Serie zur Stadtgeschichte
Kulturelle Blüte und politische Umbrüche in Neuwied
Das heute noch existierende Monument General Hoche in Weißenthurm, hier auf einem Stahlstich von 1835, erinnert an den General Louis Lazare Hoche, der in der Schlacht von Neuwied 1797 die französischen Truppen anführte.
Stadtarchiv Neuwied

Im 18. Jahrhundert erlebte die Stadt große kulturelle Höhepunkte, unter anderem durch das Wirken der berühmten Kunsttischler Abraham und David Roentgen. Gleichzeitig schlugen sich die politischen Unruhen in Europa auch am Rhein nieder.

Im ersten Jahrhundert ab der Gründung Neuwieds im Jahr 1653 wuchs die neue Stadt kontinuierlich an. Vom Gründer Graf Friedrich III. bereits als moderne Planstadt angelegt, erlebte sie unter dem ersten Fürsten zu Wied, Johann Friedrich Alexander, aufgrund dessen toleranter und aufklärerischer Politik einen kulturellen und ökonomischen Aufschwung.

Die vielen Zuwanderer verschiedenster Glaubensrichtungen, die sich dank der Religionsfreiheit in Neuwied niederlassen konnten, bereicherten die Stadt durch ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. So entwickelten sich neue Wirtschaftszweige, und der Wohlstand Neuwieds wuchs stetig.

Kunsthandwerker der Herrnhuter

Einen besonderen Beitrag dazu leisteten die Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine, die ab 1750 nach Neuwied kamen und 1772 mit dem Herrnhuter Viertel ihr eigenes Karree im Stadtplan erhielten. Unter den Herrnhutern gab es laut Hans Merians „Neuwied. Schloss und Stadtkern“ Bäcker, Schneider, Schuhmacher und viele weitere Handwerker, und in ihrem Viertel entstanden verschiedene Manufakturen, eine Ofenfabrik sowie eine Brauerei mit Weinkeller und gastronomischem Betrieb.

Am bekanntesten waren damals wie heute die Herrnhuter Kunsttischler Abraham und David Roentgen, deren einzigartige Möbelstücke heute weltweit ausgestellt werden und auch im Neuwieder Roentgen-Museum zu bestaunen sind. Die Museumsdirektorin Jennifer Stein erklärt: „In ihrer Werkstatt in der Pfarrstraße haben Abraham Roentgen und sein Sohn David Luxusmöbel hergestellt, die an adelige Kunden in ganz Europa versandt wurden, darunter an Ludwig XVI. und Katharina die Große.“

Das 1776 erbaute Roentgenhaus in der Pfarrstraße diente dem Kunsttischler David Roentgen (1743-1807) bis 1794 als Wohnhaus und Werkstatt.
Sonja Kowallek

Dadurch wurde Neuwied international für sein Kunsthandwerk bekannt, und die Manufaktur mit ihren 60 Mitarbeitern schuf in der Stadt Arbeitsplätze. Was die Roentgenmöbel so besonders macht, zeigt Stein auch auf: „Die Stücke zeichnen sich durch einen hohen Qualitätsstandard und einen großen Innovationsgeist aus. Da findet man zum Beispiel raffinierte Mechaniken wie versteckte Schubladen oder Verwandlungsmöglichkeiten.“

Sogar Johann Wolfgang von Goethe beschrieb in seinem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ mit Begeisterung einen Roentgen-Schreibtisch, den man fast wie heutige Schreibtische in der Höhe verstellen und an seine Bedürfnisse anpassen konnte. Ein besonders prunkvolles Werk von David Roentgen ist die Apollouhr aus Nussbaum, Bronze und Messing, die in Zusammenarbeit mit dem mennonitischen Uhrmacher Peter Kinzing entstand und heute im Roentgen-Museum ausgestellt ist.

Der Kunsttischler Abraham Roentgen (1711-1793) stellte mit seinem Sohn David Luxusmöbel für adelige Kunden in ganz Europa her.
Roentgen-Museum Neuwied

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm die Nachfrage nach Luxusmöbeln ab, und David Roentgen musste seine Werkstatt schließen. So bekam auch Neuwied die gesamteuropäischen Unruhen in Folge der Französischen Revolution (1789-1799) zu spüren, aus der ab 1792 die Koalitionskriege zwischen Frankreich und den übrigen europäischen Großmächten hervorgingen.

Franzosen siegen in der „Schlacht von Neuwied“

Französische Truppen unter Napoleon Bonaparte eroberten und besetzten große Teile Europas und vor allem Deutschlands, wobei Neuwied mit seiner rechtsrheinischen Lage direkt am Fluss von besonderem Interesse war, so wie fast zwei Jahrtausende zuvor schon für Julius Cäsar während seines Gallienfeldzugs. Nach vier vergeblichen französischen Versuchen, den Rhein bei Neuwied zu überqueren, kam es am 18. April 1797 zur „Schlacht von Neuwied“, in der die Revolutionstruppen Frankreichs die österreichische Armee schlugen und sie aus der Stadt vertrieben. Dies war der erste größere Sieg Frankreichs in den Koalitionskriegen, und wegen dieser Bedeutung ist die Schlacht auf dem von Napoleon in Auftrag gegebenen Arc de Triomphe in Paris vermerkt – wer dort also einmal vorbeikommt, wird den Schriftzug „Neuwied“ auf dem berühmten Bauwerk entdecken können.

Kriegsschäden und hohe Militärausgaben brachten die Stadt in finanzielle Schwierigkeiten, und auch die Beziehung zwischen dem Fürstenhaus und der Bevölkerung war angespannt, wie der Journalist Bernd Paetz in „Neuwied im Spiegel der Zeit“ erläutert. Nachdem sich der amtierende Fürst Johann August weigerte, Napoleons Rheinbund beizutreten, löste dieser das Fürstentum Wied auf, und Neuwied wurde Teil des Herzogtums Nassau. Doch auch nach Napoleons Niederlage erhielten die Fürsten ihre politische Macht nicht zurück, denn bei der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1815 wurde ihr Fürstentum Preußen zugeordnet.

Fürstenhaus verliert an Bedeutung

Neuwied wurde der Verwaltungssitz des gleichnamigen preußischen Landkreises, und die Fürsten übernahmen im Rahmen der Standesherrschaft unter preußischer Aufsicht noch Regierungs- und Verwaltungsaufgaben, bis Fürst Hermann 1848 aus finanziellen Gründen auf diese Privilegien verzichtete. So verlor das Fürstenhaus etwa 200 Jahre nach der Gründung der Stadt Neuwied seine politische Bedeutung, was die nachfolgenden Fürsten aber nicht von politischem und sozialem Engagement abhielt.

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