Bevölkerung endlich aufzunehmen und in entsprechendes politisches Handeln umzusetzen“.
Eine Alternative zum sich abzeichnenden Schwarz-Rot in Berlin sieht der Landrat dabei nicht: „Es ist eine Zweierkoalition mit knapper Mehrheit, eine andere Koalition sehe ich nicht. Allerdings müssen sich jetzt beide Partner zusammenraufen.“ Das AfD-Ergebnis sei erschreckend genug, darauf müsse nun reagiert werden. Hallerbach betont: „Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung, da zählt jeder Monat.“
„Es macht mich etwas wütend, dass wir sehenden Auges in dieses Ergebnis reingegangen sind.“
Michael Mahlert (SPD) zum Verhalten seiner eigenen Partei vor der Wahl
SPD-Kreisvorstand Michael Mahlert gratuliert zunächst einmal Ellen Demuth (CDU) zum Gewinn des Direktmandates. Davon unabhängig zeigt er sich verärgert darüber, wie sich seine eigene Partei vor der Wahl verhalten hat: „Es macht mich etwas wütend, dass wir sehenden Auges in dieses Ergebnis reingegangen sind.“ Er hatte sich einen personellen Neuanfang gewünscht, nachdem klar gewesen sei, dass Olaf Scholz nicht mehr die agile und handlungsfähige Figur sein würde. „Das war dann einfach nicht mehr glaubwürdig“, meint Mahlert, der es als „Mann der Basis“ nun auch für geboten hält, dass Saskia Eskens von der Parteispitze abtritt. Dem Wahlkreiskandidaten der SPD, Jan Hellinghausen, bescheinigt er angesichts des „zweitbesten Erststimmenergebnisses in Rheinland-Pfalz“ ein achtbares Ergebnis.
Was die Koalitionsbildung in Berlin angeht, steht für Mahlert fest: „Wir als SPD müssen da mit dem Willen reingehen, wirklich eine Einigung mit der CDU erzielen zu wollen. Andernfalls macht das den rechten Rand nur noch stärker.“ Die Zeit, in der die Taktik auf Egoismen aufgebaut war, sei vorbei. „Mehr Warnung als das AfD-Wahlergebnis kann es da nicht geben“, sagt Mahlert.

Der Neuwieder CDU-Kreisverbandsvorsitzende Jan Petry hat bereits am frühen Wahlabend eine eindeutige Erwartungshaltung, welche Rolle die Christdemokraten nach der Bundestagswahl einnehmen werden: „Die CDU hat die Wahl bundesweit gewonnen. Der Regierungsauftrag ist klar. Das wird sicherlich ein hartes Stück Arbeit für Friedrich Merz, schnell eine stabile Regierung zu bilden.“
„Die einzige realistische Option ist eine Koalition mit der SPD. Eine Hereinnahme der Grünen halte ich nicht für sinnvoll, weil das von den Schnittmengen nicht das hergibt.“
Jan Petry, CDU-Kreisvorsitzender
Rechnerisch gibt es nur zwei Möglichkeiten für eine Koalition, nachdem eine Zusammenarbeit mit der AfD als zweitstärkste Kraft im Vorfeld der Wahl ausgeschlossen war: die Neuauflage einer Koalition mit der SPD oder eine Kenia-Koalition mit der SPD und den Grünen. „Die einzige realistische Option ist eine Koalition mit der SPD. Eine Hereinnahme der Grünen halte ich nicht für sinnvoll, weil das von den Schnittmengen nicht das hergibt, was wir brauchen: ganz klare Änderungen bei der Migrations- und Wirtschaftspolitik“, sagt Petry. „Wir müssen jetzt an die Sozialdemokratie appellieren, dass sie die Not der Stunde erkennt.“
„Das waren schwierige Voraussetzungen aus der Regierung heraus, um für die Grünen ein gutes Ergebnis einzufahren“, stellt Ralf Seemann (Bündnis 90/Die Grünen) fest. Er habe sich etwas anderes erhofft. Das Ergebnis für die AfD hält der Sprecher der Kreistagsfraktion für erschreckend. Wenn man die Wählergruppe und das Parteiprogramm vergleiche, sei das nicht vereinbar, sagt Seemann. „Ich habe den Eindruck, dass verkürzte Botschaften ausreichen“, merkt er an. Schwarz-Rot nennt Seemann angesichts des Wahlergebnisses die naheliegendste Koalition. „Besser vier gute Jahre in der Opposition“, wo sie ihre Inhalte ohne Koalitionszwänge vertreten könnten, sagt er zur Rolle der Grünen.
„Das war für uns als SPD kein guter Tag und ein schlechtes Ergebnis.“
Lana Horstmann (SPD)
Grünen-Kreissprecher Holger Wolf hatte sich ein besseres Abschneiden seiner Partei gewünscht. „Mit Sicherheit haben wir Stimmen an die Linke verloren, weil viele um jeden Preis Friedrich Merz verhindern wollten. Der Preis dafür wird eine Regierung sein, in der das existenzielle Thema Klimaschutz nur ungenügend vorkommen wird“, kritisiert Wolf. Eine Kenia-Koalition stehe derzeit nicht zur Debatte.
Auch wenn es sich abgezeichnet habe: „Das war für uns als SPD kein guter Tag und ein schlechtes Ergebnis“, sagt Lana Horstmann (SPD). Doch sie ist überzeugt, dass sich die Sozialdemokraten wieder berappeln können. Das Erstarken der AfD mache ihr Sorgen, sagt die Stadtverbandsvorsitzende der SPD. „Das Einzige, was möglich ist, ist eine CDU-SPD-Koalition“, erklärt die Landtagsabgeordnete weiter, auch wenn sie da zwiegespalten sei. „Der Umgangston der Union auf Bundesebene muss sich drastisch ändern“, nimmt Horstmann Bezug auf Friedrich Merz’ Auftritt am 22. Februar in München. „Wir brauchen schnell eine stabile Regierung“, betont sie.

Auch Julia Eudenbach, Kreisvorsitzende von Die Linke, sieht in der schwarz-roten Koalition die einzig sinnvolle: „Ich hoffe, die kommen auch zusammen.“ Demokratisch wäre auch CDU/AfD denkbar, fährt sie fort: „Aber als Linke bin ich natürlich davon überzeugt, dass die AfD auf gar keinen Fall in eine Regierungskoalition, erst recht nicht mit der CDU, gehört.“ Dann verschlimmere sich alles, vor allem im sozialen Bereich, ist sie überzeugt.
„Es ist erschreckend festzustellen, wie die Wähler im Wahlkreis Neuwied eine rechte Schreckensherrschaft herbeiwählen.“
Udo Franz (Freie Wähler)
Udo Franz (Freie Wähler) äußert sich wie folgt zum Wahlergebnis: „Es ist erschreckend festzustellen, wie die Wähler im Wahlkreis Neuwied eine rechte Schreckensherrschaft herbeiwählen.“ Positiv sieht er grundsätzlich, dass sich wieder weniger Parteien die Sitze in Berlin aufteilen dürfen. „Die Parteienvielfalt, die sich entwickelt hat, kann keiner Demokratie guttun“, sagt Franz. Und er antworte meistens, wenn er nach seiner Partei gefragt werde, wie folgt: „Hätten die etablierten Parteien mehr richtig gemacht, gäbe es für uns keine Notwendigkeit.“
„Uns hat es am meisten getroffen. Diejenigen, die für mich am meisten schuld sind, das sind für mich die Grünen“, sagt Ulrich Schreiber (FDP). Die Grünen seien aber noch glücklich davongekommen. Und er ergänzt: „Mit dem Ergebnis in Dierdorf haben wir es noch über die 5 Prozent geschafft, aber ansonsten sah es traurig aus.“ Für Christian Lindner, der sich aus der Politik zurückgezogen hat, tue es Schreiber leid. Auch die Regierungsbildung zwischen CDU/CSU und SPD sieht er als nicht einfach an. Die Menschen seien unzufrieden, aber Schreiber sagt ganz klar: „Die Demokratie soll es richten und nicht die Rechten.“
„Ich erwarte von dieser Koalition ein entschiedenes Weiter so und nicht Entscheidungen, die uns wirklich nach vorne bringen.“
Jochen Bülow (BSW) zu Schwarz-Rot in Berlin
Jochen Bülow (BSW) ist laut eigener Aussage mit der Nachricht der Bundeswahlleiterin um halb 2 ins Bett gegangen, dass das BSW die 5-Prozent-Marke passiert hat, also nur noch eine Handvoll Wahlkreise auszulesen waren. Doch am Morgen folgte dann die negative Überraschung für ihn. Er macht keinen Hehl daraus, dass das eine Niederlage ist. Trotzdem sei das Wahlergebnis ein Erfolg, auf den man aufbauen könne.
Für den verpassten Einzug in den Bundestag führt er mehrere Gründe an. Bülow glaubt zum einen, dass die schwierige Entscheidung zur Koalition das BSW in den östlichen Bundesländern Unterstützung gekostet habe. Zum anderen habe die Forsa-Umfrage kurz vor der Wahl nicht geholfen, die das BSW bei 3 Prozent einstufte. „Klar machen sich die Leute Gedanken darüber, ob ihre Stimme verschwendet ist oder nicht.“ Zu einer möglichen Koalition aus SPD und CDU sagt er: „Ich erwarte von dieser Koalition ein entschiedenes Weiter so und nicht Entscheidungen, die uns wirklich nach vorne bringen.“