Kurz vor Weihnachten 2024 erreichte die SPD im Kreis Neuwied eine Hiobsbotschaft aus Berlin: Martin Diedenhofen, seit 2021 Bundestagsmitglied der Sozialdemokraten, steht aus gesundheitlichen Gründen für eine erneute Kandidatur bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 doch nicht zur Verfügung. Danach ist es still um den heute 30-Jährigen aus Erpel geworden. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Diedenhofen über seine Zeit in Berlin und seinen Rückzug im Neuwieder Kreistag und als Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Neuwied.
Herr Diedenhofen, Sie haben zwei Monate vor der Bundestagswahl den Entschluss getroffen, aus gesundheitlichen Gründen Ihre erneute Kandidatur für den Bundestag zurückzuziehen. Kürzlich haben Sie auch Ihren Platz im Neuwieder Kreistag geräumt. Achim Braasch, SPD-Fraktionsvorsitzender im VG-Rat Rengsdorf-Waldbreitbach, ist für Sie nachgerückt. Wie geht es Ihnen heute?
Mir geht es schon deutlich besser. Mich haben damals unheimlich viele wertschätzende Nachrichten aus Bürgerschaft und Politik erreicht, dafür bin ich dankbar. Ich musste die Entscheidung aufgrund einer psychischen Erkrankung treffen. Ich halte es dann auch für einen konsequenten Schritt, mein Kreistagsmandat niederzulegen und den Vorsitz im SPD-Kreisverband freizumachen. Ich bin kein Freund davon, wenn Menschen von der Seitenlinie schlaue Tipps geben. Ich wollte einen klaren Schnitt machen, mich aus der ersten und zweiten politischen Reihe zurückziehen. Ich werde allerdings immer ein leidenschaftlicher Sozialdemokrat bleiben und in meinem Ortsverein mitarbeiten.
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Für mich steht eine berufliche Neuorientierung an. Meine Vorstellung ist, nun in der freien Wirtschaft meine Erfahrungen zu sammeln.
Sie galten neben der Landtagsabgeordneten Lana Horstmann als der Shootingstar des Neuwieder SPD-Kreisverbands. Bei der Bundestagswahl 2021 konnten Sie dem damals als unbesiegbar geltenden CDU-Mann Erwin Rüddel im Duell um das Direktmandat beinahe das Wasser reichen. Im Februar landete Ihr Ersatzmann Jan Hellinghausen deutlich hinter der CDU-Kandidatin Ellen Demuth. Bei den Zweitstimmen sah es noch düsterer für die SPD aus, da landete sie sogar hinter der in Teilen rechtsextremen AfD. Ist die SPD im Kreis Neuwied keine Volkspartei mehr?
Wir sind eine Volkspartei, doch es gibt auch schwierige Zeiten. Ich bin Jan Hellinghausen total dankbar, dass er kurzfristig die Kandidatur übernommen hat und in die Verantwortung gegangen ist. Das war ein riesiger Kraftakt von ihm. Das Ergebnis lag sicherlich nicht an ihm, sondern an den Umständen. Da ist zum einen, die von vielen Menschen als chaotisch wahrgenommen Jahre der Ampelregierung bis zum Regierungsbruch, und zum anderen der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz, der trotz Gegenwindes zwar viele richtige Entscheidungen getroffen hat, aber es verpasst hat, die Leute mitzunehmen und ordentlich zu kommunizieren. Es war nicht möglich, gegen den bundesweiten Trend, der gegen die SPD sprach, anzukommen. Am Ende war es eine katastrophale Wahlniederlage.
Wir haben allerdings nach wie vor eine lebendige und sehr starke Partei. Wir haben im Kreis Neuwied viele Köpfe, die in der Verantwortung sind: Lana Horstmann, Philipp Rasbach oder Marie-Christin Schlüter. Wir haben richtig gute Kräfte, die motiviert sind, die SPD im Kreis Neuwied wieder voranzubringen. Das ist auch im Kreisverband Altenkirchen der Fall. Mit den Leuten vor Ort, aber auch den neuen in der Bundespartei haben wir das Potenzial, wieder stärker zu werden und unserem Anspruch als Volkspartei gerecht zu werden.

Nach der Bundestagswahl hat sich die SPD auf eine weitere Große Koalition eingelassen, nachdem das Ampel-Experiment vorzeitig krachend gescheitert war. Mit nur 16,4 Prozent hat die SPD das schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte erzielt. Ist diese Bundesregierung die letzte Chance für die SPD, den Wähler von sich zu überzeugen, bevor sie in vier Jahren womöglich in die Bedeutungslosigkeit abdriftet?
Von Bedeutungslosigkeit sind wir weit entfernt. Wir haben jetzt gemeinsam mit der CDU den Auftrag, wieder mehr Vertrauen in die Politik herzustellen. Man muss Entscheidungen der Bevölkerung besser erklären. Als Juniorpartner in der Bundesregierung haben wir uns im Koalitionsvertrag an vielen Stellen durchgesetzt. Wir müssen das nun auch auf die Strecke bringen, damit die Menschen sehen, dass es vorangeht. Es ist sicherlich keine Liebeskoalition. Doch ich find es richtig, dass beide Volksparteien ihre Verantwortung für Deutschland an die erste Stelle gesetzt haben und sich auf ganz große Schritte geeinigt haben. Über das Sondervermögen Infrastruktur sind wir sehr froh. Das fordern wir schon seit Jahren.
Sie haben das Thema Vertrauen angesprochen. Gehört da nicht auch dazu, dass man dem Bundeskanzler im ersten Wahlgang das Vertrauen ausspricht und ihm nicht noch einen Schuss vor den Bug gibt?
Das war das Allerletzte. Ich fand es absolut verantwortungslos. Das gehört sich einfach nicht, gerade weil man sich auf ganz große Dinge für Deutschland im Koalitionsvertrag geeinigt hat.

Nach Wahlpleiten: Wunden lecken bei der Neuwieder SPD
Bundestags- und Oberbürgermeisterwahl an einem Abend verloren – die SPD im Kreis und in der Stadt Neuwied hat am 23. Februar einen schwarzen Tag erlebt. Beim Bürgerempfang mit Innenminister Michael Ebling hat die SPD versucht, neuen Mut zu fassen.
Lassen Sie uns auf Ihre Zeit im Bundestag zurückblicken. Was waren die aufregendsten Momente?
Es war für mich eine riesige Ehre, die Menschen in der Heimat im Bundestag vertreten zu dürfen. Ich habe es mit Leidenschaft und Herzblut gemacht. Ich habe vorher lange darauf hingearbeitet. Der schönste Moment war, als ich Monate nach der Wahl im Bundestag meine erste Rede gehalten habe. Es hat alles sehr gut funktioniert. Ich bin dann vom Rednerpult wieder zurück an meinen Platz gegangen und habe dort erst gemerkt, dass meine Hände total gezittert haben. In dem Moment habe ich erst so richtig realisiert: Du bist Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Außerdem habe ich in schwierigen Zeiten viele unterschiedliche, tolle Menschen kennengelernt, wofür ich sehr dankbar bin.
Sie sind mit gerade einmal 26 Jahren in den Bundestag eingezogen. Unterhält man sich da auf Augenhöhe mit erfahrenen Parlamentariern?
Die Augenhöhe muss man sich an vielen Stellen erarbeiten. Die damalige SPD-Fraktion bestand etwa zur Hälfte aus Neulingen aller Altersstufen. Von den erfahrenen Abgeordneten haben wir in der Fraktion eine gute Starthilfe bekommen.
Was konnten Sie als Bundestagsabgeordneter in Berlin für den Wahlkreis Neuwied bewirken?
Wir haben unheimlich viele Bürgeranfragen aus dem Wahlkreis bekommen. Hier konnten wir den Menschen weiterhelfen. Ich war bei den Verhandlungen um das Heizungsgesetz dabei. Mit anderen Abgeordneten aus dem ländlichen Raum habe ich mich erfolgreich für den Fortbestand der Holzenergie eingesetzt. Außerdem wurden Probleme, die uns von Unternehmen unseres Wahlkreises gemeldet wurden, in den Fraktionen und Ausschüssen aufgegriffen. Zudem habe ich mich dafür eingesetzt, dass Fördermittel in die Heimat fließen. So gab es beispielsweise eine Förderung für die Umgestaltung der Deichkrone Neuwied.
Die SPD spielt im Kreis Neuwied eine immer kleiner werdende Rolle. Bei der Kreistagswahl 2024 hat die SPD zwei Sitze verloren. Bei der Oberbürgermeisterwahl in Neuwied im Februar konnte SPD-Kandidat Sven Lefkowitz es nicht mit dem CDU-Amtsinhaber Jan Einig aufnehmen. Bei der Neuwieder Landratswahl im April hat man zu CDU-Amtsinhaber Achim Hallerbach keinen Gegenkandidaten aufgestellt, weil man offensichtlich den Frieden in der Großen Koalition im Kreistag nicht gefährden wollte. Die SPD hat sich stattdessen mit dem Posten des Ersten Beigeordneten bereits zufriedenen gegeben. Zum Jahreswechsel 2025/26 verliert die SPD ihre zwei letzten VG-Bürgermeisterämter im Kreis Neuwied: Hans-Werner Breithausen in Rengsdorf-Waldbreitbach und Volker Mendel in Puderbach waren aus Altersgründen für eine Wiederwahl nicht mehr angetreten. Wie erklären Sie sich diese Negativspirale?
Die Bedingungen sind schwieriger geworden. Wir haben nicht mehr die klassische Zweiteilung zwischen SPD und CDU. Wir haben auch nicht mehr die einzelnen Hochburgen. Es ist alles viel komplexer geworden. Die klaren politischen Verhältnisse von früher gibt es nicht mehr.

Wie ist es aus Ihrer Sicht um die SPD an Rhein und Wied bestellt?
Wir sind eine mitgliederstarke Partei: Ende 2024 hatten wir 1130 Mitglieder – Tendenz leicht abnehmend. Wir haben zwar eine gewisse Überalterung zu verzeichnen, aber es gibt auch Neueintritte. Wir haben viele junge Leute bei uns, die nun gestärkt werden müssen. Mit diesen motivierten Leuten sind wir in der Lage, den Negativtrend umzukehren. Was wir nicht gebrauchen können, ist, dass wir nun in eine ewige Selbstbeschäftigung verfallen. Wir müssen den direkten Kontakt mit den Leuten suchen: Lieber mal auf ein Fest gehen oder an den Haustüren klingeln, als eine weitere Gremiensitzung einzuberufen. Ziel muss es sein, mehr Mitglieder zu werben.
Auf der vorgezogenen Kreiskonferenz der Neuwieder SPD am 31. Mai wird der Vorstand neu gewählt. Nach Ihrer Wahl im Jahr 2021 kandidieren Sie nicht mehr als Vorsitzender. Wer wird in Ihre Fußstapfen treten?
Der Konferenz will ich nicht vorgreifen. Das Teamwork der vergangenen Jahre muss man sich bewahren. Es wird keiner den Laden allein schmeißen müssen. Es wird am 31. Mai eine sehr gute neue Spitze gewählt werden.
Am 22. März 2026 steht in Rheinland-Pfalz die Landtagswahl an. Wer kandidiert für die SPD in den beiden Wahlkreisen Linz am Rhein/Rengsdorf und Neuwied?
Für den Wahlkreis Neuwied wird aller Voraussicht nach wieder die Abgeordnete Lana Horstmann ins Rennen gehen – mit voller Unterstützung der Partei. Das wird aber erst endgültig auf der Wahlkreiskonferenz Anfang Juli entschieden werden. Im Wahlkreis Linz am Rhein/Rengsdorf haben wir keine amtierende Abgeordnete und deswegen eine andere Situation. Die Partei wird eine kluge Entscheidung treffen.
Das Gespräch führte Daniel Dresen