Mehr als Lückenbüßer
Neuwieder Obdachlosenhilfe: Das Schöppche ist umgezogen
Ulrike Proft (links), stellvertretende Geschäftsführerin der Neuwieder Caritas, und Sozialarbeiterin Janine Timm sind sehr zufrieden mit der Übergangslösung für das Schöppche. Klaus, ein mittlerweile seltener Gast in der Tagesstätte, muss sich noch an den neuen Standort gewöhnen.
Justin Buchinger

Das Schöppche wurde abgerissen. Doch der Betrieb der Caritas-Wohnungslosentagesstätte geht nur wenige Hundert Meter weiter. Dabei ist die Ausweichlösung mehr als ein Lückenfüller, auch wenn es noch an einzelnen Stellen hakt.

Zu zweit, zu dritt oder auch allein sitzen die Menschen in dem hellen Raum an den viel genutzten Tischen. Sie unterhalten sich, essen Nudelauflauf oder trinken noch einen Kaffee, bevor sie losmüssen. Der Raum der Neuwieder Wohnungslosentagesstätte könnte auf den ersten Blick auch eine nicht unbedingt moderne, aber gemütliche Kantine sein. Hier bekommen Bedürftige an jedem Wochentag von 8 bis 12.30 Uhr mehr als nur Frühstück oder Mittagessen: Sie können duschen, ihre Kleidung waschen und mit Sozialarbeitern oder ehrenamtlichen Helfern sprechen. Tun müssen sie nichts. „Hier darf man einfach Mensch sein“, sagt Ulrike Proft, stellvertretende Geschäftsführerin der Caritas Neuwied.

Fast 30 Jahre lang war das Schöppche im Hinterhof des Caritasgebäudes die Anlaufstelle für Obdachlose. Doch der in die Jahre gekommene Bau wurde Anfang des Monats abgerissen, um Platz für einen zeitgemäßen Neubau zu schaffen. Bis das Schöppche 2.0 in etwa einem Jahr fertig sein soll, dient ein Gebäude in der Heddesdorfer Straße 31 als Übergangslösung. Es liegt nur ein paar Hundert Meter von der Caritas entfernt. Doch der neue Standort in den ehemaligen Räumen des Luchterhand-Verlags ist für Proft und die Sozialarbeiterin Janine Timm mehr als ein Provisorium.

„Da kommt jeder mit einer Reihe Problemen. Es können nicht immer alle miteinander.“
Janine Timm, Sozialarbeiterin in Neuwied

Das beengte Schöppche und seine oft defekte Einrichtung sind nun Vergangenheit. „Es ist Murks, wenn die Ehrenamtlichen das Besteck von Hand spülen müssen“, so Timm. Der neue Standort bietet in vielen Bereichen klare Vorteile. Der eigentliche Umzug lief problemlos. „Am Anfang mussten wir die Besucher herbringen, dann sprach es sich schnell rum.“

Die Räume sind deutlich größer. Statt eines einzigen, beengten Raums verteilt sich die Tagesstätte nun auf die vierfache Fläche. Das entzerre alles und vermeide auch Konflikte. Die Sozialarbeiterin sagt: „Da kommt jeder mit einer Reihe Problemen. Es können nicht immer alle miteinander.“

Mehr Raum für Obdachlose

Die Küchenzeile hat jetzt einen eigenen Raum, es gibt ein Kleiderlager und einen separaten Raum für Einzelgespräche. „Jetzt kann man das an einem Ort machen, an dem es keine Zuschauer gibt.“ Auch für die wöchentlichen Besuche von ehrenamtlichen Medizinern und Anwälten ist das besser. „Vorher haben wir es dort gemacht, wo es eben ging. Wir haben mal im Hof einen entzündeten Fuß versorgt.“

Auch für anderes ist dort mehr Platz. Etwa eine Couch, auf der sich die Menschen ausruhen können. „Einige bleiben in der Nacht wach, weil sie nicht draußen schlafen wollen.“ Die sanitären Anlagen sind nun auch besser: Dusche und Toilette sind nicht mehr in einer kleinen Nasszelle untergebracht, wie es im alten Schöppche der Fall war. „Das war ein Problem, vor allem, weil es die einzige öffentliche Dusche in der Stadt war. Vielleicht haben manche deshalb auf das Duschen verzichtet“, vermutet Timm.

Die Einrichtung ist im ehemalige Gebäude des Luchterhand-Verlags untergekommen, eine Verbesserung zum beengten Schöppche. Was jedoch vielen Besuchern fehlt, ist der Außenbereich.
Justin Buchinger

Die Befürchtung, dass durch den größeren Raum mehr Bedürftige kommen könnten, hat sich nicht bewahrheitet. Aber bereits in den vergangenen Jahren sei die Zahl der Bedürftigen deutlich gestiegen. „Das ist ein deutschlandweites Problem“, erklärt die Sozialarbeiterin. Vor drei Jahren seien es etwa 20 Besucher gewesen, die täglich zum Schöppche gekommen seien, mittlerweile seien es 40 bis 50 Menschen.

Einige Kleinigkeiten fehlen noch am neuen Standort: Der Handyempfang ist schlecht, Telefon- und Computerverbindung sind noch nicht eingerichtet. „Das ist aber in ein paar Tagen erledigt“, sagt Proft. Doch die größere Fläche hat auch Nachteile. Es gibt mehr zu putzen. Auch können die Helfer nicht immer alle Räume im Blick behalten. Hinzu kommt, dass die Zahl der Ehrenamtlichen, die den Großteil der Arbeiten in der Tagesstätte erfüllen, stagniert. „Wir haben ein engagiertes Team, aber viele haben ein bestimmtes Alter erreicht.“

Für Sozialarbeiterin Timm und ihre Kollegen bedeutet der neue Standort längere Wege. Zwar kann sie mit den Bedürftigen in der Tagesstätte sprechen, doch für manche Aufgaben muss sie an ihren Computer im Caritas-Gebäude.

Der neue Standort werde aber gut angenommen. „Vielleicht trauert der eine oder andere dem Schöppche ein bisschen hinterher. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier“, sagt Timm. Viele vermissten auch den Außenbereich. Die Besucher gehen zwar zum Rauchen vor die Tür, doch der Vermieter möchte keinen Aufenthaltsort vor dem Gebäude. „Das Schöppche war abgeschirmt, nicht so auf dem Präsentierteller. Da konnten die Leute auch nach den Öffnungszeiten so lange bleiben, wie wir im Caritasgebäude noch gearbeitet haben.

„Ich vermisse das alte Schöppche“, sagt Klaus, der früher in Neuwied obdachlos war und jetzt in Königswinter lebt. Er kommt nur noch unregelmäßig zur Obdachlosenhilfe. „Ich schätze die Menschlichkeit hier.“ Nach kurzem Überlegen sagt er: „Es ist alles noch sehr nackt.“ Es fehle an Dekoration und Dingen, die zu tun seien. Doch das könne man schnell lösen. Er habe schon im alten Schöppche viel gestellt. „Was brauchen wir den noch?“, fragt der ältere Mann, der scheinbar alles organisieren kann und für jedes Problem jemanden kennt, der jemanden kennt. Er verspricht noch beim Herausgehen, das nächste Mal Bilderrahmen mitzubringen für die Kinoplakate, die dort bald hängen sollen.

Startschuss für das Schöppche 2.0

Hinter dem Caritasgebäude in der Heddesdorferstraße haben die Bauarbeiten für das Schöppche 2.0 begonnen. Der Neubau soll nicht nur den Bedürfnissen der Besucher gerecht werden, sondern auch den Ehrenamtlichen bessere Arbeitsbedingungen bieten. Geplant sind neben Toiletten und Waschraum ein Aufenthaltsbereich und eine Küche, in der Ehrenamtliche und Klienten gemeinsam kochen können. Eine separate Spülküche, ein Lagerraum für Lebensmittelspenden und eine Kleiderkammer sind ebenfalls vorgesehen.

Im Obergeschoss entstehen drei Betreuungsbüros für Einzelgespräche, ein PC-Arbeitsplatz und ein Multifunktionsraum. Auch ist ein Erste-Hilfe-Raum geplant, in dem ehrenamtlich tätige medizinische Fachkräfte akute Verletzungen und Krankheiten behandeln können. Der Außenbereich soll optisch aufgewertet und durch ein Tor von den umliegenden Grundstücken abgetrennt werden. Finanziert wird das Projekt von den Wirtgen-Stifftungen.

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