30 200 Wohnhäuser im Kreis betroffen - Gewerkschaft will Infokampagne für Bauarbeiter und Heimwerker
IG BAU warnt vor Asbestfallen bei Sanierung: 30.200 Wohnhäuser sollen im Kreis betroffen sein
So läuft Asbest-Sanierung: Overall, Atemschutzmaske,
Handschuhe und dazu noch eine Schutzbrille. „Komplett-Schutz
ist ein Muss“,
Das ist alles für eine Asbestsanierung notwendig: Overall, Atemschutzmaske, Handschuhe und dazu noch eine Schutzbrille. „Komplettschutz ist ein Muss“, sagt die IG Bauen-Agrar-Umwelt. Foto: IG BAU/Alireza Khalili
IG BAU

Kreis Neuwied. Studie beauftragt: Die Gewerkschaft hat eine bundesweite „Asbest-Charta“ mit zentralen Forderungen für mehr Schutz vor Asbest vorgelegt und fordert eine Infokampagne zur Gefahr für  Bauarbeiter und Handwerker.

Tonnen von Baumaterial mit Asbest stecken im Kreis Neuwied in Altbauten. „Von 1950 bis 1989 kamen Asbestbaustoffe intensiv zum Einsatz. Es ist davon auszugehen, dass es in jedem Gebäude, das in dieser Zeit gebaut, modernisiert oder umgebaut wurde, Asbest gibt. Mal mehr, mal weniger“, wird Gordon Deneu von der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) in einer Pressemitteilung zitiert.Darin spricht er von „Asbestfallen“ und nennt Zahlen: „In den vier 'Asbest-Jahrzehnten' wurden im Landkreis Neuwied rund 30.200 Wohnhäuser mit 48.000 Wohnungen neu gebaut. Das sind immerhin knapp 54 Prozent aller Wohngebäude, die es heute im Kreis gibt. Dazu kommen noch Gewerbegebäude, Garagen, Ställe und Scheunen in der Landwirtschaft.“ Der stellvertretende Bezirksvorsitzende der IG BAU Koblenz-Bad Kreuznach verweist dabei auf die „Situationsanalyse Asbest“, die die Baugewerkschaft beim Pestel-Institut (Hannover) in Auftrag gegeben hat.

Asbest ist ein krebserregender Stoff. Wer in einem asbestbelasteten Haus wohnt, muss sich trotzdem erst einmal keine Sorgen machen. Erst bei Sanierungsarbeiten wird es kritisch.

Gordon Deneu, stellvertretender Bezirksvorsitzende der IG BAU Koblenz-Bad Kreuznach

„Asbest ist ein krebserregender Stoff. Wer in einem asbestbelasteten Haus wohnt, muss sich trotzdem erst einmal keine Sorgen machen. Erst bei Sanierungsarbeiten wird es kritisch. Dann kann Asbest freigesetzt und damit zu einem ernsten Problem werden“, so Deneu. Er warnt vor einer „unsichtbaren Gefahr“, wenn Altbauten zu Baustellen werden: „Alles fängt mit Baustaub und dem Einatmen von Asbestfasern an. Bauarbeiter und Heimwerker haben kaum eine Chance, diese Gefahr zu erkennen.“ Bis zu 30 Jahre dauere es, ehe es zur tragischen Diagnose komme: Asbestose – mit Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs. Zum Komplettschutz bei einer Sanierung mit Asbestgefahr gehöre daher immer mindestens eine FFP-3-Atemschutzmaske. Ebenso ein Muss: Overall, Schutzbrille und Handschuhe.

„Asbestfallen“ lauern überal

„Altbauten im Kreis Neuwied sind ein tonnenschweres Asbestlager. Die krebserregende Mineralfaser steckt in vielen Baustoffen. Die 'Asbestfallen' lauern überall: Asbest ist oft im Putz und sogar in Spachtelmassen und Fliesenklebern. Vor allem aber im Asbestzement. Daraus wurden vorwiegend Rohre, Fassadenverkleidungen und Dacheindeckungen gemacht. Eternit war typisch für den Westen, Baufanit für den Osten“, sagt Deneu. Ein großes Problem sei Spritzasbest: „Hier sind die Asbestfasern schwächer gebunden. Sie können deshalb leichter freigesetzt werden. Vor allem Aufzugsschächte sowie Schächte mit Versorgungs- und Entsorgungsleitungen wurden früher intensiv mit Spritzasbest verkleidet“, erklärt Deneu.

Die IG BAU Koblenz-Bad Kreuznach spricht von einer neuen „Asbestgefahr“: „Wir stehen am Anfang von zwei Sanierungsjahrzehnten. Die energetische Gebäudesanierung wird enorm an Fahrt aufnehmen. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, wird auch im Kreis Neuwied in den nächsten Jahren ein Großteil der Altbauten 'angefasst'.“ Wohnhäuser werden modernisiert, senioren- und familiengerecht umgebaut. Es wird angebaut und aufgestockt, um mehr Wohnraum zu bekommen“, so Deneu.

Bauarbeiter und Heimwerker müssen wissen, 
wie der optimale Schutz 
vor Asbest aussieht.

Gordon Deneu

Mit der Sanierungswelle drohe deshalb jetzt auch eine 'Asbestwelle' auf dem Bau. „Sie ist eine Gefahr – für Bauarbeiter genauso wie für Heimwerker“, sagt der stellvertretende Bezirksvorsitzende der Baugewerkschaft. Aber IG BAU und Pestel-Institut geben auch Entwarnung. Für die Menschen, die in Wohngebäuden leben, die mit asbesthaltigen Baustoffen gebaut wurden, haben sie eine klare Botschaft: „Eine unmittelbare Gefährdung für die Gesundheit gibt es nicht.“ Bei einer Sanierung im bewohnten Zustand sei es allerdings wichtig, mit „allergrößter Sorgfalt professionell vorzugehen“, mahnen Gordon Deneu und der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.

Die IG BAU will der drohenden „Asbestwelle“ auf dem Bau jetzt mit einem Maßnahmenpaket entgegentreten. Die Baugewerkschaft hat dazu eine bundesweite „Asbestcharta“ mit zentralen Forderungen für mehr Schutz vor Asbest vorgelegt. Der 5-Punkte-Katalog kann bei der IG BAU Koblenz-Bad Kreuznach per E-Mal angefordert werden: koblenz@igbau.de. „Es geht dabei um bessere Informationen über Asbestgefahren bei Gebäuden, um die Förderung von Asbestsanierungen und vor allem auch um konsequenten Arbeitsschutz. Denn der bevorstehende Sanierungsboom darf nicht zu einer Krankheitswelle führen“, warnt Deneu.

Schadstoffgebäudepass mit Gefahrenstufen

Der Gewerkschafter fordert einen Schadstoff-gebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbestbelastung eines Gebäudes. „Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert“, so Gordon Deneu. Er plädiert außerdem für eine staatliche Sanierungsprämie. Dazu müsse der Bund ein KfW-Förderprogramm „Asbestsanierung“ schaffen. „Das hilft, Kosten abzufedern, die bei einer – beispielsweise energetischen oder altersgerechten – Gebäudesanierung in asbestbelasteten Wohnhäusern zusätzlich entstehen. Außerdem ließe sich damit auch eine ordnungsgemäße Entsorgung von alten Asbestbaustoffen sicherstellen“, so der stellvertretende Vorsitzende der IG BAU Koblenz-Bad Kreuznach.

Die Gewerkschaft fordert deshalb eine intensive Asbestaufklärung: „Bauarbeiter und Heimwerker müssen wissen, wie der optimale Schutz vor Asbest aussieht. Und das muss den Menschen in der Sprache gesagt werden, die sie verstehen – den ausländischen Beschäftigten also auch in ihrer Muttersprache“, so Gordon Deneu. Er fordert deshalb eine Informationskampagne des Bundes und der Länder. Die heimischen Bundestagsabgeordneten seien jetzt am Zug, den drohenden Gefahren einer „Asbestwelle“ rechtzeitig mit einem effektiven Maßnahmenpaket entgegenzutreten.

4,35 Millionen Tonnen Asbest importiert

Die Dimension und damit auch die Gefahr, die vom Asbest ausgehe, sei gewaltig: Insgesamt sind nach Angaben des Pestel-Instituts von 1950 bis 1990 bundesweit rund 4,35 Millionen Tonnen Asbest (Ost- und Westdeutschland) importiert worden. Daraus seien rund 3500 Produkte hergestellt worden – die meisten davon für den Baubereich: Knapp 44 Millionen Tonnen asbestbelastetes Baumaterial stecken bundesweit im Gebäudebestand. In den vergangenen zehn Jahren sind nach Angaben der IG BAU 3376 Versicherte der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) an den Folgen einer asbestbedingten Berufserkrankung gestorben – darunter allein 320 Baubeschäftigte im vergangenen Jahr.

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