Viele Firmen im Kreis Neuwied setzen seit Corona vermehrt auf diese Arbeitsform - Es gibt aber auch einige Herausforderungen
Homeoffice birgt Potenzial und Risiken: Viele Unternehmen im Kreis Neuwied nutzen diese Arbeitsform
Rebekka Klöckner, Teamleiterin im E-Business bei der Neuwieder Firma Alfred Horn, tauscht sich im Homeoffice häufiger per Videokonferenz mit ihren Kollegen aus.
Alfred Horn

Kreis Neuwied. Für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt es hierbei einige Herausforderungen.

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Viele Unternehmen mussten sich aufgrund von Corona rasch umstellen, setzten vor allem auf Arbeiten im Homeoffice. So erging es auch der Firma Alfred Horn in Neuwied, der Fachgroßhandel unter anderem für Beschläge und Produkte aus den Bereichen Befestigungstechnik, Werkzeuge, Schließanlage oder auch Fenstertechnik. „Wir waren plötzlich von heute auf morgen im Homeoffice“, sagt Claudia Weitzel, Personalmanagement und Assistenz der Geschäftsleitung bei Alfred Horn. Von den 90 Mitarbeitern war fast die Hälfte von der Maßnahme betroffen.

Die beiden IT-Experten der Firma organisierten Laptops und richteten innerhalb einer Woche alles ein, kümmerten sich um telefonische Verbindungen, bauten Monitore ab und wieder auf oder bemühten sich um funktionierendes Internet der Belegschaft. Für zahlreiche Firmen im Kreis Neuwied, aber auch in ganz Rheinland-Pfalz ist Homeoffice allgegenwärtig, wie nun eine neue Studie des Haftpflichtverbandes des Deutschen Industrie (HDI) zeigt.

Laut der „HDI Berufe-Studie 2020“ ist Rheinland-Pfalz während Corona Vorreiter beim Homeoffice. Demnach wechselte jeder dritte Beschäftigte in Rheinland-Pfalz ins Homeoffice, im Bundesschnitt liegt der Anteil bei 28 Prozent. Dabei war die erste Phase bei den Unternehmen oft mit Herausforderungen verknüpft, das berichtet Claudia Weitzel: „Wenn das WLAN zu Hause nicht funktionierte, wurde auch mal das Handy als Hotspot genutzt.“ Insgesamt wird die Veränderung positiv wahrgenommen, mehr auf Homeoffice zu setzen: „Corona hat alte Strukturen aufgebrochen. Wir hatten das Gefühl, aktiv werden zu müssen“, erklärt Rebekka Klöckner, Teamleiterin im E-Business bei Alfred Horn.

Rückmeldungen durchweg positiv

Zwar fällt die Nachhaltung von Homeoffice in den Unternehmen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsagentur Neuwied, aber: „Wir können uns hier nur auf Rückmeldungen berufen, die wir von den Unternehmen erhalten haben, – und die waren durchweg positiv“, erklärt Karl-Ernst Starfeld, Chef der Neuwieder Arbeitsagentur, die für die Kreise Neuwied und Altenkirchen zuständig ist. Er betont, dass die Unternehmen, die nun erstmals Erfahrung mit Mitarbeitern im Homeoffice gemacht haben, überrascht waren, wie unkompliziert und effektiv das funktioniert hat: „Die Möglichkeiten, von zu Hause aus zu arbeiten, sind nach dem heutigen Stand der Digitalisierung, insbesondere für Bürotätigkeiten, ausgezeichnet.“

Eine Rolle spielen laut Starfeld vor allem auch die technischen Maßnahmen, wie die Verschlüsselung von Daten oder die Verwendung eines virtuellen Privatnetzwerks, das sogenannte Virtual Private Network (VPN), die vor dem Zugriff und die Einsichtnahme durch Dritte schützen. Zudem ermöglicht es den Zugriff auf den betrieblichen Server von zu Hause aus: „Somit ist das Einrichten eines Homeoffice-Arbeitsplatzes kein Problem mehr.“ Für ihn ist denkbar, dass die Neuwieder Unternehmen auch zukünftig die Möglichkeit des Homeoffice nutzen und ausbauen.: „Dies könnte auch eine wirksame Maßnahme gegen Fachkräftemangel sein .“ Denn mit der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, werden Unternehmen auch für Bewerber im weiteren Umkreis attraktiv, erklärt er.

Vorteile von Homeoffice

Vielen Arbeitnehmern bietet das Homeoffice wertvolle Vorteile. Für Regina Cordes, Professorin an der Internationalen Hochschule (IUBH), die die Auswirkung von Homeoffice in einer Studie näher untersuchte, ist die „Selbstbestimmung der größte Aspekt“. Überdies fallen Arbeitswege weg, Kosten werden reduziert, es steht oft mehr Freizeit zur Verfügung.

Das bestätigt auch Marlen Cosmar, Expertin für Arbeitspsychologie vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. „Im Homeoffice ist zielorientiertes Arbeiten möglich. Diese Arbeitsform ist einfacher mit der Familie zu vereinbaren“, nennt Cosmar weitere Vorzüge. Dadurch entstehe weniger Stress. In dem Kontext erwähnt Regina Cordes einen weiteren Faktor: „Stress geht einem Menschen nicht so stark unter die Haut, wenn der Stressverursacher nicht direkt anwesend ist.“ Neben den Vorteilen auf Arbeitnehmerseite ergänzt Starfeld den Umweltschutz ob weniger Fahrten und Kostenersparnisse auf Unternehmerseite.

Nachteile von Homeoffice

Dagegen sieht der Agenturchef die Nachteile überwiegend aufseiten der Arbeitnehmer: „Hier haben wir von vielen gehört, dass die soziale Isolation im Homeoffice mit der Zeit auf die Stimmung schlägt.“ Diese Tatsache untermauert Cordes: „Persönliche Kontakte sind im Homeoffice stark abgemildert.“ Laut Cosmar verringert das Homeoffice die notwendige Kommunikation mit den Arbeitskollegen. Zudem bestehe die Gefahr für Arbeitnehmer, sich nicht richtig von der Arbeit distanzieren zu können, diese nicht vom Privaten zu trennen. „Vor allem Männer neigen bei stärkerer familiärer Einbindung dazu, bis in die Nacht zu arbeiten.“

Cordes bekräftigt generell, dass laut ihren Untersuchungen zu Hause mehr Überstunden gemacht werden oder auch manche abgelenkter sind. Gerade bei der Belegschaft mit Kindern ist die Lage nicht immer leicht zu bewältigen. Davon berichtet auch Rebekka Klöckner, Mutter einer neunjährigen Tochter: „Besonders als keine Schule stattfand, gab es Probleme bei den Konferenzen.“ Ihre Tochter habe manchmal nicht verstanden, dass sie bei Konferenzen auch einfach Mal nur aufmerksam zuhören musste, erklärt sie. Ihr Homeoffice war erst in der Küche, später konnte sie sich einen besser geeigneten Arbeitsplatz einrichten. Grundsätzlich zieht sie ein positives Resümee, konnte im Homeoffice deutlich effektiver und konzentrierter arbeiten.

Doch das Homeoffice eignet sich nicht für jeden: „Selbstorganisation ist notwendig, Prioritäten müssen gesetzt werden“, so Cosmar. Cordes sieht vor allem diejenigen für das Arbeiten im Homeoffice geeignet, die über ein hohes psychologisches Kapital verfügen: „Je höher ihr psychologisches Kapital ist, desto eher kommen die Arbeitnehmer im Homeoffice zurecht und können die positiven Aspekte aktiv für sich nutzen.“

Das psychologische Kapital beschreibt ein Führungskonzept, das laut Belegen Führungskräften dabei hilft, Geschäftsziele effektiv zu erreichen. Der Begriff stammt von dem amerikanischen Managementwissenschaftler Fred Luthans. Laut ihm besteht das psychologische Kapital vor allem aus vier Faktoren: Selbstwirksamkeit, Hoffnung, Optimismus und Resilienz. Zum Punkt Hoffnung fügt Cordes noch die Willenskraft hinzu. Während der Mensch bei der Selbstwirksamkeit von seinen eigenen Fähigkeiten überzeugt ist, hält er bei der Hoffnung beziehungsweise Willenskraft an gesteckten Zielen fest. Der Optimismus suggeriert, an seinen Erfolg zu glauben. Mit Resilienz ist die Fähigkeit gemeint, Probleme und Hürden zu überwinden, widerstandsfähig zu sein.

Viel Kommunikation gefragt

Einige Hürden kommunikativer Art hatte das Unternehmen Alfred Horn in Neuwied anfangs zu meistern. „Anfangs gab es viele Konferenzen“, erklärt Claudia Weitzel. Sukzessive wurden diese weniger. Erst waren diese jeden Tag, dann alle drei Tage, dann noch weniger: „Es hat gut geklappt. Manchmal wurde nach den Konferenzen auch noch kurz mit den Kollegen telefoniert, um Hilfestellung bei sozialen Themen zu geben“, sagt sie. Das war eine wichtige Erfahrung, bekräftigt auch Geschäftsleiter Rolf Horn: „Wir sind zur familiären Seite durchgedrungen, haben Verständnis für die Kollegen entwickelt.“ Ein wichtiger Grundstein, der die Grundlage bildete, dass das Homeoffice überhaupt zu realisieren war, „war die Verlegung von Glasfaserkabeln“, erklärt er. Generell spricht er von mobilen Arbeitsplätzen. Rein rechtlich bietet das Unternehmen viele alternierende Arbeitsplätze an, also steht dem Mitarbeiter ein Arbeitsplatz sowohl im Unternehmen als auch im Homeoffice zur Verfügung.

Zukünftig soll beim Unternehmen Alfred Horn weiterhin ein Wechsel zwischen Büro und Homeoffice möglich sein. Dass Homeoffice aufgrund von Datenschutz und aus anderen Gründen verweigert wird, kann Horn nicht mehr verstehen: „Wir brauchen diese Mittel, über Ängste kann gesprochen werden.“ Regina Cordes wünscht sich das Optimieren der aktuellen Strukturen, kein Zurückdrehen zur Büroarbeit. Ihrer Meinung nach sollen Anreize geschaffen werden, gern ins Büro der Firma zu kommen. Unternehmen können demnach eine Wohlfühlatmosphäre schaffen durch besondere Akustik, dem geschickten Einsatz von Farben oder verschiedenen Arbeitsräumen, die etwa nur dem ruhigen Nachdenken oder dem Gruppenaustausch dienen.

„Das Homeoffice hat viele Potenziale, nützt der Familie und der Umwelt“, erklärt Expertin Marlen Cosmar. Sie kann sich vorstellen, dass ein größerer Arbeitsteil von zu Hause erledigt wird, die Arbeitnehmer dennoch ein bis zweimal die Woche ins Büro fahren: „Das ist gut für das Klima und um im Kontakt zu bleiben.“ Hierbei plädiert sie ausdrücklich für regelmäßige Präsenztreffen. Dennoch obliegt es – trotz vieler Vorzüge für beide Seiten – dem Unternehmen, inwiefern es die Arbeitsorganisation des Homeoffices für sinnvoll hält: „Gehören Homeoffice-Arbeitsplätze nicht zum unternehmerischen Konzept, muss der Arbeitnehmer dies akzeptieren. Ein Anrecht auf eine Fortführung eines solchen Arbeitsplatzes gibt es nicht“, betont Starfeld. Aber dahin gehend gibt es auch schon Forderungen nach gesetzlichen Änderungen. Das Unternehmen Alfred Horn in Neuwied möchte weiter darauf setzen und Missstände für reibungslosere Abläufe ausräumen, die Digitalisierung kontinuierlich weiter vorantreiben.

Die wichtige Rolle von Führungskräften zu Homeoffice-Zeiten

Führungskräften kommt beim Anleiten der Teammitarbeiter eine wichtige Aufgabe zu. Marlen Cosmar, Expertin für Arbeitspsychologie vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, empfiehlt einen guten Austausch: „Führungskräfte müssen signalisieren, dass sie regelmäßig ansprechbar sind.“ Die Schwelle, sich auf elektronischem Weg zu melden, sei erhöht. Davon abgesehen brauchen Führungskräfte Fingerspitzengefühl bei Mitarbeitern, denen es im Homeoffice schwerfällt, sich selbst zu organisieren oder zu motivieren. Hier muss versucht werden, auf elektronischem Weg eine enge Abstimmung zu gewährleisten.Überdies sollten Führungskräfte darauf achten, dass Mitarbeiter nicht zu viele Überstunden absolvieren, erklärt Cosmar.

Von unserem Redakteur Lars Tenorth

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