An Lipödem zu erkranken, ist fast so wahrscheinlich wie das Würfeln einer Sechs. Aber das Thema ist schambesetzt, kaum jemand spricht darüber. Sophia Menzenbach aus Kurtscheid hat eben diese Sechs gewürfelt. Und sie ist die erste Frau aus dem Motorsport, die über die Krankheit, ihre Leidensgeschichte und den langen Kampf zurück spricht. Alles für den großen Traum: einmal bei dem 24-Stunden-Rennen am Nürburgring dabei zu sein.
„Ich bin ein Rennen in Dubai gefahren. Ich habe meinen Stint nach einer Stunde abbrechen müssen, weil meine Beine so weh taten. Die waren kurz vorm Platzen. Ich musste einfach raus aus dem Auto“, erklärt Sophia Menzenbach. Für die 27-Jährige ist das Thema sehr emotional. Die gelernte Industriekauffrau hat im vergangenen Jahr drei Operationen hinter sich. Von der Diagnose bis zum Heilungsjahr - das ist ein langer Weg gewesen. Die Rennfahrerin spricht über Schamgefühle, Einsamkeit und ihren Weg zurück in den Rennstall.

Aber was genau ist Lipödem überhaupt? L ipödem ist eine krankhafte Fettverteilungsstörung. Die chronische Krankheit tritt vorwiegend bei Frauen auf und führt zu einer unkontrollierten Fettvermehrung an den Beinen, Hüften oder dem Gesäß. So mehren sich bei Sophia Menzenbach blaue Flecken auf den Oberschenkeln und Wassereinlagerungen in den Beinen. Die 27-Jährige hat beim Laufen einer Treppe das Gefühl, eine Wasserkiste hinter sich herzuziehen.
„Ich habe das Rennen nach einer Stunde abbrechen müssen, weil meine Beine so weh taten. Die waren kurz vorm Platzen.“
Sophia Menzenbach über die Schmerzen im Rennwagen
Lange weiß die Rennfahrerin aber gar nicht, was sie hat. Sophia Menzenbach nimmt zu, obwohl sie sportlich ist. Fühlt sich trotz gesunder Ernährung unwohl im eigenen Körper. Auch im Alltag macht sich die Krankheit bemerkbar. Neben den körperlichen Schmerzen ist die junge Frau auch seelisch getroffen.
„Einmal wollte ich mit Mama auf ein Konzert gehen. Ich wusste, wir stehen sehr lange, das halte ich nicht aus. Du weißt nicht, was du anziehen sollst, weil du dich unwohl fühlst.“ Sophia Menzenbach glaubt, so geht es vielen Betroffenen.

Von Ärzten fühlt sich die Sportlerin lange nicht ernst genommen. Erst nach vielen Gesprächen und dem Wechsel zu einem neuen Hausarzt wird der 27-Jährigen geholfen. Sophia Menzenbach hat die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen Lipödem nur mit extrem dicken Beinen und starken Schwellungen verbinden. Mildere Ausprägungen der Krankheit würden oft nicht ernst genommen.
Bei ihr geht dann plötzlich alles ganz schnell. Im vergangenen Jahr wird die junge Frau dreifach operiert. Bei ihrer Pflegestufe werden die Kosten aber nicht von der Krankenkasse übernommen. Die Operationen kosten die gelernte Industriekauffrau mehrere Monatsgehälter. Alles für den großen Traum: Sophia Menzenbach will eines Tages beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring an den Start gehen – auf ihrer Heimstrecke. Daher denkt sie keine Sekunde ans Aufhören.
Aus Langeweile zum Rennsport
Die Karriere startet für Sophia Menzenbach im Alter von zehn Jahren. Ihr Vater nimmt sie erstmals zum Nürburgring mit, wo sie im Leihkart erste Erfahrungen auf der Strecke sammelt. Seitdem ist es um die Kurtscheiderin geschehen. Kurz darauf schließt sich die damals Zehnjährige einem professionellen Kartteam an. Die Rennfahrerin ist schnell und sucht den Adrenalinkick. Als Frau wird sie im Rennsport oft unterschätzt, muss sich in der männerdominierten Szene beweisen.
Nach dem Umstieg von Kart zu Automobilsport sammelt die Kurtscheiderin erste Topplatzierungen bei internationalen Rennen. 2019 ist ihr bestes Sportjahr gewesen. Die Lipödemerkrankung kommt zur Unzeit. Daher sei es für Sophia Menzenbach umso schwieriger gewesen, ihr Rennen in Dubai abzubrechen: „Als Frau willst du dich beweisen. Frauen werden schnell belächelt. Sich in so einem Moment einzugestehen, dass man nicht mehr kann, das war schlimm“, meint die 27-Jährige.

Die Operationen hat Sophia Menzenbach mittlerweile hinter sich. Sie habe das Gefühl, auf „Wolkenbeinen“ zu laufen. Der Prozess dahin sei aber schwierig gewesen. Nach den Operationen kann die Kurtscheiderin sich zwei Wochen nicht bewegen oder richtig ausziehen. Sie muss auf Toilette gebracht werden. Alles ist geschwollen.
Neben den Schmerzen fühlt sich die junge Frau nicht nur ekelhaft, sondern auch abhängig. Im Vorhinein habe sich die 27-Jährige mit anderen Lipödempatienten ausgetauscht: „Ich habe das Gefühl, viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Aber ich hätte mir gewünscht, dass mir jemand erzählt, wie es wirklich ist. Das hätte mir die Angst genommen“, betont Sophia Menzenbach.
Mentale Probleme nach der OP
Nach den Operationen sei für die Kurtscheiderin weniger das Körperliche, sondern vor allem die Psyche ein Thema gewesen. Auslöser ist ein Foto, das spontan im Urlaub mit ihren besten Freundinnen vor der ersten Operation entsteht. Die junge Frau ist dort mit ihren Lipödem-Beinen zu sehen.
Sophia Menzenbach schaut sich dieses Bild im Nachgang immer wieder an: „Ich dachte: ‚Das bin ich nicht‘. Das habe ich bis heute noch ziemlich krass im Kopf.“ In dieser Zeit vergleicht die 27-Jährige immer wieder Vorher-Nachher-Bilder. So sei ihr erst richtig bewusst geworden, wie unglücklich sie früher war.

Doch Sophia Menzenbach ist eine Kämpferin. Um wieder fit zu werden, stellt die junge Frau ihre Ernährung um, geht Eisbaden und trainiert bei ihrem langjährigen Vertrauten Niklas Bungerten in Neuwied: „Der Heilungsverlauf sieht bisher gut aus“, erklärt der Gesundheitstrainer. Die Nachbehandlung ist aus seiner Sicht extrem wichtig.
Um die blauen Flecken auf den Oberschenkeln zu behandeln, bandagiert der angehende Osteopath die Beine von Sophia Menzenbach mit streifenförmigen Tapes. Im Anschluss wird trainiert. Kraft- und Dehnübungen sollen der Sportlerin helfen, möglichst bald wieder in Topform zu sein. Unter Druck möchte sich die Rennfahrerin im Heilungsjahr nicht setzen. Aber ein großes Ziel hat die ehrgeizige Frau dann doch: das 24-Stunden-Rennen am Nürburgring.