Interview Der neue Oberbürgermeister will die City als Einkaufsstadt wieder attraktiver machen und das Ehrenamt stärken
Neuwied: Jan Einig will die Trendwende schaffen

Sein Schreibtisch ist voll: Über mangelnde Arbeit kann sich der neue OB Jan Einig nicht beklagen.

Ulf Steffenfauseweh

Neuwied. Vor rund sechs Wochen haben die Neuwieder Jan Einig gewählt, seit zwei Wochen ist der Christdemokrat auch offiziell als Oberbürgermeister im Amt. Wir haben uns mit ihm unterhalten – über seine Ziele, die geplante Verwaltungsreform, die Zukunft der Innenstadt und den „Ober-Oberbürgermeister“.

Herr Einig, Sie sind in fast rasender Geschwindigkeit vom Tiefbauamtsleiter zum Bürgermeister und jetzt zum Oberbürgermeister aufgestiegen. Haben Sie das alles für sich schon einordnen können?

Wenn ich wirklich einmal Zeit für mich habe, dann denk ich schon: „Mensch, die letzten zwei Jahre waren doch sehr ereignisreich.“ Aber viel Zeit für solche Gedanken habe ich bislang nicht gehabt und werde sie bis Weihnachten auch nicht haben. Momentan gibt es sehr viele Termine, die ich unter einen Hut bringen muss, und das führt dazu, dass ich von morgens bis abends unterwegs bin. Auch das Familienleben ist da sehr eingeschränkt.

Sein Schreibtisch ist voll: Über mangelnde Arbeit kann sich der neue OB Jan Einig nicht beklagen.

Ulf Steffenfauseweh

Also 14-Stunden-Tage?

In der Regel schon. Ich bin morgens allerspätestens um 8 Uhr hier, oft auch deutlich früher, und in der Regel abends nicht vor 22 Uhr zu Hause. Aber das wird sich im nächsten Jahr deutlich entspannen. Dann ist es terminlich besser strukturiert, und dann hab ich auch mehr Zeit, um das Tagesgeschäft zu erledigen. Das mach ich im Moment morgens vorher oder abends und manchmal auch am Wochenende.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Michael Mang? Er war ja Ihr Gegenkandidat.

Wir arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen. Das war auch während des Wahlkampfes schon so. Auch da haben wir mindestens einmal in der Woche zusammengesessen. Wir müssen die Dinge ja gemeinsam auf die Reise bringen, und das funktioniert auch.

Was wollen Sie anders machen als OB Roth?

Das ist natürlich immer eine sehr schwierige Frage. Es sind große Fußstapfen. Aber grundsätzlich passen Fußspuren nie. Da müssen eigene Fußspuren hin. Ich denke, ich bin vom Typ her ganz anders. Ich will meinen Weg gehen.

In der Stadtverwaltung soll künftig mehr kommuniziert werden.

Ulf Steffenfauseweh

Welchen Führungsstil streben Sie denn zum Beispiel an?

Ich bin, so hoffe ich zumindest, von Haus aus ein kommunikativer Mensch. Ich will mehr und intensiver mit den Amtsleitern zusammenarbeiten. Ich will mich mit ihnen einen Tag lang zur Klausur einschließen und überlegen, in welche Richtung wir als Verwaltung gehen wollen. Wo sind Knackpunkte, wo wollen wir Veränderungen vornehmen? Das wäre auch im Hinblick auf den Antrag der beiden großen Fraktionen wichtig. Und wenn Sie nach dem Führungsstil fragen, muss ich auch sagen, dass wir hier sehr gute Mitarbeiter haben. Sie machen einen tollen Job. Ich kann ihnen etwas zutrauen und möchte ihnen Vertrauen schenken.

Was sind Ihre ersten Maßnahmen als OB?

Ich will einen runden Tisch für die Innenstadt einberufen. Wir sondieren gerade, wer alles dazukommen soll, und dann werden wir uns Ende Januar zusammensetzen. Ich würde gern im ersten halben Jahr ein erstes Ergebnis aus dieser Runde präsentieren. Außerdem will ich das Thema Ehrenamt angehen. Ich will hier im Haus eine zentrale Ansprechstelle für die Menschen haben. Ich habe da auch schon eine Idee und denke, dass wir im Februar jemanden präsentieren. Parallel läuft die Umstrukturierung im Haus. Der Stadtrat hat den Antrag beschlossen. Jetzt schauen wir uns nach einem Büro um, das uns begleitet. Anschließend berufen wir die Arbeitsgruppe ein.

Was wollen Sie in acht Jahren erreicht haben?

Wichtig wäre mir eine größere Zufriedenheit in Sachen Innenstadt. Ein zweites Thema ist Wohnraum. Wir sind auf dem Weg, müssen aber weitere Flächen ausweisen. Außerdem hätte ich gern deutlich mehr Gewerbeflächen zur Verfügung: auf dem Friedrichshof und im Gewerbegebiet Gladbach. Da sollten wir in acht Jahren ein paar deutliche Schritte weiter sein.

Kommen wir zur Verwaltungsreform: Es gab Aufregung in Ihrem Hause, weil die Mitarbeiter aus der Rhein-Zeitung von den Plänen erfahren haben und nicht von ihrem obersten Chef. Hätten Sie die Leute früher zusammenholen müssen?

Ich hab da eine eigene Philosophie. Grundsätzlich bin ich jemand, der die Mitarbeiter gern früh mitnimmt. An dieser Stelle war mir aber wichtig, auch klar zu machen, dass es kein Papier von mir ist, sondern von den Fraktionen. Ich bin nicht sicher, ob das Papier nicht am Ende mit mir nach Hause gegangen wäre, wenn ich es schon früher herausgebracht hätte. Ich sehe mich als Vertreter der Verwaltung, nicht als Sprecher der Fraktionen. Und sie haben diese Forderungen aufgestellt. Das war mir natürlich vorher bekannt und war auch mit uns abgesprochen. Aber es war mir wichtig, dass es kein Papier von Jan Einig ist, sondern eins der Fraktionen.

Das klingt nach Distanz.

Nein. Der Inhalt ist durchaus sinnvoll. Das seh ich genauso. Wir haben sehr viele Schnittstellen im Haus, die man aufgeben kann und muss. Es kann nicht sein, dass wir für einen Vorgang vier verschiedene Ämter oder Abteilungen brauchen. Das muss man deutlich verschlanken. Das sehen die meisten Mitarbeiter ähnlich. Ich denke auch, dass wir jetzt im guten Dialog miteinander sind, was auch sehr wichtig ist. Wir brauchen die Mitarbeiter, um genau diese Schnittstellen aufzudecken. Sie wissen am besten, wo es hakt.

Der Stadtrat hat ebenfalls beschlossen, dass es keinen hauptamtlichen Beigeordneten gibt. Wie teilen Sie sich die Arbeit von OB Roth auf?

Wir müssen umstrukturieren, werden aber nicht sofort Ämter schließen. Ich habe mich mit Herrn Mang zusammengesetzt und überlegt, was der sinnvollste Weg sein könnte. Jeder hat ein bisschen zusätzlich übernommen. Wir werden zwangsläufig auch ein Stück mehr Verantwortung auf die Amtsleiter übertragen. Das sehe ich aber nicht als Schwierigkeit an. Problematisch ist die Vielzahl der repräsentativen Aufgaben. Daher bin ich sehr froh, dass es die ehrenamtlichen Beigeordneten geben wird.

Ist es richtig, dass Michael Mang zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben Rechtsamt und Immobilienmanagement übernehmen soll und Sie den Rest?

Ja, das stimmt. So ist der Plan.

Wenn die Verwaltungsreform umgesetzt wird und Bereiche ausgelagert werden an SWN, SBN und GSG, sinkt die Zahl der Verwaltungsmitarbeiter. Schwächen Sie nicht Ihre eigene Position?

Wir sind grundsätzlich immer noch das Kontrollorgan der entsprechenden Gesellschaften. Allein vor diesem Hintergrund bleibt der Einfluss, den die Verwaltung beziehungsweise Stadt hat, gegeben. Viele Fragen, gerade die größeren, werden mit Verwaltungs- und Aufsichtsräten und natürlich auch mit mir als Vorsitzendem abgestimmt. Das wird sich nicht ändern.

Die SPD hat CDU-Fraktionschef Martin Hahn den Spitznamen Ober-Oberbürgermeister verpasst, was gleichzeitig unterstellt, dass Sie nur seine Marionette sind. Wie ist Ihr Verhältnis zu Martin Hahn?

Herr Hahn und ich haben ein gutes und freundschaftliches Verhältnis. Das mal vorausgeschickt. Alles andere hätte auch sicher nicht zu dem Wahlerfolg geführt. Nichtsdestotrotz habe ich meinen eigenen Kopf, und wir sind sehr unterschiedliche Charaktere. Ich wurde ja von Anfang an im Wahlkampf als Marionette dargestellt. Damit muss ich leben. Aber ich bin sicher, dass man in den nächsten Monaten sehen wird, dass der CDU-Fraktionsvorsitzende seinen Job und ich meinen machen werde. Wobei gemeinsame Ziele uns natürlich einen. Es wird vielleicht noch etwas dauern, bis man vom „Ober-Oberbürgermeister“ wegkommt. Aber es wird irgendwann kein Thema mehr sein. Dafür sorgen schon allein die unterschiedlichen Charaktere und Aufgaben. Und Sie dürfen mir glauben: Sollte es unterschiedliche Auffassungen in der Sache geben, weiß ich meinen Standpunkt sehr wirksam zu vertreten.

Es wird keinen hauptamtlichen Beigeordneten geben. Die kleinen Parteien haben darauf hingewiesen, dass es dauern wird, bis Entlastungen durch die Verwaltungsreform greifen. Da fiel der Satz: „Wir wollen OB und Bürgermeister doch nicht in den Burn-out treiben.“ Wie sehen Sie das?

Vom Grundsatz her ist das hier ein anstrengender Job. Ich kann für Herrn Mang mitsprechen, dass wir seit Anfang Juli unter Dauerstrom stehen. Aber es zeichnet sich ab, dass wir ab Januar deutlich strukturierter arbeiten können. Und mit den ehrenamtlichen Beigeordneten werden sich gerade die Wochenendtermine deutlich entspannen. Wir müssen da nicht mehr rund um die Uhr tätig sein. Und dann müssen wir mal sehen, ob wir den ein oder anderen Sachbearbeiter noch mehr in die Pflicht nehmen können. Das muss sich entwickeln.

Ein hauptamtlicher Beigeordneter müsste für lange acht Jahre gewählt werden. Aber ein ehrenamtlicher mit Geschäftsbereich, wie von Karl-Josef Heinrichs gefordert, hätte ja eine günstige Übergangslösung sein können. Was spricht dagegen?

Es gab in der Vergangenheit solche ehrenamtlichen Beigeordneten. Das war vor meiner Zeit, aber soweit ich gehört habe, war es nicht einfach. Und den Ehrenamtlichen muss man ja auch erst einmal finden. Für den ist das ja kein Vierstundentag, sondern deutlich mehr. Und gerade wenn es um einen Geschäftsbereich geht, muss man im Thema sein. Da müssen am Ende des Tages Entscheidungen getroffen werden, die Auswirkungen haben. Von daher finde ich es schwierig mit einem ehrenamtlichen Beigeordneten. Und wenn er nur Bereiche übernimmt, die nicht so entscheidungsträchtig sind, weiß ich nicht, ob das am Ende wirklich geholfen hätte. Am besten wären natürlich sechs Beigeordnete, dann komm ich nur noch zwei Tage  ... Nein, Quatsch: Wir sind uns bewusst, dass es eine stramme Zeit wird, was aber gleichzeitig Ansporn ist, die Strukturverbesserungen zu erreichen.

Zur Innenstadt: Ist die City in ihrer aktuellen Form inklusive Marktstraße überhaupt noch zu retten?

Ja, ganz deutlich ja. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nach wie vor großes Potenzial haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir aus dem runden Tisch Erkenntnisse ziehen, die zu mehr Attraktivität führen. Ich glaube auch, dass es irgendwann ein Umdenken beim Internethandel geben wird. Oder dass die Händler vor Ort sich noch mal ein Stück verändern und vielleicht eine gemeinsame Onlineplattform gründen. Wenn wir uns zusammen auf den Weg machen, dann können wir eine Trendwende erreichen. Das wird nicht heute und nicht morgen sein, aber das sollte unser Ziel in den nächsten zwei, drei Jahren sein. Es wird dauern, bis wir wieder den früheren Rang als Einkaufsstadt erreichen. Aber ich glaube, dass wir das schaffen können. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen es auch wollen.

Der Luisenplatz soll umgestaltet werden, auch die Fassaden sollen in der ganzen Innenstadt unter die Lupe genommen werden.

Ulf Steffenfauseweh

Sie sind also nicht der Meinung, dass man sich die Sanierung der Marktstraße sparen könnte, weil man sich eigentlich auf die Mittelstraße konzentrieren müsste?

Nein. Die City muss attraktiver werden, auch durch eine Aufwertung des Umfeldes. Da gehört die Marktstraße für mich ganz klassisch dazu. Wir müssen sehen, dass wir die Fußgängerwege breiter machen, damit es Spaß macht, dort spazieren zu gehen. Es muss in der Innenstadt insgesamt besser aussehen. Dazu gehören Fassaden, dazu gehören Wohnungen, die renoviert werden müssen. Dafür wollen wir die Eigentümer an einen Tisch holen. Die GSG gehört auch dazu. Wir müssen wirklich die Kräfte bündeln. Ich bin überzeugt, dass sich am runden Tisch ganz konkrete Lösungsvorschläge herauskristallisieren. Wenn wir dann an einem Strang ziehen, werden wir sie umsetzen können. Natürlich nicht von heute auf morgen. Ich hoffe aber, dass wir in einigen Jahren einen guten Schritt weiter sind.

Haben Sie dafür auch Geld?

Wir haben Programme, die wir jetzt schnellstens umsetzen müssen. Dazu gehören die Beleuchtung und eben die Sanierung der Marktstraße. Wir haben mehrfach die Forderung nach einer Umgestaltung des Luisenplatzes gehört. Das werden wir jetzt massiv angehen, und dafür gibt es auch Fördertöpfe. Natürlich müssen wir die finanzielle Belastung der Stadt im Auge behalten. Aber die Händler bringen uns auch Gewerbesteuereinnahmen. Und wir müssen die Einnahmenseite verbessern. Es kann nicht sein, dass wir bei den Haushaltsberatungen immer nur irgendwo einkürzen.

Im größten Kaufhaus der Innenstadt hängt ein Schild, dass zum 30. Dezember Schluss ist. Gibt es Neues bezüglich Leininger/Moses?

Wir sind in Kontakt mit dem Hauseigentümer und haben für die nächsten Tage Gespräche vereinbart. Natürlich werden wir versuchen, da zu unterstützen.

Woran hängt es denn, dass er offensichtlich keinen vernünftigen Nachmieter findet?

Ob das wirklich so ist, wird abzuwarten sein. Er hat ja ein Eigeninteresse. Von daher bin ich mal guten Mutes, dass es dort auch weitergeht. Wir werden das Unsere tun, um zu unterstützen.

Haben Sie denn konkrete Forderungen an ihn? Er könnte ja, ketzerisch gesprochen, auch vier Dönerbuden oder Friseurgeschäfte installieren, also kleine Einheiten, aber keinen Anziehungspunkt, der Leute in die Mittelstraße lockt.

Wir hätten natürlich gern einen Ankermieter. Das wäre für ihn selbst ja auch das Beste. Die Frage ist, ob es den am Markt gibt. Das kann man als öffentliche Hand nur wenig beeinflussen. Wir schauen im Rahmen unseres Netzwerkes, ob wir Kontakte herstellen können. Ein großer Textiler wäre uns natürlich am liebsten. Aber den muss es auch geben.

Sie haben gesagt, dass Sie auch die Infrastruktur in den Stadtteilen erhalten und verbessern wollen. Welche Pläne haben Sie da?

Zur Infrastruktur gehört ja grundsätzlich erst einmal, dass wir unsere Kindergärten und Schulen vernünftig in Schuss haben und auch in ausreichender Zahl vorhalten. Nur so kann ich den einzelnen Stadtteil attraktiv machen. Familien ziehen lieber dahin, wo sie einen Kindergartenplatz bekommen. Wir schauen aber natürlich auch, inwiefern wir Angebote für Senioren zur Verfügung stellen oder Initiativen unterstützen können. Wir haben viele Vereine, die ehrenamtlich tätig sind und Räumlichkeiten brauchen. Das ist immer wieder problematisch. Als Verwaltung werden wir jetzt sicher keine Gaststätte eröffnen, aber wir müssen sehen, dass wir in den Stadtteilen, in denen es keine mehr gibt, Alternativen bieten. Ich werde 2018 in jedem Monat einen anderen Stadtteil besuchen und mit den Menschen darüber reden. Und es ist mir wichtig, dass wir die Vereine mit der genannten Ehrenamtsstelle in der Verwaltung besser unterstützen. Wenn Sie eine Veranstaltung organisieren wollen und dauernd damit beschäftigt sind, sich um Formalitäten zu kümmern, können sie ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr nachkommen. Das wollen wir einfacher machen.

Das Interview führte Ulf Steffenfauseweh

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