Vorsitzender des Mieterbunds Mittelrhein warnt vor der Einführung eines qualifizierten Mietspiegels
Mieterbundchef warnt vor qualifiziertem Mietspiegel in der Stadt: Menschen werden Neuwied verlassen
Jörg Niebergall (Archiv)

Was darf eine Mietwohnung kosten? In vielen Städten beantwortet der Blick in einen qualifizierten Mietspiegel diese Frage – bald auch in Neuwied. Der Vorsitzende des Mieterbunds warnt aber vor den Folgen.

Dietrich G. Rühle, Vorsitzender des Mieterbunds Mittelrhein und Vorsitzender der FDP-Fraktion im Neuwieder Stadtrat, sieht dessen Einführung allerdings äußert kritisch. Im Interview mit unserer Zeitung spricht er über eine drohende gesellschaftliche Katastrophe und einen politischen Alleingang der Papaya-Koalition.

Herr Rühle, die Stadt Neuwied soll einen qualifizierten Mietspiegel bekommen. Was bedeutet das für die Mieter?

Wir gehen davon aus, dass das in den kommenden Jahren in Neuwied zu einem deutlich erhöhten Mietpreisniveau führen wird. Das liegt an den gesetzlichen Vorgaben für Mietspiegel. Der Mietspiegel weist auf der Grundlage von Nettokaltmieten, die in den vergangenen sechs Jahren neu vereinbart oder geändert wurden, die Durchschnittsmiete, die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete, aus.

Die Mehrheit der rechtlichen Streitigkeiten, die der Mieterbund Mittelrhein wegen der Miethöhe betreut, betrifft aber ältere Mieten zwischen 5 und 7 Euro pro Quadratmeter. Dieser Preissektor kommt im neuen Mietspiegel weitgehend nicht mehr vor. Die Mehrheit der bei uns vorhandenen Mieten wird also allein durch Inkrafttreten des Mietspiegels bereits nicht mehr ortsüblich sein und kann dann erhöht werden.

Und es gibt bei der Miethöhe nur den Weg nach oben. Sollte also irgendwann das Mietniveau wieder sinken, würde das, anders als bei der Indexmiete, nicht mehr zur Verringerung bereits erhobener Mieten gelten. Das alles sieht auch der Verband Haus und Grund ähnlich, der die Interessen der Eigentümer vertritt.

Nun kommen Sie an einem Mietspiegel aber nicht vorbei. Die Einführung ist per Gesetz vorgeschrieben.

Das gilt aber nur für einfache Mietspiegel. Bei denen ist aber, anders als beim qualifizierten Mietspiegel, im Einzelfall der Gegenbeweis möglich. Wir wehren uns ja auch nicht schlechthin gegen einen Mietspiegel und haben ja bisher auch immer zugestimmt. Wir sehen durchaus, dass ein Wohnungsmarkt nur funktionieren kann, wenn sich das Vermieten auch lohnt. Das aber würde ein einfacher Mietspiegel auch leisten. Wir fragen uns darum, welchen Sinn ein qualifizierter Mietspiegel in einer Stadt wie Neuwied haben soll.

Andere Städte haben durchaus gute Erfahrungen mit einem Mietspiegel gemacht. Warum sollte das in Neuwied anders sein?

Die Wirkung eines Mietspiegels ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. In Koblenz zum Beispiel, wo wir gerade erst einem qualifizierten Mietspiegel zugestimmt haben, bringt er eine gewisse Sicherheit für beide Mietparteien. Dort gibt es auch viele Wohnungsvermietungsgesellschaften, die Hunderte oder Tausende von Wohnungen vermieten.

Wenn diese Gesellschaften bei nur drei vergleichbaren eigenen Wohnungen einen überwertigen Preis durchgesetzt haben, können sie grundsätzlich damit dann auch die restlichen Wohnungen entsprechend erhöhen. Das wird durch einen qualifizierten Mietspiegel deutlich eingeschränkt. Zudem ist das Mietpreisniveau in Koblenz bereits recht hoch.

In der Stadt Neuwied dagegen gibt es außer der Gemeindlichen Siedlungsgesellschaft GSG keine nennenswerte Vermietungsgesellschaft, und die verhält sich nach unserer Wahrnehmung verantwortungsvoll. In Neuwied sind bisher die Mieten moderat, und darum ist das Bestreben der Vermieter nachvollziehbar, das Niveau leicht anzuheben. Wenn aber ein qualifizierter Mietspiegel kommt, gelten die statistischen Werte, die deutlich höher sind, und zwar dann als unwiderlegbar. Dieser Effekt wird in Neuwied in wenigen Jahren die Mieten hochtreiben.

Und das in einer Zeit, in der die Belastungen ohnehin schon hoch sind.

Genau. In Neuwied ist seit 25 Jahren kein Wohngebiet mehr entstanden. Das hat viele Gründe, und das halten wir innerhalb Neuwieds keinem vor. Aber dadurch ist Wohnraum sehr knapp geworden. Außerdem suchen seit einem Jahr die Kommunen infolge des Ukraine-Kriegs nach jeder freien Wohnung, um die vielen Flüchtlinge unterzubringen. Diese Verknappung von Wohnraum allein treibt schon die Mieten hoch.

Zudem sind die Mieter durch eine Verdoppelung der Energiekosten und durch den neuen Hebesatz in Landesrekordhöhe bei der Grundsteuer, die ja letztlich der Mieter bezahlt, belastet. Ein großer Teil unserer Mitglieder weiß jetzt schon nicht mehr, wie das alles bezahlt werden soll. Wir erleben täglich die Verzweiflung in unseren Beratungen.

Mit welchen Folgen rechnen Sie?

Leistungsempfänger und wohlhabende Mieter trifft das Problem kaum. Betroffen sind vor allem Menschen im unteren und mittleren Einkommenssegment. Da ist der Druck besonders stark, weil diese Menschen ein finanzielles Limit haben. Und gerade in diesem Segment gibt es kaum mehr Wohnungen. Für viele Mieter ist das eine Katastrophe und existenzbedrohend.

Diese Menschen werden sich früher oder später im Umfeld Neuwieds umschauen, weil dort die Mieten preiswerter sind. Vor allem jüngere Menschen dürften einer Stadt den Rücken kehren, in der sie keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden. Zudem werden die fristlosen Kündigungen und damit die Räumungsklagen zunehmen – das allerdings vor einem Hintergrund, bei dem die geräumten Mieter nicht wissen wohin. Das Ordnungsamt Neuwied kann sich schon einmal Gedanken machen, wie es die Menschen unterbringen will.

Der Beschluss, einen qualifizierten Mietspiegel zu erstellen, ist im Stadtrat mit den Stimmen der Papaya-Koalition aus CDU, Grünen und FWG gefasst worden. Ein Argument lautete damals, dass damit Investitionen in den Wohnungsbau gefördert würden.

Ja. Da wurde ernsthaft behauptet, ein qualifizierter Mietspiegel würde Investoren anlocken. Nicht nur, dass weder unserem Landes- noch unserem Bundesverband auch nur ein einziger Fall bekannt ist, wo sich Investoren durch Mietspiegel haben gewinnen lassen, es ist auch völlig unlogisch. Denn der Mietspiegel bindet den Vermieter bei der Erstvermietung überhaupt nicht, und es gibt präzisere Quellen als einen Mietspiegel, wenn man die durchsetzbare Miete kalkulieren will. Gleichzeitig bestreitet die Mehrheitsfraktion den Erhöhungseffekt des Mietspiegels, was allen Erfahrungen widerspricht und nicht einmal von Haus und Grund bestritten wird.

Und diese Argumente hatten vor der Stadtratsentscheidung kein Gewicht?

Nein. Die Vertreter der Mehrheitskoalition haben weder uns noch meines Wissen andere mit wohnungswirtschaftlicher Erfahrung nach ihrer Einschätzung gefragt. Der Beschlussvorschlag, einen Mietspiegel als qualifizierten einzuführen, wurde im Rat vorgelegt und sofort mit der eigenen Mehrheit beschlossen.

Wir haben unverzüglich unsere Bedenken vorgetragen, was aber die Initiatoren des qualifizierten Mietspiegels nicht wirklich interessiert hat. Das ist verstörend. Das kennen wir auch anders. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir wiederholt mit Vertretern verschiedener Ratsfraktionen Gespräche über Mietspiegel geführt, und zwar bevor ein solcher schon beschlossen war. Aber selbst die Grünen, mit denen wir noch zwei Monate vor der letzten Kommunalwahl gemeinsam eine konstruktive Veranstaltung für bezahlbares Wohnen bestritten haben, haben mit uns keinerlei Kontakt im Hinblick auf den auch von ihnen beabsichtigten qualifizierten Mietspiegel aufgenommen.

Im April muss der Stadtrat die Einführung des qualifizierten Mietspiegels noch offiziell beschließen. Ist das Vorhaben dann noch zu stoppen?

Theoretisch ja, aber realistisch sehe ich das nicht. Da war, warum auch immer, von Anfang an der politische Wille, diesen qualifizierten Mietspiegel durchzudrücken. Daran wird sich wohl nichts verändern.

Wie wird sich der Mieterbund dann positionieren?

Wir betrachten im Interesse unserer Mieter die Vermieter als Partner, nicht als Gegner. Es muss für beide Seiten eine akzeptable Regelung geben. Gegenüber einem einfachen Mietspiegel würden wir uns auch nicht verschließen, da das Gesetz ihn ja für Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern vorschreibt. Aber in Absprache mit dem Landesverband des Mieterbundes Rheinland-Pfalz haben wir in der abschließenden Mietspiegelsitzung erklärt, dass wir in der aktuellen Situation keinen qualifizierten Mietspiegel mittragen werden.

Bei diesen gälte ein statistischer Wert unwiderlegbar als ortsübliche Miete. Dem können wir als Interessenvertretung der Mieter bei dem Preisniveau des neuen Mietspiegels und in der aktuellen wirtschaftlichen Situation unmöglich zustimmen. Diese Haltung haben wir von Anfang an kommuniziert. Wir hatten aber nicht den Eindruck, dass man bei der politischen Entscheidung über den Mietspiegel gesteigerten Wert auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens legte.

Das Gespräch führte Hilko Röttgers

Zur Person

Dietrich G. Rühle ist seit 1998 Vorsitzender des Mieterbund Mittelrhein. Außerdem engagiert er sich der Jurist als stellvertretender Vorsitzender im Landesverband des Deutschen Mieterbundes, der rund 45 000 Haushalte in Rheinland-Pfalz vertritt. Im Landesverband ist der Mieterbund Mittelrhein mit seinen Geschäftsstellen in Koblenz und Neuwied der mit Abstand größte Mieterverein mit rund 10 000 betreuten Haushalten. Sein Zuständigkeitsbereich reicht von der nördlichen und östlichen Landesgrenze bis zur Eifel im Westen und zum Hunsrück im Süden. Hauptamtlich war Rühle 30 Jahre lang bei den rheinland-pfälzischen Hochschulen für öffentliche Verwaltung und der der Polizei tätig.

hrö

Top-News aus der Region