Der Deutsche Bundestag hat Friedrich Merz (CDU) erst im zweiten Wahlgang zum Kanzler gewählt. Dieser historisch einmalige Vorgang ließ auch im Kreis Neuwied nicht nur Christdemokraten und Sozialdemokraten bestürzt zurück, wie unsere aktuelle Umfrage zeigt:
Einer, der es kaum glauben konnte, war CDU-Kreisparteichef Jan Petry. Wie er auf Anfrage unserer Zeitung schreibt, konnte er die Vorgänge im Bundestag am Dienstagmorgen wegen eines dienstlichen Termins nicht live verfolgen. „In einer kurzen Pause habe ich dann aber die Schlagzeilen gesehen“, so Petry.
„Friedrich Merz ist aus meiner Sicht genau der Kanzler, den unser Land aktuell braucht.“
Jan Petry, CDU-Kreisparteichef
Da die Wahl geheim war, wird es laut Petry letztlich unsicher bleiben, welche Personen bei der Kanzlerwahl Friedrich Merz ihre Stimme versagt haben. Es sei denn, Einzelne bekennen sich dazu. „Sicher ist aber, dass diese Personen offenbar die nationalen und internationalen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, nicht erfasst haben oder diese ihnen gleichgültig sind. Hier fehlt es offenbar an ausreichendem staatspolitischen Verantwortungsbewusstsein“, nimmt Petry kein Blatt vor den Mund.
Seine Hoffnung, dass es schnell zu einem weiteren Wahlgang und einer ausreichenden Mehrheit kommen möge, erfüllte sich noch am Dienstagnachmittag. Für Petry steht fest: „Friedrich Merz ist aus meiner Sicht genau der Kanzler, den unser Land aktuell braucht.“
„Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet.“
SPD-Landtagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende Lana Horstmann zum fehlgeschlagenen ersten Wahlgang
Einen großen Schaden für Friedrich Merz sieht der Christdemokrat aus Neuwied nicht. Das gelte auch für unser politisches System und unser Land. „Ähnliche Vorgänge hat es auf anderen politischen Ebenen bereits gegeben, ohne dass daraus bleibende Schäden entstanden wären“, weiß Petry.
Ehrlich konsterniert reagierte auch Lana Horstmann (SPD), Landtagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des SPD-Kreisverbands Neuwied, nach dem gescheiterten ersten Wahlgang. „Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet“, sagt sie gegenüber unserer Zeitung. Der lachende Dritte des Debakels sei die AfD.
„Als Abgeordneter hat man eine Verantwortung, und die Regierung muss jetzt einfach ins Handeln kommen.“
Lana Horstmann
Für das Verhalten der Abweichler hat sie keinerlei Verständnis: CDU und SPD hätten sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, und letztendlich sei es nicht entscheidend, ob man in jedem einzelnen Punkt von diesem überzeugt ist: „Als Abgeordneter hat man eine Verantwortung, und die Regierung muss jetzt einfach ins Handeln kommen.“ Wenn man die Politik seiner Partei absolut nicht mittragen könne, müsse man sein Mandat abgeben.
Mögliche persönliche Verletzungen oder was auch immer hinter der Entscheidung derjenigen stand, die gegen Merz gestimmt haben, habe man hintenanzustellen, findet Horstmann. Sie hofft, dass man jetzt anständig weiterarbeiten kann – auch wenn sie überzeugt ist, dass der ganze Vorgang der Demokratie nicht guttut und ein Schaden für das politische System ist. „Die Menschen müssen jetzt wieder Vertrauen gewinnen.“
„Das ist unverantwortlich.“
Michael Mahlert, stellvertretender SPD-Kreisparteichef, zu den Vorgängen rund um die Kanzlerwahl
Michael Mahlert (SPD), ebenfalls stellvertretender Vorsitzender im Kreis Neuwied, hat in seinem langen Wirken als Kreisbeigeordneter und Bürgermeister der VG Bad Hönningen gelernt, dass man immer das Ergebnis in den Vordergrund stellen und Kompromisse finden muss. Egoismen hätten da keinen Platz – genau diese seien aber jetzt von einigen in Berlin nach vorn gestellt worden.
„Das ist unverantwortlich“, sagt er mit Blick auf den ersten Versuch einer Kanzlerwahl in Berlin, und ebenso wie Lana Horstmann ist er überzeugt, dass das Verhalten der Abweichler nur die AfD stärker macht. „Man muss doch überlegen: Wo ist wirklich unser politischer Gegner?“
„Der tagespolitische Schaden ist da, aber eine grundsätzliche Vertrauenskrise? Ich hoffe nicht.“
Michael Mahlert, stellvertretender Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Neuwied
Jetzt gehe es darum, so schnell wie möglich handlungsfähig zu werden. Auch deshalb sei es jetzt nicht an der Zeit, die handelnden Personen wie Merz und Klingbeil infrage zu stellen. Konsequenzen müssten nach innen erfolgen, findet Mahlert. „Da müssen Einzelgespräche geführt werden, um auf den Kern der Sache zu kommen.“
Als für den Wahlkreis Neuwied-Altenkirchen frisch gewählte Bundestagsabgeordnete erlebte Ellen Demuth (CDU) die historischen Stunden in Berlin hautnah mit. Auch ihre Stimme ist ein maßgeblicher Baustein für den angehenden Kanzler. Vor der Wahl hatte sich Demuth gegenüber unserer Zeitung klar für Friedrich Merz als Bundeskanzler ausgesprochen.
Auf die Frage, wie sie die Situation nach der gescheiterten Wahl im Bundestag einschätzt und welches weitere Vorgehen sie für sinnvoll halte, schreibt die Linzerin kurz und knapp: „Ich werde während der laufenden Beratungen keine spekulativen Fragen zum weiteren Verfahren beantworten.“ Wenig später ist klar: Es wird noch am Dienstagnachmittag einen zweiten Wahlgang geben. Aus diesem geht schließlich Friedrich Merz als gewählter Kanzler hervor.