Verein hilft Senioren im Behördendschungel
Im Einsatz für Gerechtigkeit im Alter: Ockenfelser hilft Senioren durch den Behördendschungel
Damit ältere Menschen in der Gesellschaft eine Chance auf Gerechtigkeit haben, hat sich der Verein Seniorenhilfe Konkret 2019 gegründet. Foto: dpa
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Kreis Neuwied/Ockenfels. Peter Franz Napiora kann in seiner Arbeit als Vorsitzender des Vereins Seniorenhilfe Konkret (die RZ berichtete) auf zahlreiche Erfolge im vergangenen Jahr zurückblicken. Doch zwischen diesen Erfolgen liegt immer wieder Verzweiflung, Verständnislosigkeit, Ärger oder auch Wut. Er sieht tagtäglich, mit welchen Problemen Senioren zu kämpfen haben und kämpft für sie – falls nötig auch vor Gericht – gegen den behördlichen Dschungel.

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„Manchmal ist das gar nicht mehr zu ertragen, das alles mit ansehen zu müssen. Dann sitze ich in meinem Kämmerchen und mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke, was hier in der Gesellschaft mit den älteren Menschen passiert“, resümiert Napiora seine Eindrücke aus der Arbeit im Verein, den es seit November 2019 gibt und sich als erste Anlaufstelle für Senioren im Norden von Rheinland-Pfalz versteht.

Insgesamt erreichten den Verein im Jahr 2020 1238 Anfragen von Senioren aus den Kreisen Neuwied, Ahrweiler, Mayen-Koblenz, Altenkirchen, Westerwald und Rhein-Sieg. Am häufigsten beschäftigten sich Napiora und seine sieben Vereinskollegen mit dem Thema Pflege. Insgesamt 438 Anfragen gingen hierzu ein. Das Beantragen einer Pflegestufe, von Zuschüssen der Pflegeversicherung, die Verlegung in ein Seniorenheim und vieles mehr sind die Themen. Napiora weiß inzwischen, dass die meisten Senioren mit manchen Anträgen heillos überfordert sind. „Möchte man im Sozialamt einen Antrag auf finanzielle Unterstützung für das Wohnen stellen, muss man allein schon 40 Seiten ausfüllen“, gibt er als Beispiel. „80 Prozent der Senioren, die wir betreuen, sind verwitwete Frauen. In der Generation ist es meist so gewesen, dass die Frau sich um Kinder und Haushalt gekümmert und der Mann die behördliche Arbeit gemacht hat. Die Frauen sind heute mit den Anträgen überfordert“, sagt der 75-jährige Ehrenamtler.

Wenn die Familie nicht in direkter Nähe lebt führt dies laut Napiora dazu, dass es immer mehr Ältere gibt, die hilflos und teilweise verwahrlost leben, obwohl sie Anspruch auf Pflege und viele weitere Hilfeleistungen haben. Als Beispiel nennt er eine Frau aus der Nachbarschaft. Sie wohnt in einem großen Haus, doch kann sich kaum darum kümmern, weil sie starke Arthritis in den Händen hat. „Sie kann kaum ein Wasserglas halten oder sich duschen“, so der Ockenfelser. Die Frau lebte isoliert, bis sich Napiora und seine Ehefrau, die Krankenschwester ist, ihrer annahmen und begannen sie zu pflegen, solange sich die Beantragung eines Pflegedienstes hinzieht. Letzteres ist wieder ein Kampf, den der 75-Jährige führen muss. Die Frau wurde in Pflegestufe 1 eingestuft. Laut Napiora gehöre sie aber mindestens in Pflegestufe 3. Und nur wenn diese bewilligt ist, kann ein Pflegedienst regelmäßig beauftragt werden.

Der schlimmste Missstand, der Napiora in seiner Arbeit für die Senioren aufgefallen ist, sei die Art und Weise, wie der Gesundheits- und Pflegezustand von Senioren von Pflege- und Krankenversicherungen beurteilt werden. „Die Begutachtung wird über das Telefon durchgeführt. Das muss man sich mal vorstellen. Wie soll man denn so beurteilen, ob die Gesundheit einen daran hindert, gewisse Bewegungsabläufe hinzubekommen, um ein normales Leben zu führen?“, fragt der Ockenfelser fassungslos. Er erinnert sich an einen Fall, in dem er für eine Frau eine Erwerbsunfähigkeitsrente erkämpft hat. Laut Napiora wurden ihr bei einer Operation Teile des Darms, der Bauchspeicheldrüse und der Niere entnommen. Nach der Operation hatte sie so starke Schmerzen, dass sie weder normal leben, geschweige denn arbeiten konnte. Mehrere Fachärzte hätten das bestätigt. „Der Arzt des Gutachterzentrums der Rentenversicherung kam aber innerhalb kurzer Zeit in einem kurzen Bericht auf das Ergebnis, dass die Frau sehr wohl in der Lage sei, den Arbeitsanforderungen nachzukommen“, ärgert sich Napiora. „So etwas macht mich wahnsinnig.“ Und das sei leider kein Einzelfall. Insgesamt 65 Anfragen zur Erwerbsunfähigkeitsrente haben den Verein Seniorenhilfe Konkret im Jahr 2020 insgesamt erreicht.

Die zweithöchste Zahl der Anfragen (415) gingen beim Verein zum Thema Corona-Impfungen ein. Die Senioren seien oft wegen des Impfstoffes besorgt gewesen. Doch das größte Problem sei die Frage gewesen, wie die Senioren zum Impfzentrum kommen sollen. „Die wenigsten sind mobil“, sagt der Ehrenamtler. Er schrieb also Verbandsgemeinden an und bat um die Organisation eines Fahrdienstes. Außerdem setzte er sich mit den Krankenkassen auseinander und setzte durch, dass sie die Kosten für eine Taxifahrt übernehmen. Aber auch Probleme bei der Anmeldung habe es gegeben. „Viele Senioren sind nicht dazu in der Lage, sich mit dem Internet auseinanderzusetzen. Also griffen sie zum Telefon und haben etliche Stunden versucht, einen Termin zu vereinbaren. Es klappte hinten und vorne nicht. Das ist für mich nicht zu verstehen. Meiner Meinung nach gab es da kein vernünftiges Konzept“, sagt Napiora.

Und so sei es auch in vielen anderen Bereichen, die das Leben der Senioren betreffen. Seiner Meinung nach werden ältere Menschen diskriminiert. Im Behördendschungel erhielten Senioren meist nicht das, was ihnen gesetzlich zusteht. Und deswegen kämpfen Napiora und seine Kollegen weiter – und gehen oft auch vor das Gericht. Laut Napiora kamen im vergangenen Jahr 2850 Stunden ehrenamtliche Arbeit im Verein zusammen und unzählige Ausgaben wie Fahrt- oder Portokosten, die die Helfer aus eigener Tasche bezahlen. Napiora schätzt die Kosten auf 10.000 bis 15.000 Euro ohne die Arbeitsstunden anzurechnen. „Der tatsächliche Wert des bürgerschaftlichen Engagements liegt erheblich höher, weil zum Beispiel die Auswirkungen auf das Gemeinwesen durch die Bewertung von Arbeitszeit nicht vollständig erfasst werden können“, schreibt der Verein Seniorenhilfe Konkret in seinem Jahresbericht.

Unter Tel. 02644/808.747, per E-Mail an peter-napiora@t-online.de und im Internet unter www.seniorenhilfe-konkret.de kann man zum Verein Seniorenhilfe Konkret Kontakt aufnehmen.

Von unserer Mitarbeiterin Sofia Grillo

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